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Krimineller Aktionismus?

Von Werner Reisinger

Politik

Ist die Anklageerhebung gegen die rechtsextremen Identitären wegen einer kriminellen Vereinigung legitim?


Graz. Bis zu drei Jahre Haft drohen den Kadern und Aktivisten der rechtsextremen Identitären Bewegung, sollten diese in einem Prozess wegen Verhetzung und Bildung bzw. Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt werden. Wie berichtet, erhob die Staatsanwaltschaft Graz Anklage gegen die um 2012 in Österreich aufkommende Gruppierung, die seit 2016 mit islamfeindlichen und rassistischen Aktionen beachtliche Medienresonanz erwirken konnte. Nicht nur Verhetzung und kriminelle Vereinigung werden den Identitären vorgeworfen, auch - wiederholte - Sachbeschädigung sowie in einem Fall Nötigung sind Teil der Anklage. Zudem wird weiterhin gegen führende Kader der Identitären wegen des Verdachts auf Abgabenhinterziehung ermittelt.

Wie bereits im Zuge des sogenannten Tierschützerprozesses 2012, bei dem Aktivisten ebenfalls wegen des Vorwurfs einer kriminellen Vereinigung angeklagt wurden, werden auch nun kritische Stimmen laut. Ist eine Verfolgung der rechtsextremen Gruppierung nach dem Paragraf 278 (kriminelle Vereinigung) sinnvoll und legitim? Kritiker befürchten eine Kriminalisierung von Aktionismus, wie er von zahlreichen NGOs praktiziert wird. "Gewaltaufrufe sehe ich keine", sagt etwa der Wiener Strafrechtsexperte Helmut Fuchs. "Zudem ist ‚zum Hass aufstacheln‘ ein dehnbarer Begriff. Die Frage ist immer konkret, ob ein Tatbestand erfüllt ist." Einen solchen kann Fuchs beim Verhetzungsvorwurf gegen die Identitären nicht erkennen.

Ganz anders die Einschätzung des Linzer Strafrechtlers Alois Birklbauer. "Den Paragrafen 283, Verhetzung, als Tathintergrund bei der kriminellen Vereinigung hinzuzunehmen, war Teil der Novellierung 2016. Der Hintergrund war, dass man rechtsextreme Gewalt und Agitation, die aber am Verbotsgesetz vorbeischrammt, rechtlich belangen kann." Die zuvor nicht unter Verhetzung fallende pauschale Ausländerhetze habe man "ganz bewusst" beim Strafrechtspaket verschärft, sagt Birklbauer.

Strafrechtsreform 2016

Den Tatbestand kriminelle Vereinigung um die Verhetzung zu erweitern, sei eine konkrete politische Entscheidung gewesen. "Bei politischen Gruppierungen befinden wir uns allerdings immer auch auf einer Gratwanderung."

Die Identitären aber hätten sich ebenso bewusst vom Verbotsgesetz abgegrenzt, um nicht juristisch belangt werden zu können. "Die Identitären werden sicher juristisch sehr gut beraten", so die Einschätzung des Strafrechtlers. "Wenn es genügend Indizien für eine gezielte Verhetzung gibt, dann ist die Anklageerhebung wohl korrekt. Was der Staatsanwalt nicht anklagt, kann nie zur gerichtlichen Klärung gelangen."

Hansjörg Bacher, Sprecher der Grazer Staatsanwaltschaft, will sich in die "politische Diskussion", wie er sagt, nicht hineinziehen lassen. "Nach Abschluss unserer Ermittlungen gehen wir von einer Verurteilungswahrscheinlichkeit aus. Aus unserer Sicht sind die Tätigkeiten der Identitären eben mehr als bloßer Aktionismus." Ausschließlich und pauschal gegen Muslime zu agitieren, erfülle den Verhetzungstatbestand. "Und wenn sich eine Gruppierung zum Ziel setzt, dies wiederholt zu tun, dann ist das eine kriminelle Vereinigung. Das ist einfach am Gesetz festzumachen", sagt Bacher. Ob das auch so in ein Urteil gegossen werde, sei eben Sache eines unabhängigen Gerichts.Schützenhilfe bekommen die Grazer Staatsanwälte auch vom Generalsekretär des Justizministeriums, Christian Pilnacek. Er weist darauf hin, dass mit der Strafrechtsreform 2016 europäische Leitlinien umgesetzt worden seien. Die Arbeit der Staatsanwaltschaft Graz bezeichnet er als "akribisch". "Die Identitären setzen auch im Netz Islam und Terrorismus gleich", sagt er.

Bedenken, wonach bei einer Verurteilung der Rechtsextremen in der Folge auch zivilgesellschaftliche NGOs kriminalisiert werden könnten, die, wie etwa Greenpeace, ebenfalls auf Aktionismus setzen, weist Pilnacek als "oberflächlich" zurück: "Setzt Greenpeace auf Hass gegen Muslime?" Die Frage sei schließlich, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der Menschenverachtung toleriert wird, oder nicht.