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Versicherten droht böses Erwachen

Von Karl Ettinger

Politik

Widerstand gegen Beitragsprüfung durch die Finanz: Kassen warnen vor späteren Nachteilen bei Leistungen.


Wien. Für die Österreicher handelt es sich auf den ersten Blick um ein weiteres Kräftemessen zwischen Bundesregierung und Krankenkassen wegen der Sozialversicherungsreform. Der Gesetzesentwurf von ÖVP und FPÖ sieht vor, dass die Zuständigkeit für die Sozialbeiträge von den Kassen an die Finanz übertragen wird. Dabei geht es um eine wichtige Frage für alle Versicherten.

Von den Beiträgen sind nämlich die Leistungen abhängig. Deswegen wird jetzt von Seite der Sozialversicherung mit Nachdruck gewarnt. Denn niedrige Beiträge haben weniger Krankengeld oder Arbeitslosengeld und später auch weniger Pension zur Folge.

Mitten in der Begutachtung für die türkis-blaue Sozialversicherungsreform macht nun die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) mit Obfrau Ingrid Reischl unterstützt von Experten des Hauptverbandes der Sozialversicherungen auf diese Gefahr aufmerksam. Betroffen wären grundsätzlich die Versicherten österreichweit.

Auslöser für den Alarm ist die geplante Verlagerung der Kompetenz für die Beitragsprüfung von den Krankenkassen zum Finanzministerium. Gleichzeitig sollen rund 320 bis 350 Prüfer zur Finanz "übersiedeln". Was nach einer Personalverlagerung ausschaut, hat nach Darstellung der Sozialversicherung Auswirkungen für die Sozialversicherten, weil ein Rückgang der Beitragseinnahmen befürchtet wird. Erklärung dafür: Die Finanz prüft zwar die Richtigkeit der Steuern und Abgaben für die angegebene Entlohnung. Die Kassenprüfer kontrollieren hingegen auch, ob ein Beschäftigter nach dem richtigen Kollektivvertrag entlohnt wurde oder ob alle Überstunden abgegolten wurden. Das kommt letztlich den Betroffenen in Form höherer Ansprüche auf Sozialleistungen zugute.

Kassenchefin Reischl und Herbert Choholka, Abteilungsleiter für Melde- und Beitragswesen im Hauptverband, untermauern die Diskrepanz mit nackten Zahlen, Geld, das durch Prüfungen von 2015 bis 2017 eingetrieben wurde. Von der Finanz wurden 452 Millionen Euro nachverrechnet, von der Sozialversicherung 610 Millionen Euro. Macht einen Unterschied von fast 150 Millionen, die, so fürchten die Kassen, künftig für Leistungen abgehen.

"Das wirkt sich spürbar auf jeden aus"

"Das wirkt sich spürbar auf jeden Einzelnen aus", betont Thomas Svinger, Fachmann in der Wiener Kasse. "Wir reden da schon von 100 bis 200 Euro weniger Pension", betonen die Kassenvertreter unter Hinweis auf die Berechnung von Beispielen. Am häufigsten betrifft die Nachverrechnung von Beiträgen durch die Kassen bisher Zulagen und Urlaubsgeld, die falsch oder gar nicht eingerechnet wurden. Im Handel sind Angestellte laut WGKK oft betroffen, wenn es um die höhere Abgeltung der Einkaufssamstage vor Weihnachten geht.

Reischl befürchtet weitere unmittelbare Folgen für Versicherte. Der Grund ist, dass bei den Kassen ein Erhebungsdienst im Einzelfall rasch helfen kann, wenn sich ein Betroffener mit einer Beschwerde über einen Arbeitgeber meldet. Rund 13.000 Fälle gab es 2017 bei der Wiener Gebietskrankenkasse. Etwa 10.000 Mal genügte unbürokratische Hilfe, in 2700 Fällen wurden tatsächlich Erhebungen eingeleitet.

Beispiel: Eine Frau merkt erst beim Arzt, dass ihre Firma sie nicht bei der Sozialversicherung angemeldet hat. Bisher konnte die Kasse, wenn das gemeldet wurde, sofort einschreiten. Künftig kann es sein, dass die Frau nach einer Klage möglicherweise jahrelang warten muss.

Reischl rechnet auch für Unternehmen mit einer bürokratischen Mehrbelastung. Dies deshalb, weil nach der Prüfung durch die Finanz für die Ausstellung eines Bescheides erst recht die Kasse nochmals prüfen muss. Besonders sauer stößt ihr außerdem auf, dass die Kassen an die Finanz für das Miterledigen der Sozialbeiträge ein Entgelt von 28 Millionen Euro abliefern müssen: "Für uns wird es jedenfalls teurer."

Schwere Geschütze stehen schon bereit, sollte die Regierung ihren Entwurf nicht ändern. Sofort nach dem Beschluss im Bundesrat, wird es zur Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof kommen. Denn es werde in die Finanzhoheit der Selbstverwaltung eingegriffen, das sei verfassungswidrig. Auch der Eingriff in privatrechtliche Verträge der bis zu 350 Prüfer durch "Zuweisung" an die Finanz sei bedenklich.

Finanzministerium weist die Befürchtungen zurück

Im Finanzministerium werden Kritik und Warnungen mit Nachdruck zurückgewiesen. Das gilt speziell für den Vorwurf, die Finanz prüfe weniger effizient. Die Mehreinnahmen der Kassen seien auf mehr Personal zurückzuführen, wurde der "Wiener Zeitung" im Büro von Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) erklärt. Befürchtungen, dass es zu Mindereinnahmen oder zu Mehrkosten für Klein- und Mittelbetriebe komme, seien "unbegründet". Man werde den Ansprüchen gerecht werden. Daher wird auch an der Kompetenzverlagerung festgehalten.