Wien. Christian Kern ist keiner, den man sich als Oppositionspolitiker vorstellt. Es gibt nicht wenige in der Partei, die ihn in dieser Rolle skeptisch betrachten. Viel zu lange hatte der Manager Führungspositionen inne, in staatsnahen Betrieben wie den Bundesbahnen oder in den vergangenen 17 Monaten, als er die Geschicke des Landes als Kanzler leitete.

Bis vor wenigen Wochen hatte sich nicht einmal Kern selbst ausgemalt, sich in der ungewohnten Rolle des Oppositionsführers wiederzufinden. Als Zuschauer von Schwarz und Blau, der auf Patzer hoffen muss, und darauf, dass seine Partei dann auch das Bein im richtigen Moment weit genug ausgestreckt hält, um die Koalition ins Stolpern zu bringen. Dafür wirkt die SPÖ aber noch zu instinktlos.

Es ist in der Partei unbestritten, dass sich die SPÖ neu aufstellen muss. Kern steht vor der Aufgabe, den roten Parteiapparat umzukrempeln. Dafür muss er die wenig flexiblen Strukturen der SPÖ überwinden. Kern versuchte es im Jänner mit frischem Wind in Form seines Plan A. Doch die Partei ist in weiten Teilen strukturkonservativ. Mit der Rasanz der gesellschaftlichen Entwicklungen wirkt die SPÖ immer altmodischer.

Den Wandel am Arbeitsmarkt hat die Sozialdemokratie im Wahlkampf selbst unterspielt. Die traditionelle Forderung nach Vermögenssteuern ist für rote Parteichefs längst keine Pflicht mehr und die Wertschöpfungsabgabe im Hinblick auf die Robotisierung ist aus Kerns Wortschatz gänzlich verschwunden. Jüngere Wähler erreicht die SPÖ kaum und die Mitgliederzahlen schrumpfen und schrumpfen. Die Jubelstimmung im Wahlkampfzelt in Wien zeigte aber, dass selbst beim Verlust der Kanzlerschaft und allem sonstigen Ungemach zumindest im eigenen Kreis Freude aufkommen kann. Hauptsache, das Wahlergebnis in der eigenen Umgebung passt. Dass die meisten westlichen Landesparteien demoliert oder längst im Auflösen begriffen sind, kümmerte damals niemanden sonderlich.

Die Suche nach sich selbst

Mitte, mitte-rechts, mitte-links oder einfach "nur" links - die SPÖ sucht nach sich selbst. Bis Dienstagmittag ist das SPÖ-Präsidium im Gartenhotel Altmannsdorf auf Klausur und bespricht ihre Strategie für die Opposition. Diese wird mit einer inhaltlichen und strukturellen Veränderung verbunden sein. In einem ersten Schritt stellte sich Kern an die Spitze aller Parteiteile: Klub, Partei und Renner-Institut, die rote Akademie, die er von Alfred Gusenbauer übernahm. Wohl auch, um mehr Einfluss zu bekommen. Zuletzt arbeiteten Kanzleramt, Klub und Partei mehr gegen- als füreinander.