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Das Werben um die "Anderen"

Von Werner Reisinger

Politik

Das Bundesheer bemüht sich verstärkt um Rekruten mit Migrationshintergrund - und lockt mit einer Berufslaufbahn.


Wien. Was das tägliche Rasieren betrifft, haben es strenggläubige Muslime heute deutlich leichter als noch vor kurzer Zeit. Denn was ehemaligen Grundwehrdienern aufgrund der eigenen Erfahrungen beim Wehrdienst schlicht undenkbar erscheinen mag, ist heute ganz selbstverständlich. "Einmal am Tag ist das Gesicht glattrasiert!", dieser Befehl hat ausgedient, egal ob religiös oder modisch, Barttragen ist erlaubt.

Auch wenn diese Aufhebung der einst strengen Vorschrift ursächlich nichts mit Muslimen oder anderen religiösen Minderheiten zu tun hat, ist klar: Junge Männer mit migrantischem Hintergrund rücken immer stärker ins Zentrum der Rekrutierungsbemühungen des österreichischen Bundesheeres. Die lange Tradition von Soldaten mit muslimischem Glaubensbekenntnis im Heer ist allseits bekannt, nach der Annexion Bosniens durch die Habsburgermonarchie zählten Bosniaken sogar zu den Elitetruppen des Kaiserreichs. Spricht man mit Offizieren und Seelsorgern des Heeres, wird deutlich: Nicht nur wird auf Soldaten mit anderen Religionen als dem Christentum besondere Rücksicht genommen, auch finden sich schon jetzt unter Chargen, Unteroffizieren und Offizieren immer mehr Österreicher mit Migrationshintergrund. Das ist gut so, befindet das Bundesheer. Und soll auch weiter vorangetrieben werden.

Zuerst Dienst, dann Gebet

Wie viele muslimische Soldaten beim Heer als Grundwehrdiener oder als Berufssoldaten dienen, wird nicht erhoben. Aus gutem Grund, sagt Oberst Stefan Kirchebner. Was zählt, ist die österreichische Staatsbürgerschaft. Der Kommandant der Garde ist mitten in den Vorbereitungen für die Angelobungsfeier am Heldenplatz am Nationalfeiertag. Auch dieses Jahr werden unter den Rekruten zahlreiche Moslems sein, die Garde ist bekannt dafür. Warum? Die Grundwehrdiener beim Heer stellen schon immer einen Schnitt durch die Gesellschaft dar, sagt Kirchebner. "Die Garde ist in Wien stationiert, unsere Soldaten kommen zu rund 35 Prozent aus den Bundesländern, rund 60 Prozent kommen aus Wien." Die Garde sei eine der wenigen in Wien stationierten größeren Einheiten, und die hier höhere Dichte an Moslems bilde sich in den Grundwehrdienern ab.

"Wir reden hier nicht über Integration, wir führen sie aus", sagt Kirchebner. Gleich bei der Begrüßung stelle er immer klar: Unterschiede nach der Religion gebe es hier keine, und trotz aller Rücksichtnahme auf die Konfession gelte der Grundsatz "zuerst der Dienst und dann das Gebet." Spannungen zwischen Grundwehrdienern "kommen vor", sagt der Kommandant, seien aber keineswegs an der Tagesordnung. Im Gegenteil. "Die Grundausbildung bei der Garde ist hart, die jungen Männer teilen diese Erfahrung. Das schweißt zusammen und lässt Unterschiede in den Hintergrund treten."

Abdulmedzid Sijamhodzic ist ein viel beschäftigter Mann. Im Juli 2015 war er der erste Militär-Imam Österreichs. Seit eineinhalb Jahren hat er einen Kollegen, mit dem er sich das Bundesgebiet aufteilt: Sein Kollege betreut Westösterreich, Sijamhodzic fährt in Wien, Ober- und Niederösterreich, der Steiermark und im Burgenland von Kaserne zu Kaserne und gibt "lebenskundlichen Unterricht". Er ist kein Soldat, seine Arbeit beruht auf einem Vertrag zwischen Bundesheer und Islamischer Glaubensgemeinschaft. Auch er kann nur Positives erzählen. "Von Anfang versuche ich zu vermitteln: Man kann ein frommer Moslem und ein guter Bürger dieses Staates sein."

Der Imam betont, dass staatliche Regeln und gesellschaftliche Normen in seinem Unterricht mindestens so zentral sind, wie religiöse Inhalte oder Fragen des Zusammenlebens. Was Sijamhodzic erzählt, passt ins Bild der Eintracht der Kulturen im Bundesheer, das auch Offiziere zeichnen. Über Anfeindungen oder Spannungen wollen muslimische Soldaten mit ihm so gut wie nie sprechen. Viel öfter aber gebe es Ärger über die Bürokratie. "Vor allem strenggläubige Muslime fragen mich oft, wieso sie nur als Funktionssoldaten eingesetzt werden und nicht in der kämpfenden Truppe ausgebildet werden", sagt Sijamhodzic.

"Ansprechpartner Nummer 1"

Funktionssoldaten, das sind Köche, Schreiber, Fahrer und dergleichen, eigentlich beim Heer begehrte - weil oft angenehmere Tätigkeiten. Offenbar aber nicht für strenggläubige Muslime, die zum Nachweis ihres Glaubens eine Bescheinigung vorlegen müssen, bei der Stellung oder spätestens vier Wochen danach. Diese stellt die Islamische Glaubensgemeinschaft aus. "Es kommt auch vor, dass strenggläubige Soldaten dies nicht wussten und sich im Nachhinein bei mir beschweren", sagt der Imam. Eines ist Sijamhodzic besonders wichtig: Er ermutige die Soldaten, eine Karriere beim Bundesheer in Erwägung zu ziehen. "Das Bundesheer mit seiner Tradition ist eine gute Möglichkeit, sich zu verwirklichen."

In die Tat umgesetzt hat das Jassim Al-Rawi. Er war einer der allerersten muslimischen Absolventen der Militärakademie in Wiener Neustadt, zuvor hatte er fünf Monate Auslandseinsatz im Kosovo und ein Jahr als Freiwilliger absolviert. Jetzt ist Al-Rawi stellvertretender Kompaniekommandat beim Jägerbattaillon 12 in Amstetten. "Mir ist natürlich bewusst, dass ich nicht nur Freunde habe beim Bundesheer", gibt auch Al-Rawi zu. Negative Erfahrungen aufgrund seines Glaubens hat aber auch er keine gemacht. Während seiner Ausbildung habe er "Vorurteile ausräumen" können und sei "Ansprechpartner Nummer eins" gewesen, wenn es Fragen zum Thema Islam gegeben habe. Das habe aber auch damit zu tun, dass er seinen Glauben immer sehr offen thematisiere. Immer mehr Grundwehrdiener, so scheint es, tun es ihm gleich.