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Patienten wollen Cannabis

Von Werner Reisinger

Politik

Studie ergab hohe Zustimmung für medizinische Verwendung - die Hälfte lehnt generelle Legalisierung ab.


Wien. Gisela Bors ist glücklich. Die schwerkranke Burgenländerin - sie leidet seit ihrer Geburt an der erblichen Morbus Wilson, bei der sich Kupfer im Körper ablagert - nimmt seit einigen Jahren Dronabinol, also synthetisch hergestelltes THC, der psychoaktive Hauptinhaltsstoff der Cannabispflanze. Alle möglichen klassischen Medikamente habe sie ausprobiert, sagt Bors, auch in die Physiotherapie sei sie gegangen. Starke Nebenwirkungen hätten die Medikamente gehabt, wirklich geholfen hätten sie gegen die Krämpfe in den Händen und die Schmerzen beim Kauen aber nicht. "Als ich in die Ordination von Dr. Blaas gekommen bin, hat mein Leben wieder anders ausgesehen", sagt Bors.

Der auf Cannabismedizin spezialisierte Allgemeinmediziner Kurt Blaas verschrieb Bors das Dronabinol, für das in Österreich nach wie vor ein Suchtgiftrezept benötigt wird. "Die Schmerzen sind zwar nicht weg, aber ich habe wieder Energie." Das Cannabismedikament habe der Schmerzpatientin neue Lebensqualität zurückgebracht, sagt sie. Wie auch Bors verlangen immer mehr Patienten nach Cannabisprodukten für ihre Therapie. Dem uralten, aber in seiner natürlichen Form in Österreich nach wie vor illegalen Heilmittel stehen die Österreicher durchwegs positiv gegenüber, wie eine neue Studie zeigt.

Mediziner für Blüten-Abgabe

Die medizinische Wirksamkeit von Cannabis ist nicht nur der überwiegenden Mehrheit der 1000 Befragten bekannt, rund 60 Prozent würden auch befürworten, dass medizinisches Cannabis auf Rezept in Apotheken erhältlich sein soll. Rund 60 Prozent sprechen sich aber für eine Abgabe nur nach ärztlicher Verschreibung aus - eine generelle Liberalisierung von Cannabis lehnen 49 Prozent der Befragten nach wie vor ab. Ebensoviele sprachen sich gegen das Recht auf Eigenanbau aus.

"Cannabis ist der Außenfeind, den die Gesellschaft wegen der legalen Suchtmittel Alkohol und Tabak braucht", so Otto Lesch, Präsident der Gesellschaft für Suchtmedizin, am Dienstag anlässlich der Präsentation der Studie. Wie auch Kurt Blaas fordert Lesch nicht nur eine verstärkte Kostenübernahme der Krankenkassen für die bereits erhältlichen Präparate, sondern auch die rezeptpflichtige Abgabe von kontrolliert angebauten Cannabisblüten in der Apotheke. In Deutschland führte eine entsprechende Gesetzesliberaliserung in den letzten Monaten zu einem regelrechten Run von Patienten auf medizinisches Cannabis. Apotheken melden bereits Lieferengpässe.

Der bis zur Jahrhundertwende medizinisch verwendete Hanf sei dem Konkurrenzkampf mit den damals aufkommenden Barbituraten unterlegen, vom Markt verdrängt und schließlich stigmatisiert worden, erklärt der Suchtmediziner. Die Rechtssituation sei neben der Patentproblematik auch der Hauptgrund, wieso bis dato nur ein Bruchteil der über 500 Inhaltsstoffe der Cannabispflanze klinisch erforscht worden ist. "Deshalb brauchen wir die Blüte", sagt Lesch. "Bei vielen meiner Patienten reicht die Therapie mit den verfügbaren Präparaten aus", ergänzt Kurt Blaas. "Einige jedoch haben herausgefunden, dass sie mit dem Konsum von Cannabisblüten viel bessere Erfolge erzielen können." Diese Patienten seien gezwungen, ihren Hanf illegalerweise selbst anzubauen oder sich Cannabis auf dem Schwarzmarkt oder im Ausland zu besorgen. Für Blaas ein unhaltbarer Zustand.

Politik signalisiert Zustimmung

"Aus medizinischer Sicht spricht nichts gegen die Zulassung der Blüten zu medizinischen Zwecken", sagen die Mediziner. Blaas und Lesch begrüßen zwar, dass die Krankenkassen inzwischen 30 bis 40 Prozent der Kosten für Präparate übernehmen. Die Kassen sollen dennoch mehr zahlen. "Eine durchschnittliche Dronabinol-Therapie kostet bis zu 600 Euro pro Monat", sagt Blaas. Beim noch teureren Cannabidiol gebe es so gut wie keinen Kostenersatz. Auch die Schmerzpatientin Gisela Bors bekam die Kosten für das Dronabinol im ersten Therapiejahr nicht erstattet und konnte sich das Medikament nur durch die großzügige finanzielle Unterstützung ihrer Familie leisten. Erst als ihr ein Facharzt attestierte, dass sie bereits alle anderen, klassischen Medikamente vergeblich ausprobiert hatte, war die Kasse zur Kostenübernahme bereit.

Allen voran setzt sich Peter Kolba, Kandidat der Liste Pilz und selbst Schmerzpatient, für einen leichteren Zugang zu Medikamenten auf Cannabisbasis und Kostenübernahme durch die Kassen ein. Er vertritt die Forderung, auch Cannabisblüten per Rezept verfügbar zu machen, offensiv im Wahlkampf.

Von politischer Seite gibt es größtenteils Zustimmung zu den Forderungen der Mediziner: Die Grünen fordern schon länger eine rezeptpflichtige Abgabe von Cannabisblüten in Apotheken, die FPÖ ist hier skeptisch und will Wirksamkeitsstudien abwarten, fordert aber ebenfalls eine Kostenübernahme bei Präparaten. Auch die Neos sind für leistbaren Einsatz von Cannabis und wollen die politische Debatte nicht länger hinauszögern. Die SPÖ hingegen ist mit dem Status quo zufrieden, will jedoch ebenfalls die Ergebnisse der in Deutschland parallel zur rezeptpflichtigen Abgabe von Blüten in Apotheken laufenden, klinischen Studie abwarten. Die ÖVP äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zum Thema.