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"Wir haben neun Suboptima, aber kein Optimum"

Von Martina Madner

Politik
Claus Raidl verabschiedet sich am Freitag von der Spitze der OeNB.
© Luiza Puiu

Nationalbank-Präsident Raidl gibt zum Abschied noch einmal den Kritiker - zu Föderalismus und Sozialpartner.


Claus Raidl lenkte die Geschäfte heimischer Großkonzerne, war viele Jahre Vorstandsvorsitzender von Böhler-Uddeholm. In wirtschaftspolitischen Fragen nahm er sich nie ein Blatt vor dem Mund. Am Freitag verabschiedet er sich nach zehn Jahren auch aus seinem Amt als Nationalbank-Präsident. Bei der OeNB hält sich Raidl zurück, mit Kritik am Föderalismus und den Sozialpartnern dagegen nicht.

"Wiener Zeitung": Bundespräsident Alexander Van der Bellen meinte bei der Eröffnung des politischen Symposiums beim Forum Alpbach: "Manche halten das Thema Migration für die größte Herausforderung unserer Zeit, ich nicht." Wie sehen Sie das?

Claus Raidl: Wenn man mit der Bevölkerung spricht, stellt man schon fest, dass die Migration das Thema ist, das sie am meisten beschäftigt. Es ist nicht so sehr die Arbeitslosigkeit, obwohl sie noch hoch ist, wir haben ein gutes Wirtschaftswachstum, eine mäßige Inflation. Migration ist ein sehr emotionales Thema, daher muss man es vorsichtig behandeln. Ob man das Thema politisch immer so sehr in den Vordergrund stellen und alles mit der Migrationsfrage verknüpfen sollte, darüber kann man aber diskutieren.

Gegen die Abschiebung von Asylwerbern in der Lehrausbildung gab es auch von manchen ÖVP-Politikern Widerspruch. Nun will die Regierung die Lehre in Mangelberufen für Asylwerber wieder abschaffen. Macht das Sinn?

Für den Standpunkt der Regierung habe ich Verständnis: Dass das was im Gesetz steht, auch gilt. Man kann jetzt nicht kasuistisch für gewisse Gruppen oder aus Wirtschaftsinteressen andere Regelungen erfinden. Natürlich kann man auch nicht sagen: Es lebe das Gesetz, auch wenn die Welt zugrunde geht. Aber wenn man das ändern will, soll man das per Gesetz machen und nicht auf Zuruf außergesetzliche Regelungen schaffen.

Die Wirtschaft klagt generell über zu wenig Fachkräfte, trotz Rot-Weiß-Rot-Karte. Braucht es weniger Einschränkungen bei der Zuwanderung?

Man muss zwischen Asylwerbern und Asylberechtigten, und Menschen, die nach Österreich einwandern wollen, unterscheiden. Für Asyl gibt es internationale Gesetze, darüber gibt es überhaupt keine Debatte, dass Österreich diese erfüllen muss und auch erfüllt. Die andere Frage ist, was für jene gilt, die man als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet, die nach Österreich einwandern wollen, um ihren Lebensmittelpunkt hierher zu verlegen. Und bei der Rot-Weiß-Rot-Karte kann man ruhig darüber diskutieren, ob die Einkommensuntergrenze, die man überspringen muss, nicht zu hoch ist. Man kann diese senken Grenze senken, damit mehr gut Qualifizierte und Facharbeiter ins Land kommen können, die wir brauchen.

Kritik an der Regierung gab es auch an der Ausweitung der Höchstarbeitszeit auf bis zu 12 Stunden pro Tag. Das hat der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter als "übermütig" bezeichnet. War die Regierung da übermütig?

Ich halte die Regierung in diesem Punkt überhaupt nicht für übermütig. Erst mal: Da geht es um ein Bundesgesetz, das einen Landeshauptmann nicht berührt. Und: Hier wird nur nachvollzogen, was wir betriebsintern schon praktizieren, das hat die Regierung nun auch im Gesetz nachvollzogen. Schon die Regierung Kern hat den Sozialpartner eine Frist bis Juni 2017 gesetzt und gesagt, wenn es zu keiner Lösung kommt, dass es dann eine Regelung ohne die Sozialpartner gibt - so ist es gemacht worden und ich finde das durchaus vernünftig.

Das Gesetz hätte aber anders ausgesehen, was die Mitsprache von Betriebsräten und auch die Freizeit angelangt. Jetzt berücksichtigt es nur Wünsche der Arbeitgeber.

In der Zwischenzeit waren Wahlen, die Gewichte der Macht haben sich verschoben, das werden die Sozialpartner zur Kenntnis nehmen müssen. Außerdem gab es damals auch zwei Themen, das eine war der zwölf Stundentag, das andere war ein Mindestlohn von 1500 Euro ab 2020. Die Arbeitgeber haben sich hintergangen gefühlt, weil man dem Mindestlohn zugestimmt hat, die Arbeitnehmer dem Zwölfstundentag aber nicht. Da hat offenbar die Arbeitnehmerseite vom Konsens auf Konfrontation umgeschwenkt, auf Konflikt statt auf Kompromiss. Und die Sozialpartner müssen zur Kenntnis nehmen, dass ihre Mitarbeit erwünscht, ihre Vorherrschaft aber unerwünscht ist.

Jetzt beginnen bald die Lohnrunden im Herbst, erwarten sie da heuer Klassenkampf?

Das glaube ich nicht, die Arbeitnehmervertreter sind nicht die Vorhut der Opposition. Sie werden sich auf die Lohnpolitik und die Arbeitsbedingungen beschränken, das ist der Sinn der Kollektivvertragsverhandlungen. Hier mit Klassenkampf zu drohen, ist nicht sehr sinnvoll. Es wird vielleicht härter und länger verhandelt, aber es wird auch in diesem Herbst eine Lösung geben.

Ein Benefit der Sozialpartnerschaft war auch immer, dass Streiks in Österreich beinahe in Sekunden gemessen werden kann.

Das ist auch gut so.

Bringt die Regierung diesen Standortvorteil nun in Gefahr, wenn sie die Arbeitnehmer außen vor lässt?

Noch einmal: Es gab einen Regierungswechsel, das ist von allen zu akzeptieren. Wenn also die eine Seite glaubt, weil ihre Freunde nicht mehr in der Regierung sitzen, zur Konfliktstrategie zu wechseln, wird man sehen, wie sich das auswirkt. Ich plädiere nicht für Streiks oder Klassenkampf, aber für eine ehrliche und harte Auseinandersetzung statt dieser verlogenen Konsensmentalität.

Die Regierung scheint eher auf einen nationalstaatlichen Kurs geschwenkt zu sein. Ist Ihnen die Politik europäisch genug?

Das ist eine sehr wichtige Frage. Es ist leider festzustellen, dass innerhalb vieler EU-Länder die nationalen Interessen im Vordergrund stehen, obwohl gerade für Österreich die Einbindung in die EU und den Euro ein Vorteil ist: Die stabile und einheitliche Währung hat natürlich unserer Exportwirtschaft enorm geholfen. Die EU ist eine Erfolgsgeschichte. An der proeuropäischen Einstellung von Bundeskanzler Sebastian Kurz habe ich überhaupt keinen Zweifel. Der Koalitionspartner könnte aber öfter dokumentieren, dass er Europa und den Euro nicht in Frage stellt.

Das Standortentwicklungsgesetz, dass Großprojekte beschleunigen sollte, muss nun weil europa- und verfassungsrechtswidrig überarbeitet werden. Wurde da zu schnell gehandelt?

Das Anliegen halte ich für berechtigt: Die Verfahren für Genehmigungen von Bauvorhaben dauern schon sehr lange. Die Idee, die Behörde unter Druck zu setzen, damit sie entscheidet, halte ich für richtig. Aber natürlich muss das rechtskonform sein.

Hätte man das nicht schon vorab so gestalten können?

Ich verstehe nicht, warum man in Österreich keine Konflikte aushält, alles muss in einer Mauschelei vorab geklärt werden. Man sollte diskutieren und dann gestaltet man ein Gesetz, natürlich EU- und verfassungsrechtskonform. Die Behörden sitzen manchmal schon am hohen Ross.

Wo bräuchte es noch Bürokratieabbau?

Das Grundproblem ist, dass wir in Österreich zwar gut, aber zu teuer verwaltet werden. Wir haben fünf Ebenen, die EU, den Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden. Als die EU dazu gekommen ist, wollte man eine Ebene herausnehmen, das ist aber so nie passiert. Ich stelle mir schon die Frage: Warum brauchen die Länder eine Gesetzgebung? Die kann man ihnen wegnehmen. Wieso brauchen wir neun Bauordnungen? Das ist ein furchtbares Problem. So haben wir neun Suboptima, aber kein Optimum.

Ist das nicht schon die Abschaffung des Föderalismus?

Nein, ich würde die Landtage beibehalten, sie übernehmen dann andere Aufgaben, zum Beispiel Kontrolle, so wie die Wiener Bezirke auch. Manche davon sind übrigens größer als ein Bundesland.

Die Lehman-Pleite jährt sich bald zum zehnten Mal - sie waren damals gerade bei der OeNB frisch dabei - wie war das?

Als ich die Bilder der Lehman-Leute mit den Kartonschachteln auf der Straße gesehen habe, habe ich mir gedacht, da ist Undenkbares passiert. Wir haben mit Lehman bei den Böhler-Uddeholm-Börsegängen in den 90ern zusammengearbeitet, ich hätte mir das damals nie träumen lassen. Die Pleite hat aber auch gezeigt, dass hier beim Bündeln und Weiterverkaufen von Hypothekarkrediten offenbar jedes Risikogefühl verloren gegangen war. Das hat dann zu großen Bankenreformen geführt.

Es gab Bankenrettungspaket, das damals als gutes Geschäft versprochen wurde. War es das?

Wenn man die Hypo Alpe Adria dazu rechnet, natürlich nicht. Aber das Partizipationskapital, das beispielsweise an Raiffeisen und Erste vergeben wurde, wurde mit Zinsen zurückgezahlt. Das war ein gutes Geschäft. Insgesamt hat der Steuerzahler aber zur Bankensanierung beitragen müssen. Die Probleme der Hypo Alpe Adria hatten allerdings nichts mit der internationalen Bankenkrise zu tun, das war ein hausgemachtes Problem. Ich will nicht Größenwahn sagen, es war aber eine sehr lockere Kreditvergabe in Südosteuropa. Während das Engagement der anderen österreichischen Banken in Osteuropa in Summe eine Erfolgsgeschichte ist.

Es folgten auch Regulierungen der Banken, viele stöhnen da - zu Recht?

Weil das Aufgabe der Notenbanken ist, nur einen Satz dazu: Ich habe für die Bankdirektoren schon Verständnis, wenn sie mir Kiloweise Papier mit Regularien zeigen. Man will jetzt für die kleineren Banken einfachere Regeln schaffen. Wir müssen aufpassen, dass wir mit den Detailregeln nicht über das Ziel hinausschießen. Man könnte auch statt der vielen Regeln die Eigenkapitalanforderungen der Banken erhöhen, dafür spricht einiges.

Wie viele Stunden nahm ihr Amt als Nationalbankpräsident in Anspruch?

Es ist kein Fulltimejob. Ich habe ihn in den ersten beiden Jahren auch neben meinem Hauptberuf bei Böhler-Uddeholm gemacht. Es ist eine wichtige Tätigkeit, aber man kann sie mit anderen Tätigkeiten vereinbaren.

Haben Sie bereits Pläne für die Zeit ab September?

Nein, es war für mich eine hochinteressante Zeit in der Nationalbank, ich habe das zehn Jahre gemacht, ich habe sehr viel gelernt, man konnte mit der Erfahrung aus der Realwirtschaft einiges dazu beitragen. Ich bin in einem Alter, wo man dankbar ist, dass man so ein interessantes Leben gehabt hat, und ich habe noch genügend andere Funktionen, sodass sich keiner Sorgen machen muss, dass ich mich langweilen werde.