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"Autonomie ist gut für die Schulen"

Von Brigitte Pechar

Politik

Bildungsexperte Andreas Salcher empfiehlt der Regierung, sich gegen die Lehrervertreter durchzusetzen.


Wien. Die OECD empfiehlt Österreich - unter anderen und hartnäckig - eine Reform der Schulverwaltung mit stärkerem Einfluss des Bundes, einen Ausbau der verschränkten Ganztagsschule und mehr Schulautonomie. Am 17. November 2015 haben sich Koalition und Länder auf ein Schulreformpaket verständigt, am Dienstag beschließt der Ministerrat eine Bildungsreform samt Schulautonomie. Lange Zeit haben sich Landesschulratspräsidenten und die Lehrergewerkschaft gewehrt. Wie aus dem Bildungsministerium zu vernehmen ist, soll es nun gelungen sein, alle zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, Schuldirektoren ihre Lehrer aussuchen zu lassen. Die "Wiener Zeitung" sprach im Vorfeld des Ministerratsbeschlusses mit dem Bildungsreformer Andreas Salcher über die Anforderungen an eine moderne Schule.

"Wiener Zeitung":Was kann Schulautonomie bringen? Es gab ja bis zuletzt Widerstände der schwarzen Landesschulratspräsidenten dagegen, dass Direktoren volle Personalhoheit erhalten. Das sei im Pflichtschulbereich nicht machbar.

Andreas Salcher: Das sind diejenigen, die das bestehende System, das mittlerweile das zweitteuerste in Europa und im besten Fall mittelmäßig ist, verteidigen. Wir müssen das Schulsystem insgesamt verbessern. In den Staaten, die deutlich besser abschneiden und noch dazu mit geringeren Kosten, verfügen die Schulen über Autonomie. Am besten sind Systeme, wo der Direktor über seine Lehrer entscheidet; noch besser schneiden die ab, wo die Direktoren die Stundentaktung - die 50-Minuten-Stunden kommen ja noch aus dem Fabrikszeitalter - auflösen und über ein eigenes Budget verfügen.

Warum wehren sich Landesschulräte gegen Schulautonomie?

Es geht um Macht. Wenn der Direktor mehr Macht erhält, müssen andere diese abgeben. Ein Direktor kann derzeit nicht einmal selbständig einen Stundenplan erstellen, weil die Personalvertretung ein Mitspracherecht hat. Deren oberstes Interesse ist sicher nicht primär im Interesse der Schüler. Ein Direktor kann bei uns nicht einmal die Teilungszahl selbständig festlegen, also ab welcher Schülerzahl eine zusätzliche Klasse eröffnet wird - dazu muss er den Schulgemeinschaftsausschuss befragen. Den Direktoren, die gemeinsam mit den Lehrern die wichtigsten Personen im Schulsystem sind, sind die Hände gebunden. Was der Ministerrat beschließt, wissen wir noch nicht, aber es wäre wichtig, dass man den Direktoren wirkliche Autonomie gibt. Ich vergleiche das immer mit Demokratie: Ein bisschen Demokratie gibt es nicht. Mit der Autonomie ist es dasselbe.

Wenn alles autonom ist, braucht es Gradmesser. Muss man dann bei den Bildungsstandards nachbessern, zumal wir keine Mindeststandards haben?

Die Direktoren müssen umfassende Autonomie erhalten, auf der anderen Seite müssen die Leistungen der Schule dann mit vergleichbaren Schulen verglichen werden. Wenn ein Direktor nach fünf Jahren seine Ziele erreicht, wird er verlängert, wenn nicht, dann eben nicht. Schule ist das einzige System, wo das nicht funktioniert, sonst funktioniert das in allen leistungsorientierten Systemen so.

Werden dann alle Schulen gleich bewertet?

Es braucht für jede Schule Ziele, die vergleichbar sein müssen. Soziale Brennpunktschulen brauchen andere Ziele als Schulen in einem gewachsenen Gebiet. Aber das gibt es international ja alles, das muss man nicht neu erfinden.

Die Auflösung der Bezirksschulinspektoren ist schon seit Jahren ein Thema, wie auch die Schulverwaltung ein ständiger Zankapfel ist.

Die Abschaffung der Bezirksschulinspektoren wird seit Jahren verkündet, passiert ist nichts. Die große Frage ist: Setzt sich diesmal die Regierung durch? Autonomie ist ein wesentlicher Schlüssel, der aber gekoppelt werden muss mit einer anderen Schulverwaltung und neuem Lehrerdienstrecht.

Ein neues Lehrerdienstrecht wurde ja erst vor einigen Jahren beschlossen - und auch damals ging es bereits um Schulautonomie.

Damals wurde in 33 Verhandlungsrunden keine Einigung erzielt, die Regierung ist bei allen Punkten umgefallen und trotzdem hat die Lehrergewerkschaft dagegen gestimmt. Und jetzt hat man noch den Wahnsinn, dass die Lehrer sich vier Jahre lang aussuchen können, ob sie nach dem alten oder neuen Dienstrecht angestellt werden wollen. Das führt dazu, dass 90 Prozent der AHS-Lehrer das für sie bessere alte System und 90 Prozent der Pflichtschullehrer das für sie bessere neue System wählen. Die einzige Lösung in einem System, wo in kürzester Zeit sehr viel gearbeitet werden muss und insgesamt drei Monate Ferien sind, ist ein Jahresarbeitszeitmodell. Mit dem Halbtagessystem werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern. Schüler werden immer heterogener, darauf müssen die Lehrer vorbereitet werden.

Jetzt bekommen die Schulen aus der Bankenabgabe-Abschlagszahlung 750 Millionen Euro zum Ausbau der Schulinfrastruktur für Ganztagsschulen.

Vorsicht, so interpretieren das die Gegner der verschränkten Form der Ganztagsschule. In Wirklichkeit war das Geld dafür gedacht, die verschränkte Form der Ganztagsschule auszubauen. Aber dagegen gibt es Widerstände, ideologische und von Lehrern, die nicht den ganzen Tag an der Schule sein wollen. Ich behaupte, dass die Widerstände daher kommen, dass die verschränkte Form, die nur drei Prozent der Ganztagsschulen ausmacht, zu wenig bekannt ist. Wo es diese bereits gibt, herrscht hohe Zufriedenheit: Weil der Stress herausgenommen ist, weil man nach der Schule tatsächlich frei hat, weil man den Schultag besser takten kann. Aber jetzt streiten Länder und Gemeinden um diese 750 Millionen, alle wollen es nach eigenem Gutdünken einsetzen. Das ist der Grund, warum unser Bildungssystem so dasteht. Die Regierung hat jetzt ihre letzte Chance zu zeigen, dass unser Bildungssystem doch noch reformierbar ist.

Es heißt, Österreich sei einzigartig beim Einfluss der Lehrervertreter auf die Schulpolitik.

Im Laufe der Jahre wurden die Schulgesetze so geschrieben, dass die Lehrergewerkschaften überall mitreden können. Deshalb wurde jede Reform blockiert. Es gibt auch kein Land, wo zwei Parteien einen derartigen Einfluss auf die Schule ausüben. Wenn wir unser System reformieren wollen, dann muss das die Politik machen. In Dänemark hat es gegen die Autonomie einen mehrwöchigen Streik der Lehrer gegeben, aber die Regierung hat sich durchgesetzt. Die Regierung ist gut beraten, jetzt grundlegende Reformen im Parlament zu beschließen. Autonomie ist gut für die Schule, aber nur wirkliche Autonomie.

Zur Person

Andreas

Salcher

ist ehemaliger Politiker der ÖVP, Mitbegründer der Sir-Karl-Popper-Schule, Berater und Buchautor ("Der talentierte Schüler und seine Feinde").