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Endstation Kabul

Von Marina Delcheva

Politik

Nach dem EU-Abkommen mit Afghanistan werden mehr abgelehnte Asylwerber nach Kabul abgeschoben.


Das Ziel: der Flughafen von Kabul.
© U.S. Air Force / US Government - PD

Wien. Am Mittwoch vergangene Woche bestiegen 19 Afghanen in den frühen Morgenstunden ein Charterflugzeug nach Kabul, unfreiwillig. Sie wurden abgeschoben, weil sie einen negativen Asylbescheid bekommen haben und damit weder ein Anrecht auf Asyl noch auf subsidiären Schutz haben. Während Rückführungen nach Afghanistan in solchen Fällen bisher kaum möglich waren, ändert sich das in den kommenden Wochen und Monaten.

Denn der Charterflug vergangenen Mittwoch war der erste koordinierte Abschiebeflug nach Kabul seit der Unterzeichnung des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und Afghanistan im Oktober des Vorjahres. Auch zehn Afghanen, die aus Schweden ausgewiesen wurden, waren an Board.

Zur Erinnerung: Im Zuge des Deals hat sich Afghanistan verpflichtet, aus der EU abgewiesene Asylwerber zurückzunehmen. Dafür erhält das Land bis 2020 jährlich 1,2 Milliarden Euro.

In der Praxis macht das Abkommen nun das möglich, was vorher besonders schwierig war; nämlich abgelehnte Asylwerber aus Afghanistan tatsächlich dorthin abzuschieben. Bisher haben sich die dortigen Behörden geweigert, Rückreisezertifikate für jene abgelehnten Asylwerber zu unterzeichnen, die nicht freiwillig das Land verlassen wollten.

"Wir sehen jetzt eine geänderte Praxis bei den Behörden", erklärt der Sprecher des Innenministeriums (BMI), Karl-Heinz Grundböck. Das mache Abschiebungen von "geprüften und rechtskräftig negativ abgeschlossenen" Fällen möglich. Das bedeutet also, dass es in naher Zukunft auch mehr Abschiebungen nach Kabul geben wird.

450 Afghanen vor Abschiebung

Derzeit halten sich rund 80.000 eigentlich ausreisepflichtige Afghanen in der EU auf. Laut Innenministerium sind aktuell 450 afghanische Staatsbürger mit negativem Asylbescheid in der Grundversorgung in Österreich. Ihnen droht nun die Abschiebung nach Kabul.

Im Vorjahr waren Afghanen mit 11.742 Anträgen die antragsstärkste Nation, noch vor den Syrern. Anders als bei Flüchtlingen aus Syrien ist allerdings die Asyl-Anerkennungsquote bei Afghanen deutlich niedriger. So haben laut dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) 30 Prozent der Antragssteller 2016 einen positiven Asylbescheid bekommen. Die Hälfte wurde abgelehnt und in 21 Prozent der Fälle wurden die Verfahren eingestellt oder ausgesetzt. 1094 afghanische Staatsbürger haben 2016 Österreich wieder verlassen, rund 600 von ihnen freiwillig.

Innenminister Wolfgang Sobotka freut sich ob des Abkommens, weil so mehr abgelehnte Asylwerber außer Landes gebracht werden können, wie er vergangene Woche gegenüber dem ORF sagte. NGOs kritisieren das allerdings scharf, weil die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor prekär sei und die Menschen dort oft ohne Netzwerk und ohne Perspektive in Kabul auf der Straße landen.

So etwa der 19-jährige Jawid Hossaini, der auch am Mittwoch nach Kabul abgeschoben wurde. "Er ist alleine in Kabul. Er hat kein Geld und er weiß nicht, wo er übernachten kann", sagt Frederic Wüstner, Sportler und freiwilliger Helfer in Vorarlberg. Hossaini sei vor drei Jahren nach Österreich gekommen und am Sonntag nach einem rechtskräftig negativen Asylbescheid in Schubhaft genommen worden. Er sei damals aus Afghanistan geflohen, weil er in ein Mädchen verliebt war, das einem Regierungssoldaten versprochen gewesen sei und dieser ihn bedroht habe. Wüstner und Hossaini, der in Vorarlberg lebte, seien beste Freunde geworden.

"Ich kritisiere vor allem das Fehlen an Menschlichkeit bei den Behörden", erklärt er. Sein Freund sei "einfach mitgenommen" worden und ohne Geld und auch ohne seine Geburtsurkunde nach Kabul geschickt worden, wo er niemanden kenne. "Niemand weiß, was mit den Leuten dort passiert", sagt Herbert Langthaler von der Asylkoordination.

Lange Verfahren

Auch bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen sind afghanische Staatsbürger mit Abstand die größte Gruppe. Etwas mehr als die Hälfte aller 4551 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die 2016 nach Österreich kamen, waren Afghanen. Sie müssen oft länger als etwa Syrer auf ihr Erstgespräch bei der Asylbehörde warten und auch ihre Verfahren dauern meist länger, wie Flüchtlingsbetreuer berichten. Laut BMI dauern Asylverfahren im Schnitt neun Monate. Anders als bei syrischen Flüchtlingen müsse man aber bei Afghanen im Einzelfall genauer und damit länger Fluchtgrund und Herkunft überprüfen, weil die Gefahrenlage in Afghanistan nicht überall gleich sei.

Bis die Jugendlichen zum Verfahren zugelassen werden oder einen positiven Bescheid bekommen, sind viele aber schon über 18. Damit haben sie auch nur ein eingeschränktes Anrecht auf Familiennachzug. Volljährige dürfen nur Ehepartner und Kinder nachholen, Minderjährige die Eltern und andere minderjährige Geschwister. Deshalb, warnt das UN-Flüchtlingskommissariat, würden sich immer jüngere Afghanen auf die Reise in die EU machen.