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Vorhang zu, alle Fragen offen

Von Simon Rosner

Politik

Der Rücktritt von Eva Glawischnig erwischt die Grünen in einer heiklen Phase.


Wien. Der Zug fährt nun ab. Ohne Eva Glawischnig. Die langjährige Bundessprecherin der Grünen bediente sich bei ihrer Abschiedsrede dieser Metapher, um die Beweggründe für ihren Rückzug zu schildern. Durch die Neuwahl hat sich eine neue Situation ergeben, quasi ein Zug-fährt-ab-Signal, das eine Entscheidung notwendig machte: steigt man ein? Oder nicht?

Es habe keinen unmittelbaren Anlass für ihren Entschluss gegeben, sagte Glawischnig. Es dürfte also ein Amalgam aus den jüngsten parteiinternen Querelen, einem "körperlichen Warnsignal", wie Glawischnig eine bedrohliche allergische Reaktion nannte, sowie eben dem Neuwahlbeschluss gewesen sein. Eine Partei zu führen, bedeute 24 Stunden, 7 Tage die Woche zur Verfügung zu stehen, sagte Glawischnig. In Normalzeiten. Und jetzt steht ein Wahlkampf bevor.

Bei der vorgezogenen Nationalratswahl am 15. Oktober haben die Grünen grundsätzlich einen schweren Stand, sollte sich die Erwartung eines knappen Rennens um Platz eins bewahrheiten. Jede Wahl entfaltet aus ihrer spezifischen Situation eine eigene Dynamik. Sie hat dem grünen Ex-Parteichef Alexander Van der Bellen im Vorjahr genutzt, der von vielen gewählt wurde, die primär Norbert Hofer in der Hofburg verhindern wollten; eine Dynamik hat den Grünen auch in Kärnten (Hypo) und Salzburg (Finanzaffäre) genützt, in Wien haben die Grünen 2015 dagegen zigtausende Wähler an die SPÖ verloren, nachdem sich in Umfragen ein enges Rennen um Platz eins zwischen Rot und Blau abzeichnet hatte.

Die schwierige Situation der Grünen ist aber nicht bloß durch einen dezidierten Kanzlerwahlkampf begründet, auch inhaltlich, stilistisch und nun eben auch personell sind Fragen ungeklärt. Im Erweiterten Bundesvorstand heute, Freitag, dürfte nur die interimistische Parteiführung geklärt und Glawischnigs Stellvertreter, Werner Kogler und Ingrid Felipe, mandatiert werden. Die Entscheidung, wer die Grünen als Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidat in die Wahl führen wird, wird wohl erst beim Bundeskongress am 25. Juni beschlossen.

Zuvor müssen naturgemäß auch die übrigen offenen Fragen geklärt werden. Eine Diskussion über die Ausrichtung der Partei ist noch nach jedem enttäuschenden Wahlergebnis ausgebrochen - zum Teil auch nach erfolgreichen. Soll die Partei weiter nach links rücken? Oder gar links-populistisch agieren? Soll die soziale Frage oder doch der Umweltschutz im Vordergrund stehen?

Unter Glawischnig erreichten die Grünen bei der Nationalratwahl 2013 mit 12,42 Prozent ihr bundesweit bestes Ergebnis. Vor allem aber vollzogen die Grünen in ihrer Amtszeit den Wandel hin zu einer Regierungspartei. In Wien, Salzburg, Vorarlberg, Kärnten und Tirol sitzen sie mittlerweile mit am Koalitionstisch, nur die ÖVP tut das noch öfter. Das erfordert einen konsensualeren Umgang mit anderen Parteien, der sich in der Kommunikation nach außen nicht so einfach radikal konterkarieren lässt.

Die Grünen haben unter dem nunmehr ehemaligen Geschäftsführer Stefan Wallner und dem Marketingexperten Martin Radjaby zu einem einheitlichen Werbeauftritt gefunden, wirklich einig waren sich die Grünen aber nicht, ob sie Sujets wie "Weniger belämmert als die anderen" nun witzig oder doch ärgerlich und inhaltsleer finden sollen.

Glawischnig hat in ihrer Parteiführung keine One-Woman-Show geboten, sondern Räume für andere gelassen; für Werner Kogler, der als Hypo-Aufdecker durchs Land tourte; für Michel Reimon, den Kopf der Anti-TTIP-Kampagne. Und auch Peter Pilz ist ohnehin medialer Dauergast, wenngleich ein schwieriger für die Parteiführung. Doch auch ihn hat Glawischnig gewähren lassen. Meistens.

Abgesehen davon ist der grüne Klub jedoch nur bedingt strategisch aufgestellt, die Listenerstellung erfolgt bei den Grünen seit jeher basisdemokratisch. So fehlt aber nun ein logischer Nachfolger, wie ihn etwa die ÖVP mit Sebastian Kurz aufgebaut hat. Das hat aber natürlich auch mit den geringeren Möglichkeiten der Grünen in Form von geeigneten Ämtern zu tun. So gut wie alle Parteichefs der großen Parteien waren zuvor Minister. Alfred Gusenbauer bildet eine Ausnahme, Christian Kern sowie einst Josef Taus führten als Manager staatliche Unternehmen.

Glawischnig selbst war vor ihrer Wahl zur Bundessprecherin 2008 immerhin Dritte Nationalratspräsidentin wie das heute Hofer ist. Über ein so hohes Amt verfügen die Grünen seither nicht - mit einer Ausnahme. Ulrike Lunacek ist eine von 14 Vizepräsidentinnen des EU-Parlaments. Sie wird auch als mögliche Parteichefin genannt. Ebenso Felipe und Astrid Rössler, die in Tirol sowie Salzburg als Landeshauptmann-Stellvertreterinnen fungieren. Doch beide stehen auch vor wichtigen Landtagswahlen.

Den inhaltlichen Fokus zu schärfen, ist für die Grünen wohl grundsätzlich schwierig. Sie könnten zwar eine betont linke Migrationspolitik vertreten und sich damit Alleinstellungsmerkmal im Wahlkampf sichern. Aber wollen sie das? Und was würde das für die Landtagswahlen 2018 bedeuten?

Das Thema Klimawandel ist zwar tatsächlich ein zentrales, wird aber von der Bevölkerung laut Umfragen tendenziell in seiner Bedeutung unterschätzt. Zudem bedeutet Klimapolitik auch einen tiefen Eingriff in persönliche Lebensbereiche: weniger Fleischkonsum, weniger Autoverkehr, weniger Fliegen. In den westlichen Bundesländern, in denen die Grünen mitregieren, offenbaren sich Grundsatzkonflikte. Salzburgs Landeschef Wilfried Haslauer beschrieb es so: "Die Grünen sehen den ländlichen Raum als Erholungsraum für die Städter, wir sehen ihn als Entwicklungsraum für die ländliche Bevölkerung."

Natürlich werden die Grünen im Oktober vor allem in den Städten ihre Wähler lukrieren, so oder so. Seit 2010 verfügen sie in Wien über die Vizebürgermeisterin, und vermutlich war irgendwann in Planspielen auch Maria Vassilakou als mögliche Nachfolgerin ein Thema. Doch das dürfte nunmehr gar kein Thema mehr sein.