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"Ich stehe nicht zur Verfügung"

Von Simon Rosner

Politik

Niemand scheint in der SPÖ den Vorsitz zu wollen. Doris Bures ist dennoch in der Favoritenrolle.


Wien. Manchmal kann man sich die Politbühne wie ein Fußballmatch vorstellen. Man muss zur richtigen Zeit zur Stelle sein, wenn es was zu erben gibt. Wie ein Stürmer, der genau dort steht, wo der Ball hinfliegt, als würde nicht er den Ball suchen, sondern der Ball ihn. Bei solchen Stürmern sehen die Tore oft ganz einfach aus, weil sie eben nur den Fuß hinhalten müssen.

Was man bei diesen Angreifern nicht sieht, ist die Arbeit, die dahintersteckt, um genau dort zu stehen, und das zur richtigen Zeit. Das viele Training, die richtigen Transfers, für die man gute Kontakte braucht, das Wohlwollen des Trainers. Und, natürlich, ist es dann im Match oft so, dass die Stürmer, bevor sie freistehend den Ball über die Linie bugsieren, den Gegenspieler fernab des Geschehens mit einem Rempler zur Seite geräumt haben. Es ist die Kunst, es so unauffällig zu machen, dass es der Schiedsrichter nicht sieht. Wichtig ist: zur richtigen Zeit, am richtigen Ort zu sein, dort, wo es was zu erben gibt.

Es war bei Christian Kern nicht anders, der einfach da war, als Werner Faymann zurücktrat, der sich aber auch davor in Position gebracht hatte - inklusive Rempler. Sebastian Kurz hatte sich mit einem hochprofessionellen Team, und wohl mit einigen Remplern mehr, dorthin gebracht, wo er einfach nur mehr "Ja" sagen musste und sogar eine ganze Reihe an Forderungen diktieren konnte.

Bei der SPÖ sieht es, um den Fußballvergleich weiterzuführen, so aus: Dort, wo der Ball hinsollte, in den Strafraum, steht derzeit niemand. Die Spieler schauen sich gegenseitig an, winken ab, schleichen weg. Das hörte sich dann so an: "Ich werde für diese Funktion nicht zur Verfügung stehen." Das sagte wörtlich Hans Peter Doskozil, der im Burgenland bleiben und dort planmäßig Hans Niessl als Landeshauptmann Ende Februar nachfolgen will.

Ganz ähnlich formulierte es auch Peter Kaiser, der in Kärnten bleiben will, dort von den Wählerinnen und Wählern erst im Frühjahr recht eindrucksvoll mit 48 Prozent bestätigt wurde. Und auch Doris Bures teilte mit, dass sie "nicht zur Verfügung stehen" werde: "Ich habe in den letzten Jahren die Aufgabe im Parlament mit großem Einsatz, großer Freude und großem Engagement ausgeübt, und ich werde das auch in Zukunft tun", sagte die Zweite Nationalratspräsidentin. Bures werden Ambitionen nachgesagt, die erste Bundespräsidentin Österreichs werden zu wollen. Zeitlich würde sich das sogar ausgehen, allein, das Amt der Bundespräsidentin verträgt sich nicht mit jenem einer Oppositionsführerin und Parteichefin. Bei Alexander Van der Bellen lagen Jahre dazwischen, Heinz Fischer war bei seiner Wahl Zweiter Nationalratspräsident - wie Bures. Sie müsste sich also wohl zwischen diesen zwei Kandidaturen entscheiden.

Rasche Entscheidung

Bis spätestens 15. Oktober, genau ein Jahr nach der Nationalratswahl, soll die Nachfolge Kerns geklärt sein. Darauf verständigte sich der SPÖ-Vorstand am Mittwoch. Der ursprünglich für Oktober geplante Parteitag findet dann am 24. und 25. November statt.

Der Absagereigen ist zwar grundsätzlich schon ernst zu nehmen, und bisweilen stecken logische oder zumindest persönlich nachvollziehbare Motive dahinter. Doch das gehört auch zum Spiel dazu, fast wie im Fußball: andeuten, täuschen und möglichst für Verwirrung sorgen.

Zur Erinnerung: Am Tag vor dem Rücktritt Reinhold Mitterlehners hatten zwei Zeitungen von geheimen Telefonkonferenzen der ÖVP-Oberen berichtet, in denen sich Sebastian Kurz geweigert haben soll, die Partei zu übernehmen. Das Ergebnis ist bekannt. Je geringer die Zahl der Anwärter ist, desto mehr kann der Wunschkandidat verlangen. So wie bei Kurz, der all-in gegangen war und alles abräumte. Eine derartige Übernahme der SPÖ durch eine ganze Mannschaft samt schillerender Persönlichkeit ist aber nicht in Sicht.

Klar ist, dass eine Entscheidung nicht gegen den Willen der Wiener SPÖ und ihres Chefs Michael Ludwig getroffen werden kann. Bei Kern war dies der Fall, Häupl hatte nämlich Medienmanager Gerhard Zeiler präferiert. Das wird der Landespartei eher nicht noch einmal passieren.

Ludwig sprach sich für eine Person aus, die viel Erfahrung mitbringt, schließlich befindet sich die Partei gerade in einer schwierigen Situation. Die Geschehnisse vom Dienstag hatten alte Wunden aufgerissen und neue verursacht. Dass es zu Indiskretionen gekommen ist, die Kern desavouierten, ist offensichtlich.

Ludwigs Anforderungsprofil

Für Ludwig wäre auch wichtig, dass der oder die neue Vorsitzende einen Platz im Nationalrat hat. Das ist aber auch logisch. Als Oppositionspartei kann man nicht auf diese Bühne verzichten, womit Peter Kaiser kein Thema wäre. Er sagte zwar, dass er nicht nach Wien wechseln wolle, aber er könnte auch gar nicht. Er hat bei der Nationalratswahl auf keiner Liste kandidiert, deshalb könnte er in Wien höchstens ein Büro in der Parteizentrale beziehen. Das wäre sinnlos.

Bei Doskozil ist der Fall anders gelagert. Er hatte sein Mandat, nahm dieses aber nicht an und ging ins Burgenland. Der Weg zurück wäre zwar kein Problem, doch wenige Monate vor der Übernahme des Burgenlandes als Landeshauptmann wäre das nicht logisch. Doskozil polarisiert auch in Wien zu sehr, das kann Ludwig auch nicht brauchen.

Dass einer oder eine aus dem einstigen Regierungsteam von Kern diesem nachfolgt, ist angesichts der Ereignisse vom Dienstag und deren Rezeption ebenso unrealistisch. Die Gewerkschaft hatte gerade Anlauf zu einem heißen Herbst genommen, fühlt sich nun ausgebremst. Und die Unterstützung der Gewerkschaft wird bei der Suche nach einem neuen SPÖ-Vorsitzenden auch von zentraler Bedeutung sein.

Und dann gibt’s noch einen Faktor, der beachtet werden muss. Die SPÖ steht langsam unter einem gewissen Druck, eine Frau an die Spitze zu hieven. Nach Faymann war Kern gekommen, dann durfte sich Rudolf Hundstorfer um die Bundespräsidentschaft bewerben, und bei der EU-Wahl wird nun erneut Kern auf Platz eins kandidieren.

Wen will die Gewerkschaft?

Das wird auch den Druck auf Bures erhöhen, ihr Nein zu überdenken. Sie hätte die Gewerkschaft hinter sich und den Wiener Bürgermeister, doch auch aus anderen Landesparteien dürfte kein großer Widerstand zu erwarten sein. Bures war Bundesgeschäftsführerin, Abgeordnete, Ministerin, Nationalratspräsidentin. Mehr an Erfahrung kann gegenwärtig niemand in der SPÖ aufweisen. Viel spricht für Bures, wenig gegen sie. Gut möglich, dass es deshalb auch recht schnell gehen könnte. Zumal eine Kandidatur für das Bundespräsidentenamt alles nur keine einfache Angelegenheit ist. Hundstorfer zählte in der Regierung zu den Ministern mit den höchsten Vertrauenswerten, erlitt aber dennoch eine schwere Niederlage.

Den Vorsitz der SPÖ zu übernehmen, ist auch kein Beinbruch. Ob Bures, die langjährige Vertraute Faymanns, dann jene sein wird, die die SPÖ als Spitzenkandidatin in die nächste Wahl (planmäßig 2022) führen wird, ist eine andere Frage. Sie muss aber nicht jetzt beantwortet werden. Möglich, dass es in vier Jahren eine frische Kraft braucht, die als Projektionsfläche für Hoffnungen aller Art taugt. Vielleicht neigt der Wunsch des Elektorats aber auch in Richtung Erfahrung nach einigen Jahren eines sehr jungen Kanzlers.

Um nun wieder zum Fußball zurückzukehren: Wenn sich Kern nun um eine Nachfolgerin umschaut, den Ball also hoch nach vor in den Strafraum kicken sollte, wäre es keine Überraschung, wenn genau dort, wo man zur richtigen Zeit, am richtigen Ort stehen muss, Doris Bures, die Frau für alle Positionen in der SPÖ, stünde. Sie wird nicht mehr viel tun müssen, wie das eben bei guten Stürmerinnen der Fall ist. Oder, in ihrem Fall, sie wird nicht viel anderes tun können.