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Pannen, Pannen, noch mehr Pannen

Von Katharina Schmidt

Politik

Angesichts defekter Wahlkarten-Überkuverts deutet alles auf eine neuerliche Verschiebung der Bundespräsidentenstichwahl hin.


Wien. Das hat es noch nie gegeben. Robert Stein, seit zwölf Jahren Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium und seit den 1990er Jahren fast rund um die Uhr für die Medien erreichbar, hatte am Freitag keine Zeit. Er hatte keine Zeit zu erklären, was da eigentlich schiefgelaufen ist. Er hatte keine Zeit zu erklären, was das Innenministerium zu tun gedenkt. Denn Robert Stein musste von einer Krisensitzung in die nächste eilen.

Die Krise hat sich zunächst langsam angeschlichen und innerhalb einer Woche zum Super-GAU entwickelt, der das ohnehin schon schwer in Mitleidenschaft gezogene Vertrauen der österreichischen Wähler noch einmal ordentlich erschüttert. Vergangene Woche hatte sich der Kleber bei einigen Überkuverts der Wahlkarten für die am 18. September zu wiederholende Bezirksvertretungswahl in der Leopoldstadt gelöst. Dann tauchten auch immer mehr fehlerhafte Wahlkarten für die Bundespräsidentschaftswahl auf. Das Innenministerium kalmierte zunächst und empfahl den Gemeinden, die Wahlkarten vor dem Versand zu überprüfen, was viele auch taten. Ebenso wurde Wählern geraten, die Wahlkarten zu überprüfen, bevor sie sie unterschreiben. Denn erst mit der Unterschrift außen auf der Wahlkarte gilt die Stimme als abgegeben. Defekte Wahlkarten, die noch nicht unterschrieben wurden, können bei den zuständigen Gemeinden umgetauscht werden.

Doch dann ein neues Problem: Seit Donnerstag ist bekannt, dass sich der Klebstoff offenbar mit Verzögerung löst - eine Wählerin hatte das Kuvert kontrolliert, dann unterschrieben, und erst am Weg zur Post war der Kleber aufgegangen.

Offene Kuverts nichtig

Das war auch für das Innenministerium zu viel - denn damit kann nun nicht einmal mehr ansatzweise garantiert werden, dass die Wahlkartenwähler ihre Stimme korrekt abgeben können. Wahlkarten sind nämlich laut Bundespräsidentenwahlgesetz dann als nichtig zu betrachten, wenn die "Prüfung auf Unversehrtheit ergeben hat, dass die Wahlkarte derart beschädigt ist, dass ein vorangegangenes missbräuchliches Entnehmen oder Zurücklegen des inliegenden Wahlkuverts nicht ausgeschlossen werden kann". Offene Überkuverts werden also automatisch als nichtig aussortiert.

Freitagfrüh erklärte nun Innenminister Wolfgang Sobotka in einer schriftlichen Stellungnahme, dass er die Verschiebung des für 2. Oktober anberaumten Termins für die Bundespräsidenten-Stichwahl prüfen lassen werde. Denn um zu garantieren, dass auch jeder sein Wahlrecht ausüben kann, müssen die Wahlkarten wohl noch einmal gedruckt werden - für die aktuelle bereits laufende Wahl können die Wahlkarten nicht mehr zurückgezogen und neu ausgeschickt werden. Eine Neuausschreibung des Wahltermins wäre wie berichtet nach der Meinung der meisten Verfassungsexperten mit einer Verordnung der Bundesregierung, die durch den Hauptausschuss des Nationalrats abgesegnet wird, relativ rasch möglich. Verfassungsrechtler Theodor Öhlinger meinte zur "Wiener Zeitung", dass der Hauptausschuss auch ad hoc einberufen werden könne, man hier also relativ rasch eine Lösung finden könne. Allerdings braucht freilich wieder die Druckerei einige Zeit, bis die Wahlkarten gedruckt und versendet sind, dazu kommen Fristen für das Rücksenden der Karten. Öhlinger geht davon aus, dass ein neuer Wahltermin Anfang November realistisch sein könnte.

Mayer will Gesetzesänderung

Sein Kollege Heinz Mayer sieht das ein bisschen anders. Wenn es schon zu einer Verschiebung des zweiten Durchgangs der Bundespräsidentenstichwahl kommen sollte, dann wäre es aus seiner Sicht sinnvoll, auch gleich das Bundespräsidentenwahlgesetz zu adaptieren. Denn für die Stichwahl am 2. Oktober - oder wann immer sie letztlich stattfindet - gilt dasselbe Wählerverzeichnis wie für den ersten Wahlgang am 24. April. Was normalerweise kein Problem darstellt, weil die Stichwahl innerhalb von vier Wochen stattfindet. Doch zwischen dem ersten Wahlgang und der Wiederholungsstichwahl sei bei einer neuerlichen Verschiebung dann ja schon ein dreiviertel Jahr vergangen, betont Mayer - in der Zwischenzeit sind viele Menschen gestorben oder 16 Jahre alt und damit wahlberechtigt geworden. Mayer sieht hier abermals einen Anfechtungsgrund und rät zu einer raschen Gesetzesänderung zum Beispiel per Initiativantrag.

Auch in einem anderen Punkt herrscht Dissens: Die Wahlabteilung der Stadt Wien hat - auf Basis zweier Gutachten von Öhlinger und Mayer - für die Bezirksvertretungswahl in der Leopoldstadt entschieden, dass fehlerhafte Wahlkarten auch dann ausgetauscht werden, wenn sie bereits unterschrieben sind.

Wien schert aus

Im Büro des zuständigen Stadtrats Andreas Mailath-Pokorny rechtfertigt man das damit, dass das Aussehen der Karten in der Gemeindewahlordnung genau beschrieben sei und damit eine offene Wahlkarte keine Wahlkarte im rechtlichen Sinn sei, also ausgetauscht werden könne. Gemeindewahlordnung und Bundespräsidentenwahlgesetz unterscheiden sich in diesem Punkt allerdings nicht wesentlich - wieso könnten also die Karten für den bundesweiten Urnengang nicht auch ausgetauscht werden? Das dürfte einerseits daran liegen, dass die Wahlabteilung im Innenministerium das Gesetz anders auslegt. Andererseits hält Mayer dies aufgrund der weitaus höheren Anzahl an Wahlkartenwählern für logistisch unmöglich.

Was auf keinen Fall möglich ist, ist die Wahlkarte einfach selbst zuzukleben - auf diese Art manipulierte Kuverts werden automatisch als nichtig ausgeschieden. In diesem Zusammenhang sorgte am Freitag ein Rat der Telefon-Hotline des Innenministeriums für Aufregung: Dort hatte ein Mitarbeiter laut Ö1 dazu geraten, das Kuvert einfach mit einem UHU-Stick zu verschließen. Im Ressort zeigte man sich angesichts dieses gesetzeswidrigen Rats entsetzt: "Wir haben bereits straf-, dienst- und disziplinarrechtliche Schritte eingeleitet", so Sprecher Alexander Marakovits.

Bundeskriminalamt ermittelt

Auch in einem weiteren Punkt ermittelt das Innenressort derzeit: Das Bundeskriminalamt sowie ein externer Dienstleister wurden mit der "forensischen Überprüfung" der Wahlkarten beauftragt, um die Ursache für die fehlerhafte Klebung zu erforschen. Denn wie Sobotka bereits angekündigt hat, wird sich das Innenministerium versuchen, an der Druckerei kprintcom.at schadlos zu halten.

Martin Spitzer, Professor für Bürgerliches Recht und Zivilverfahrensrecht an der Wirtschaftsuni Wien, sieht dafür gute Chancen: Es gehe um die Frage, ob ein Vermögensschaden entstanden sei - dies sei bei einer neuerlichen Verschiebung der Kundmachung, der Notwendigkeit, Wahlkarten nachzudrucken, und weiteren Folgen, durchaus gegeben. Der Staat müsse dann das Honorar für die fehlerhaften Wahlkarten nicht zahlen und könne Ersatz für die Folgekosten verlangen. Sollte dieselbe Druckerei für einen verschobenen Wahltermin noch einmal zum Zug kommen, müsste sie die Karten im Rahmen der Gewährleistung kostenlos neu drucken. Allerdings sei viel davon abhängig, wie der Vertrag konkret ausgestattet ist. Spitzer hält es auch für möglich, dass sich die Druckerei korrekt verhalten und alle Vorgaben wie zum Beispiel die stichprobenartige Überprüfung eingehalten hat, aber zum Beispiel schlicht der Klebstoff schadhaft war. "Dann ist es denkbar, dass die Druckerei dennoch für die Sorgfaltswidrigkeit eines Dritten (zum Beispiel des Klebstoffherstellers, Anm.) einzustehen hat", das hänge aber vom Vertrag ab.

Eher keine Chancen hätte laut Spitzer eine Schadenersatzforderung durch einen der Wahlwerber: "Der bloße Umstand, dass ich noch fünf Zeltfeste mehr besuchen muss, stellt noch keinen Vermögensnachteil dar", sagt er. Und selbst dann, wenn sich der Wahlkampf nun noch länger hinziehe, seien die Wahlwerber ja nicht dazu verpflichtet, mehr Plakate zu drucken.

Das wird sich zumindest bei Alexander Van der Bellen ohnehin nicht ausgehen: Der von Grünen, Neos und SPÖ unterstützte Kandidat dürfte derzeit nicht allzu gut bei Kasse sein. Spendeten die Grünen für die ersten beiden Wahlgänge mehr als 3 Millionen Euro, so sind es diesmal nur 250.000, dazu kommen noch einige weitere Großspender wie der Industrielle Hans-Peter Haselsteiner, und Kleinspender. Mit Geld will man sich dort aber derzeit nicht beschäftigen: Wahlkampfmanager Lothar Lockl meinte, nun stehe im Vordergrund, dass die Wähler von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können. Seinen Wahlkampfauftakt am Freitag hat Van der Bellen abgesagt, er will sich am Samstag äußern.

Norbert Hofer denkt indes nicht daran, seinen Wahlkampfauftakt zu verschieben - dieser findet wie angekündigt am Samstag in Wels statt. Das mag auch daran liegen, dass die FPÖ nicht wirklich mit Geldsorgen zu kämpfen hat. Die FPÖ überlege indes sehr wohl, Schadenersatzforderungen gegen die Republik zu erheben, heißt es dort.

Am Wochenende sind also alle Beteiligten mit der Wahl beschäftigt - für Robert Stein und sein Team wird es besonders stressig. Denn am Montag will Minister Sobotka vor die Medien treten und erklären, ob diese schier niemals enden wollende Wahl um einen Termin reicher ist.