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Revolution im Maßnahmenvollzug?

Von Werner Reisinger

Politik

Psychisch kranke Straftäter sollen künftig nicht mehr "Anhängsel" des Strafvollzugs sein, sondern in eigenen Zentren einsitzen.


Wien. Wie geht das Justizsystem mit psychisch kranken Straftätern um? Dass beim Maßnahmenvollzug vieles im Argen liegt, ist seit Jahren bekannt. Während noch in den 80er Jahren nur um die 100 psychisch kranke Straftäter im Maßnahmenvollzug einsaßen, steigt die Zahl seit den 90er Jahren kontinuierlich an. Nach einem leichten Rückgang in den vergangenen Jahren sind es österreichweit aktuell wieder über 900. Anlassfälle - ein völlig verwahrloster Häftling im Maßnahmenvollzug in Stein an der Donau 2014, die Amok-Fahrt mit zahlreichen Toten in der Grazer Innenstadt 2015 und zuletzt der Mord eines psychisch Kranken an einer Passantin am Brunnenmarkt in Wien-Ottakring im vergangenen Jahr - befeuerten die Debatte weiter.

Der Justizminister setzte 2015 eine Arbeitsgruppe ein, nun ist das für Wolfgang Brandstetter zentrale Projekt fertig: Am Dienstag wurde der 73 Seiten starke Gesetzesentwurf für den neuen Maßnahmenvollzug fertig. Sollte er tatsächlich zur Umsetzung kommen, könnte man dies wohl durchaus als Revolution im österreichischen Justizsystem bezeichnen.

Trennung von normaler Haft

Die wohl wichtigste Neuerung: Künftig soll der Maßnahmenvollzug gänzlich vom normalen Justizvollzug getrennt werden. Brandstetter will - nach dem Vorbild der Anstalt in Linz-Asten - forensisch-therapeutische Zentren einrichten. Diese sollen nach außen hin Gefängnisse sein, innen jedoch moderne Betreuungseinrichtungen, in denen Fachpersonal die psychisch kranken Täter individuell betreuen soll. Psychisch kranke Täter, die zum Tatzeitpunkt unzurechnungsfähig waren (Paragraf 21 Absatz 1 Strafgesetzbuch), und jene, die zwar psychisch krank sind, zur Tatzeit jedoch zurechnungsfähig waren (21 Absatz 2), sollen in den Zentren zwar unterschiedlich behandelt werden, jedoch zusammen einsitzen - mit Abstandsgebot, wie der Justizminister betont. Das bedeutet, dass die Umstände der Unterbringung im Maßnahmenvollzug an die Lebensverhältnisse in Freiheit angepasst werden und sich so deutlich vom Alltag in einer herkömmlichen Justizanstalt unterscheiden.

Ziel der Reform ist auch, die Zahl der Einweisungen zu reduzieren. Gelingen soll dies über ein Bündel an Neuerungen: Vor allem soll die Treffsicherheit bei der Verhängung des Maßnahmenvollzugs erhöht werden. Eine Erhöhung des Strafrahmens, ab dem eine Einweisung in eine Haftanstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher überhaupt verhängt werden kann, von aktuell einem auf drei Jahre unbedingte Haft, wie dies nach dem Abschlussbericht der Arbeitsgruppe 2015 im Raum stand, soll es aber nicht geben. Grundsätzlich soll der Maßnahmenvollzug auch weiter bei Anlasstaten, die mit mehr als einem Jahr Strafe bedroht sind, verhängt werden können. Zwischen einem Strafmaß von einem bis drei Jahre soll aber laut Entwurf eine besondere Gewaltgeneigtheit des Täters nachgewiesen werden müssen.

Neuerungen bei Anlasstaten

Eine gefährliche Drohung, wie die mündliche Ankündigung, jemanden umbringen zu wollen, würde demnach auch weiterhin als potenzielle Anlasstat gelten. Die Linzer Gerichtspsychiaterin Adelheid Kastner ist dennoch überzeugt, dass mit einer Erhöhung der Treffsicherheit bei der Verhängung, ambulanter Unterbringung (die es bereits jetzt gibt) und den neuen Zentren eine Reduktion der Maßnahme-Insassen erreicht werden kann, ohne dass es zu einer erhöhten Bedrohung der Sicherheit kommt.

"Bei den Anlassfällen sieht der Entwurf sogar eine Erweiterung vor. Anders als aktuell wird es künftig auch möglich sein, in Ausnahmefällen Vermögensdelikte als Anlasstat zu werten", sagt Kastner zur "Wiener Zeitung". Notwendig dafür sind laut Entwurf eine Strafdrohung von mehr als drei Jahren unbedingter Haft sowie Umstände bei der Tatbegehung, die die Möglichkeit eines "Überspringens" der Gefährlichkeit auf Leib und Leben nahelegen. Als Beispiele nennt der Gesetzesentwurf hier schwere Gewalt gegen Sachgegensände oder Tiere oder Angriffe auf kritische Infrastruktur. Die betroffenen psychisch kranken Straftäter sollen umgekehrt künftig mehr Rechte erhalten. Sie sollen künftig nicht mehr in Untersuchungshaft genommen werden, sondern von Tag eins an immer in eine psychiatrische Anstalt oder in eines der geplanten forensisch-therapeutischen Zentren verbracht werden. Dort soll sofort mit der Behandlung der psychisch kranken Tätern begonnen werden.

Maßnahme-Insassen sollen auch in den Genuss eines deutlich verbesserten Rechtsschutzes kommen: Patientenanwälte sollen die Täter künftig vertreten, in Entlassungsverfahren soll eine notwendige Verteidigung eingeführt werden. In besonderen Fällen sollen auch mündliche Verhandlungen an Ort und Stelle möglich werden.

Mehr Geld für Gutachter

Wesentlich bei der Erhöhung der Treffsicherheit bei der Verhängung der Maßnahme sind laut Adelheid Kastner auch die im Entwurf angedachten Erhöhungen bei den Honoraren für Gutachter. Zwar würden "höhere Vergütungen noch nicht automatisch qualitativ höherwertige Gutachten" bringen, wie die Gerichtspsychiaterin sagt, im Laufe der Zeit würden so aber "sicherlich fachlich hoch qualifizierte Psychiater motiviert werden, auch verstärkt als Gutachter tätig zu werden".

Auch sollen Rolle und Kompetenzen von Sozialarbeitern und der Bewährungshilfe aufgewertet werden. Im Fall ambulanten Vollzugs und bei allfälliger Entlassung soll es ein neues und verbessertes Prüfsystem und neue Bedingungen geben, um erneute Straftaten besser verhindern zu können.