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Die Entfremdung

Von Simon Rosner

Politik

Alfred Gusenbauer und die SPÖ. Das war einmal eine vielversprechende Geschichte. Bis Gusenbauer Kanzler wurde.


Wien. Eurofighter? Gusenbauer. Silberstein? Gusenbauer. Paradise Papers? Gusenbauer. Manafort-Affäre? Gusenbauer. Im vergangenen Jahr waren dem Ex-Kanzler recht viele Schlagzeilen gewidmet. Für einen Ex-Kanzler. Für die SPÖ, der Alfred Gusenbauer nach wie vor verbunden ist, ist das mediale Erscheinen des ehemaligen Vorsitzenden nicht gerade angenehm. Freilich: Ein Fehlverhalten ist Gusenbauer in keinem Fall nachgewiesen worden. Fehleinschätzungen gab es sehr wohl.

Die jüngste Aufregung um mutmaßlich verdecktes Lobbying für den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch weist Gusenbauer entschieden von sich, sein Interesse habe einer engeren Kooperation zwischen der Ukraine und der EU gegolten. Diese Ansicht habe er, Gusenbauer, auch gegenüber Gesprächspartnern in den USA vertreten. Die Positionierung ist angesichts seiner Vita naheliegend - wie es auch die heutigen und bisweilen umstrittenen Tätigkeiten des Ex-Kanzlers sind.

Denn internationale Beziehungen sowie die europäische Integration waren Themen, die Alfred Gusenbauer schon früh begleiteten. Oder mehr noch: Er hatte sie stets ins Zentrum seines Wirkens gestellt. Gusenbauer war einer der Hauptorganisatoren des Friedensmarschs in Wien 1982, er besuchte Friedenskonferenzen auf der ganzen Welt, wo er als Anfang-Zwanziger mit Staatspräsidenten, darunter auch Fidel Castro, zusammentraf. Er engagierte sich in der Sozialistischen Internationale, der er nach wie vor angehört.

Der Blick über die Grenzen, das "bigger picture" als politisches Denkmuster: Vielleicht rührt dies auch aus der persönlichen Geschichte Gusenbauers, der einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie entstammend 1960 in Ybbs geboren wurde. Trotz guter schulischer Leistungen war sein Ausbildungsweg vorgezeichnet: nach der Volks- die Hauptschule. Der Direktor aber überzeugte die Eltern, den kleinen Alfred ins Gymnasium nach Wieselburg zu schicken. Auch so etwas wie eine andere Welt.

Schlögl als Unterstützer

Im Jahr 1987 promovierte Gusenbauer zum Doktor der Philosophie, Bruno Kreisky, obwohl schon sehr krank, nahm an der Verleihung teil. Die SPÖ war zu jener Zeit gerade in eine neue Ära eingetreten, die 13 Jahre dauern und nach deren Ende Gusenbauer auf einmal Vorsitzender der SPÖ werden sollte: Es war der Auftakt zur zweiten Periode der großen Koalition.

Gusenbauer war anfangs, noch als SJ-Chef, ein Skeptiker dieser Liaison und des Kurses von Kanzler Franz Vranitzky. Doch bis heute steht die SJ meist in freundschaftlicher Opposition zur Parteiführung, insofern ist das keine Besonderheit.

Doch anders als seine Nachfolger, denen politische Laufbahnen verwehrt blieben, wurde Gusenbauer gefördert. Einer seiner Fürsprecher war Karl Schlögl, fünf Jahre
älter und, 1990, schon einen Schritt weiter, nämlich im Nationalrat.
Gusenbauer war eine Art früher Protegé Schlögls, sollte diesen aber gleich zweimal den Posten des Vorsitzenden kosten. Einmal bei der SJ, dann 1999, bei der Entscheidung zum Parteivorsitz, als Gusenbauer aus dem Windschatten kam und Schlögl leer ausging.

Akkordarbeit für EU-Beitritt

Im Nationalrat war Gusenbauer ab 1993, davor drei Jahre lang im Bundesrat, und da wie dort widmete er sich seinem Leibthema: den internationalen Beziehungen sowie schon damals dem EU-Beitritt, von dem er früh überzeugt war. Als Jung-Politiker sowie als Europa-Referent der NÖ-Arbeiterkammer ging er wochenlang auf Tournee, besuchte hunderte Betriebsratsversammlungen und warb für den Beitritt.

Dass er, der international orientierte, belesene Intellektuelle, der aber eben auch Stahlarbeitern den EU-Beitritt schmackhaft machen konnte, wenige Jahre später zum SPÖ-Vorsitzenden gewählt werden sollte, war damals nicht einmal ein Gedanke. Es war wieder Schlögl, der im rechten Moment den richtigen Hinweis gab. Wenige Wochen, nachdem der damalige NÖ-Landeschef Gusenbauer zum Geschäftsführer seiner Landespartei gemacht hatte, empfahl Schlögl dem SPÖ-Vorstand, Gusenbauer dem glücklosen Andreas Rudas als Bundesgeschäftsführer nachfolgen zu lassen. Als sich dann aber Viktor Klima vom Parteivorsitz zurückzog, griff man erneut zu Gusenbauer, da die einen Schlögl, die anderen Caspar Einem verhindern wollten.

Sechs Jahre lang war Alfred Gusenbauer Oppositionschef. Inhaltlich passierte einiges, auch personell. Doch so richtig warm wurde die Öffentlichkeit mit dem Mann aus Ybbs und seinem Weitblick nie. Der Großangriff aufs Kanzleramt 2006 schien durch den Bawag-Skandal jäh gestoppt, doch Gusenbauer führte die SPÖ entgegen den Erwartungen zurück auf Platz eins. Am 11. Jänner 2007 war Alfred Gusenbauer Kanzler. Im Rückblick war dieser Tag aber auch der Beginn einer Entfremdung.

Zwei Jahre später erhielt Gusenbauer auch schon wieder ein a.D. auf seine Funktion. Der bis dahin am kürzesten amtierende Kanzler der Zweiten Republik. Er schied im inneren Unfrieden, blieb aber (bis 2017) Präsident des Renner-Instituts. Die Rückkehr in den engen Zirkel der Partei erfolgte im Herbst 2016 als Berater auf Ersuchen von Kanzler Christian Kern. Gusenbauer beriet also. Und er empfahl Tal Silberstein. Nun ist Kern der am kürzesten amtierende Kanzler.