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Der Verlust liegt im Detail

Von Simon Rosner und Petra Tempfer

Politik

Nach der niederösterreichischen Landtagswahl gibt es fast ausschließlich Gewinner. Im Detail betrachtet ist das Ergebnis dann aber doch differenzierter.


St. Pölten. Dort, wo es Gewinner gibt, gibt es normalerweise auch Verlierer. Normalerweise. Bei der niederösterreichischen Landtagswahl am Sonntag war es anders. Nach dieser gibt es fast ausschließlich Gewinner.

Die ÖVP hielt mit 49,6 Prozent die Mandats-Absolute (29 Mandate), die SPÖ gewann 2,3 Prozentpunkte dazu und erreichte 23,9 Prozent (13 Mandate). Die FPÖ verdoppelte mit 14,8 Prozent der Stimmen die Anzahl ihrer Mandate von vier auf acht und stellt künftig einen Landesrat. Der Verlust bei den Grünen hielt sich mit rund 1,7 Prozentpunkten in Grenzen, mit 6,4 Prozent und drei Mandaten blieben sie klar im Landtag. Und die Neos zogen mit 5,2 Prozent bei ihrem ersten Antritt gleich mit drei Mandaten ein.

Grün-pinke Wechselwähler

Betrachtet man das Wahlergebnis im Detail, gibt es aber freilich schon einzelne Bezirke und Gemeinden, in denen Parteien gravierende Verluste oder Gewinne verzeichneten. So zum Beispiel im Speckgürtel Wiens. Vor allem die Gemeinden der Bezirke Mödling und Korneuburg fallen durch extrem hohe Stimmenanteile der Neos auf - offenbar auf Kosten der Grünen, die genau hier die meisten Stimmen verloren. Den höchsten Verlust gab es in Laxenburg mit minus 6,4 Prozentpunkten, gefolgt von Hinterbrühl, Bisamberg, Korneuburg, Gießhübl und Maria Enzersdorf. Vice versa erreichten die Neos in Hinterbrühl den höchsten Stimmenanteil mit 15,2 Prozent. Knapp dahinter liegen Gießhübl, Maria Enzersdorf und Bisamberg.

Dass sich die Situation hier gedreht hat, liegt laut Politikwissenschafter Peter Filzmaier am Wesen der bürgerlich-liberalen Wähler an sich. "Viele von ihnen verstehen sich als Wechselwähler", sagt Filzmaier zur "Wiener Zeitung", "die entweder grün oder Neos wählen." Für welche Partei sie sich schließlich entscheiden, hänge stark von den jeweiligen Themen ab. Den klassischen Stammwähler gebe es grundsätzlich fast nur noch unter den über 60-Jährigen.

Zudem habe der Wegfall des Team Stronach den Neos geholfen, ergänzt Politikberater Thomas Hofer. Beide seien mit den Stichworten Kontrolle und Seriosität in den jeweiligen Wahlkampf zur Landtagswahl (2013: Team Stronach, 2018: Neos) gegangen.

Das Territorium von Grünen und Neos ist jedenfalls Wiens Speckgürtel. Durch seine Stadtnähe funktioniert er ähnlich wie Wien - und anders als der Rest Österreichs. Die Grünen kamen in sieben Gemeinden im Wiener Umland auf mehr als 15 Prozent, nach Eichgraben unter anderem auch in St. Andrä-Wördern (Bezirk Tulln). Die Neos kamen in zehn Gemeinden im Wiener Umland, darunter auch in Klosterneuburg, auf mehr als zehn Prozent.

Die ÖVP-Hochburgen lagen indes im Westen in Richtung Oberösterreich. Dort, "wo die Mehrheit der Meinung ist, dass die Entwicklung des Landes positiv ist", sagt Filzmaier. "Warum sollten sie einen Wechsel wollen?" Mit 81,04 Prozent erzielte die ÖVP in Japons (Bezirk Horn) ihr bestes Ergebnis.

Auf der anderen Seite, im Osten und im Südosten Niederösterreichs, aber auch im nördlichsten Waldviertel waren wiederum SPÖ und FPÖ besonders stark. In Ebenfurth (Bezirk Wiener Neustadt-Land) und Klein-Neusiedl (Bezirk Bruck an der Leitha) hielt die SPÖ die absolute Mehrheit, außerdem in Bärnkopf (Bezirk Zwettl), das im Waldviertel liegt. Hier erreichte sie ihr Top-Resultat mit 51,4 Prozent.

Rot-blaue Arbeitersiedlungen

Warum sich SPÖ und FPÖ vor allem den nordwestlichen Zipfel und den Osten aufteilen, liegt laut Filzmaier an der Arbeitsmarktsituation. "Im Osten sind die klassischen Arbeitervororte, die früher alle rot waren, und wo jetzt die FPÖ immer stärker wird", sagt er. Im Waldviertel seien es eher die Protestwähler, die zur FPÖ wechselten. In einzelnen Regionen sehen sie ihre Zukunftschancen schwinden, zum Beispiel durch die träge Entwicklung der Infrastruktur. Sie sind enttäuscht und wechseln die Partei.

Die FPÖ gewann bei der Landtagswahl mit 6,6 Prozentpunkten am meisten dazu. In sechs Gemeinden lag sie über 25 Prozent. Im Detail betrachtet verzeichnete sie aber auch Verluste - allerdings in nur zwei Gemeinden, Andlersdorf (minus 2,4) und Pernegg (minus 0,04). Franz Huber, Bürgermeister von Pernegg, führt das unter anderem auf die guten Ergebnisse der FPÖ bei den vergangenen Wahlen zurück. "Die FPÖ hatte junge, attraktive, ambitionierte Kandidaten und hat daher stark zugelegt", sagt er. Noch immer liegt sie hier mit 12,7 Prozent an zweiter Stelle hinter der ÖVP (72,3 Prozent).

Entscheidende Kandidaten

Das "Strohfeuer", wie Huber es nennt, sei aber wieder abgeflacht. Warum? Das Thema Flüchtlinge etwa spiele zwar auf Bundesebene eine Rolle - in Pernegg gebe es aber keinen einzigen Flüchtling.

Ihr bestes Ergebnis erreichte die FPÖ in Blindenmarkt im Bezirk Melk mit 34 Prozent. Nur zwei Kilometer weiter im Nachbarort St. Georgen am Ybbsfelde, aber bereits zum Bezirk Amstetten zählend, kamen die Freiheitlichen auf nicht einmal die Hälfte dieses Wertes. Ein Grund für das starke Abschneiden in Blindenmarkt liegt wohl in der Person von Spitzenkandidat Martin Huber, einem von bisher vier Landtagsabgeordneten der FPÖ.

Dieser Effekt war auch in Wiener Neustadt und Umgebung (Udo Landbauer) sowie im gesamten Bezirk Waidhofen an der Thaya zu vernehmen, der Heimat von FPÖ-Klubchef Gottfried Waldhäusl, der in Waidhofen Vizebürgermeister ist. Auffallend ist auch, dass hier, im oberen Waldviertel, die Zahl der Wahlberechtigten seit 2013 um fast vier Prozent zurückgegangen ist, ebenso im Bezirk Neunkirchen im südlichen Niederösterreich. Die Zuwächse der FPÖ fielen da wie dort mit einem Plus von 9,7 beziehungsweise 8,5 Prozentpunkten besonders kräftig aus.

Robert Altschach von der ÖVP ist Bürgermeister in Waidhofen an der Thaya, einer Region, die stark vom Phänomen der Abwanderung betroffen ist. In den letzten Wochen vor der Wahl hatte die FPÖ ein älteres, aber sehr emotional besetztes Thema im gesamten Bezirk erneut aufgebracht: die Schließung der Geburtenstation in der Landesklinik in Waidhofen vor zwei Jahren. Die Zahl der Geburten war rückläufig, irgendwann war sie unter eine pro Tag gefallen, weshalb die Station schloss und umgebaut wurde. In einer Region, die seit Jahren Abwanderung erlebt, ist es naheliegend, dass so eine Entscheidung zu einem Symbol wird.

Absolute dank Zweitwohnsitzern

Der Bürgermeister wehrt sich aber gegen Darstellungen einer siechenden Region. "Dass hier alles zusperrt, ist kein Thema. Es werden auch keine Schulen geschlossen. Und das Postamt ist weg, weil es nicht mehr angenommen wurde", sagt Altschach. Die FPÖ würde ständig Schreckensszenarien wälzen, alles schlechtreden, von enormer Kriminalität und Ausländerproblematik erzählen. "Die Wahrheit ist", so Altschach, "dass wir keine 200 Asylwerber haben, das durchschnittliche Jahresbruttoeinkommen in Waidhofen liegt über dem Schnitt im Waldviertel, wir haben wenige Arbeitslose und eine niedrige Kriminalität."

Dass Landeshauptfrau und ÖVP-Spitzenkandidatin Johanna Mikl-Leitner am Sonntag mit 49,6 Prozent die Mandats-Absolute halten konnte, verdanke sie jedenfalls vor allem den bei Landtagswahlen wahlberechtigten Zweitwohnsitzern, sagte Sora-Experte Günther Ogris. Die Landtagswahl brachte in Niederösterreich teils andere Ergebnisse als die Nationalratswahl: Die ÖVP schnitt wesentlich besser ab als im Oktober 2017, ebenso die Grünen, während die FPÖ jetzt viel schwächer war. Die ÖVP konnte zwar Wähler aller Parteien zu sich holen, in Summe hatte sie fast 66.000 Stimmen mehr als im Oktober - den größten Brocken machten aber laut Ogris 36.000 Personen aus, die bei der Nationalratswahl nicht im Lande wahlberechtigt waren.