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Expertise ins Parlament

Von Werner Reisinger

Politik

Spitzenpersonal als politische Quereinsteiger: Risiko für Parteien, Aufwertung für den Nationalrat?


Wien. Es ist nicht zu übersehen: Quer durch alle Lager setzen die Parteichefs, Spitzenkandidaten und Spindoktoren auf politische Quereinsteiger. Als Phänomen an sich nichts Neues, immer wieder erwarten sich die Parteien, mit bekannten Gesichtern aus Kultur oder, viel häufiger, aus dem Sport oder aus dem Journalismus, bei den Wählern zu punkten. Oft mit mäßigem Erfolg, wie die Politikkarriere des für die FPÖ in den Nationalrat gewählten Ex-Abfahrtsstars Patrick Ortlieb zeigte, um nur ein Beispiel zu nennen. Gegen Ortlieb wurde 2001 wegen eines Verdachts auf sexuellen Missbrauch ermittelt.

Die aktuelle Konjunktur der politischen Quereinsteiger geht allerdings in eine ganz andere Richtung: Mit der renommierten Biochemikerin Renée Schröderholte sich Peter Pilz jüngst eine Wissenschafterin mit Topruf in sein Team, Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern setzte die amtierende Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner, eine kompetente Tropenmedizinerin, demonstrativ auf Platz zwei der SPÖ-Bundesliste. Ebenso an prominenter Stelle kandidiert die amtierende Bildungsministerin Sonja Hammerschmid, eine Molekularbiologin. Für die Neos zieht die ehemalige Höchstrichterin Irmgard Griss ins Rennen. Und ÖVP-Chef Sebastian Kurz holte sich zwar mit der im Rollstuhl sitzenden, ehemaligen Stabhochspringerin Kira Grünberg eine prominente Sportlerin, am Dienstag präsentierte aber auch er einen Kandidaten, der mit hoher Kompetenz punkten könnte: den Mathematiker Rudolf Taschner.

Taschner und der Klimawandel

Taschner, Professor an der TU Wien, Autor von Sachbüchern und Erfinder des "math space" im Wiener Museumsquartier, einer Einrichtung, die die Errungenschaften der Mathematik einem breiten Publikum vermitteln möchte, soll in der "neuen ÖVP" von Kurz als Wissenschaftssprecher fungieren. Er kandidiert auf Platz sieben der Bundesliste, damit ist ihm ein Platz im Parlament quasi sicher. Ob der Mathematiker im Falle einer Kanzlerschaft von Kurz auch Bildungsminister werden soll, steht noch nicht fest, darüber habe man "gar nicht gesprochen", so Kurz bei der Präsentation seines neuen Mitstreiters am Dienstag.

Doch Kurz handelte sich mit dem Antreten von Taschner prompt heftige Kritik ein. Der Mathematiker schreibt auch des Öfteren für die Kolumne "quergeschrieben" in der "Presse". So zum Beispiel am 29. Oktober 2015, da war unter dem Titel "Klimakatastrophe abgesagt - aber niemand will es wahrhaben" unter anderem zu lesen: "Giftiger noch als Arsen, so empfinden viele das in Wirklichkeit harmlose Kohlendioxid, das die meisten nur in der Abkürzung CO2kennen. (...) Aber, so sagt man, es schade dem Klima, es verantworte den Treibhauseffekt, es ließe das Eis der Polkappen und die hochalpinen Gletscher verschwinden, es erhöhe die Spiegel der Meere und Ozeane, versenke damit Inseln und Hafenstädte, es sorge für Dürre, Hungerkatastrophen und Leid in den heißen Regionen der Erde. (...)" Der künftige Mathematiker zitiert Wissenschafter, die die Notwendigkeit, den CO2-Ausstoß dramatisch zu reduzieren, in Abrede stellen.

Mehr Qualität in Ausschüssen

Bis Redaktionsschluss war der neue Wissenschaftssprecher von Sebastian Kurz nicht für ein Statement erreichbar. Ein gefundenes Fressen vor allem für die grüne Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek, die Kurz "Hofierung eines Klimawandel-Leugners" vorwarf.

Werner Zögernitz, Präsident des Instituts für Parlamentarismus und Demokratiefragen und ehemaliger ÖVP-Klubdirektor, erwartet durch die vielen neuen Wissenschafter dennoch auf eine Aufwertung der parlamentarischen Arbeit. "Speziell in den Fachausschüssen würden die fachlichen Debatten zwischen Regierungsmitgliedern und den Experten deutlich an Qualität gewinnen", sagt Zögernitz. Mehr Abgeordnete mit Expertise würden die Gesetzwerdungsprozesse aufwerten.