Zum Hauptinhalt springen

Reise nach Europa

Von Werner Reisinger

Politik

Damit er die Chancen bei der EU-Wahl wahren kann, braucht Christian Kern eine ideale Kandidatenliste.


Wien/Brüssel. Nun also die europäische Bühne. "Überrascht" und recht verhalten positiv fielen die Reaktionen von Christian Kerns europäischen Parteifreunden bei deren Treffen in Salzburg am Mittwochabend aus. Kern hat offiziell seine Kandidatur für die Position des Spitzenkandidaten der sozialdemokratischen progressiven Allianz S&D angekündigt. Seine Chancen sind schwer einzuschätzen: Dem Niederländer Frans Timmermans werden Ambitionen nachgesagt, ebenfalls dem Franzosen Pierre Moscovici, aktuell EU-Wirtschaftskommissar.

Er schließe eine Bewerbung als Spitzenkandidat nicht aus, in zwei bis drei Wochen wolle er seine Entscheidung bekanntgeben, sagte Timmermans am Donnerstag in einem Interview. Dem Vernehmen nach könnten auch Spanien oder Italien Kandidaten ins Rennen schicken. Bereits beworben hat sich der slowakische Sozialdemokrat Maros Sefcovic, Vizepräsident der EU-Kommission.

Die Kandidatensuche für die SPÖ-Liste bei der kommenden EU-Wahl läuft nur zögerlich an. Das ist wohl auch dem Umstand geschuldet, dass Kern ein optimales Team benötigt, wenn er seine Erfolgschancen wahren will. Ob es ihm gelingt, ein solches zusammenzustellen, hängt nach wie vor von der Partei ab.

Dass der in der Stunde der Übernahme des Chefsessels groß umjubelte Kern auch damals schon Feinde in der Partei hatte, ging im medialen Taumel und der eigenen Inszenierung unter. So wie sie selbst keine gute Managerin ist, sei Kern kein guter Politiker, ließ die jetzige Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures noch vor Kerns Kür wissen. Bures ist enge Vertraute von Kerns Vorgänger Werner Faymann, den eine Allianz aus SPÖ-Landeschefs, allen voran Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser, wiederum ein Vertrauter von Kern, im Mai 2016 vom Chefsessel geholt hatte. Wie auch Kern hatte übrigens Faymann noch wenige Wochen vor seinem Rücktritt bekundet, man solle noch länger mit ihm rechnen.

Feind, Todfeind, Parteifreund

Kern neigte dazu, diese parteiinternen Gegner wie auch die internen Strukturen zu unter- und seine eigene Wirkungsmacht, sein zweifellos vorhandenes Charisma zu überschätzen. Wer aus dem engen Kreis jener, die Kern über seine EU-Pläne informiert hatte, die Infos nach außen getragen hatte, ist bis heute unklar. Allerdings: Gerüchte, wonach Kern nach der Nationalratswahl und im Falle einer Niederlage einen angeblich schon längst gesicherten Posten bei der russischen Gazprom antreten würde, streuten Kern-Kritiker schon im Mai 2017, viele Monate vor dem Wahltermin. Am Dienstag tauchte das Gerücht, gekoppelt mit seinem unmittelbar bevorstehenden Rückzug, in Zeitungen auf.

Die Entwicklung von innerparteilichen Fraktionsbildungen und vor allem eine zunehmende Zerrüttung der Beziehungen zwischen Löwelstraße und einst mächtigen Landesparteien, wie beispielsweise in Oberösterreich, begann allerdings bereits in der Faymann-Ära.

Nicht nur gelang es Kern nicht, diese Altlasten zu sanieren - dafür nahm er selbst viel zu viel Platz ein. Die innerparteilichen Gräben, etwa zwischen dem Burgenland und den Parteilinken und den Jungen sind auch durch die nun offen gewordene Intrige gegen Kern wohl nicht kleiner geworden. Wohl auch deshalb wird der Druck auf die erfahrene Doris Bures, die Parteiführung am nun auf Ende November verschobenen Parteitag zumindest interimistisch zu übernehmen, noch größer werden. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, ohne dessen Zustimmung nichts geht, wünscht sich eine Persönlichkeit mit möglichst großer Erfahrung an der Parteispitze.

Ein Scheitern bei seinem Versuch, Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten zu werden, könnte Kern mit einem guten SPÖ-Europawahlergebnis noch etwas ausgleichen. Geht aber auch die Wahl für ihn schlechter aus als erwartet, wird Kerns Reise nach Europa wohl anders aussehen, als er es sich nun möglicherweise vorstellt.