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Mein Staat, mein Internet

Von Alexander Dworzak und Ronald Schönhuber

Politik

Russland träumt von einem eigenen, unabhängigen Internet. Vorbild bei der Kontrolle der Bürger ist China.


Moskau/Peking/Brüssel. Als die Anti-Regierungsproteste im Kaukasus vor einem halben Jahr aufflammten, entschieden sich die russischen Behörden für eine neue und radikale Methode, um dem Aufruhr beizukommen: Für fast zwei Wochen kappten sie das mobile Internet in der gesamten betroffenen Region.

Zehntausende, überwiegend muslimische Russen konnten damit weder auf soziale Medien zugreifen, noch war es möglich, Nachrichten oder Videos zu teilen oder per E-Mail zu verschicken. Erst als sich die Lage wieder einigermaßen beruhigt hatte, durften die kommerziellen Internet-Provider nach staatlicher Anordnung ihre Dienste langsam wieder hochfahren.

Die Episode im Kaukasus dürfte allerdings erst der Anfang gewesen sein. Denn mit der ausdrücklichen Unterstützung von Präsident Wladimir Putin beschäftigt sich ein Grüppchen russischer Abgeordneter derzeit mit der Ausarbeitung eines umfangreichen Gesetzespakets, an deren Ende nicht viel weniger stehen soll als ein von außen unabhängiges russisches Internet, bei dem alle Fäden in den Händen des Staates zusammenlaufen. So soll es in der Endausbaustufe des sogenannten Runets eine einzige zentrale Kommandostelle geben, die es Behörden ermöglichen soll, den gesamten Informationsfluss im russischen Cyberspace zu steuern und im äußersten Fall auch anzuhalten.

Bedrohung von außenals Legitimation

Putin hat den ehrgeizigen Vorstoß für ein eigenes russisches Internet im Februar vor allem mit der Bedrohung von außen begründet. Russland müsse westlichen Versuchen, es vom Internet abzuschneiden, begegnen, indem es selbständige und unabhängige Segmente schaffe, wurde der Präsident damals von der Nachrichtagentur Tass zitiert. Im Blick hat Putin, so hat er es immer wieder durchklingen lassen, vor allem die USA. Denn dort hat sich in Präsident Donald Trumps Amtszeit die nationale Cybersicherheitsstrategie grundsätzlich geändert. Standen unter Trumps Vorgänger Barack Obama vor allem Abwehrmaßnahmen und Aufklärungsaktivitäten im Vordergrund, gibt es mit der Neufassung nun nicht nur die Möglichkeiten für Präventivschläge. In dem Dokument wird Russland auch ganz explizit als potenzieller Gefahrenherd genannt.

Aus Sicht vieler Experten ist die Warnung vor einer Wiederauflage des Kalten Krieges im Internet, bei dem beide Seiten die Voraussetzungen zu schaffen versuchen, die kritische Infrastruktur des Gegners möglichst nachhaltig zu schädigen, nur vorgeschoben. "Bei diesem Gesetzespaket geht es weder um die Bedrohung durch fremde Mächte noch um die Verbannung von Google oder Facebook, die ja nach russischem Recht schon jetzt möglich wäre", wird der russische Internet-Experte Andrej Soldatow vom Nachrichtendienst Bloomberg zitiert. "Es geht vielmehr darum, bei Unruhen bestimmte Informationen in bestimmten Regionen einschränken zu können."

Wie stark Protestbewegungen in Russland von der Vernetzung über Social Media abhängen, zeigt vor allem auch das Beispiel von Alexej Nawalny. Der immer wieder wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftete Oppositionspolitiker erreicht seine Anhänger vor allem über soziale Medien und Videobotschaften, in den klassischen Publikationen, die bedingungslos Putin-treu sind, kommt Nawalny dagegen so gut wie nicht vor.

Mit einem von Zensur, Überwachung und staatlicher Steuerung bestimmten Internet folgt Russland vor allem dem Beispiel Chinas. Bereits 2015 beanspruchte Staats- und Parteichef Xi Jinping "Cybersouveränität" für die Nation: "Der Grundsatz der souveränen Gleichheit, der in der UN-Charta festgeschrieben ist, soll auch im Netz Anwendung finden. Das Recht auf souveräne Entscheidungen bei Entwicklungswegen und Verwaltungsmodellen für das Netz sowie die Internetpolitik muss respektiert werden."

Tausche Schutz vor Konkurrenz gegen Schutz vor Kritik

Die staatliche Hoheit im Netz beruht auf einer riesigen Internet-Zensur-Infrastruktur. Dank der sogenannten Großen Firewall werden nicht nur E-Mails, SMS, Chatnachrichten und Online-Artikel nach politischen Suchwörtern von mehreren tausend Personen durchkämmt, sondern auch Webseiten gesperrt. Oder ganze Plattformen, wenn sie ideologisch oder wirtschaftlich nicht ins Konzept passen.

Dazu zählen auch die in Europa und USA tonangebenden Tech-Firmen, Google und Facebook. Beide Silicon-Valley-Größen sind in China offline. Stattdessen dominiert im Reich der Mitte WeChat. Es vereint ein soziales Netzwerk wie Facebook, einen Chat à la WhatsApp sowie den Fotodienst Instagram und bietet noch dazu Spiele an. Auf WeChat tummeln sich monatlich eine Milliarde Chinesen. Wollen sie Videos schauen, greifen sie nicht zu Googles Tochter YouTube, sondern klicken auf Youku Tudou, den drittbeliebtesten Social-Media-Dienst. Für Suchanfragen im Netz wird nicht gegoogelt, in China heißt der Monopolist Baidu.

Peking schützt die Internetkonzerne vor ausländischer Konkurrenz. Im Gegenzug wird die Regierung vor Kritik geschützt, indem die Nutzer gläsern sind. So trat 2017 das "Gesetz über die Sicherheit im Internet" in Kraft. User dürfen nicht auf sozialen Medien kommentieren, bis ihre Identität verifiziert ist. Und die Webseitensbetreiber müssen die Kommentare vor Veröffentlichung prüfen. Längst ist der Traum vom Internet als Hort der Freiheit zur hohlen Phrase verkommen. Stattdessen zählt in China, Widerspruch zu marginalisieren und zu verunmöglichen.

Das gelte nicht nur für Bürgerrechtler oder Angehörige von Minderheiten oder Religionsgruppen, sondern auch für einfache Nutzer, kritisiert die NGO Freedom House. Die Vorwürfe lauteten auf Subversion, Separatismus, Terrorismus, Verunglimpfung oder schlicht "Ärger provozieren", das Strafausmaß reiche von fünf Tagen bis zu elf Jahren.

Eine "Techno-Dystopie" sei China mittlerweile, urteilt Freedom House. Das vierte Jahr in Folge steht die Volksrepublik nun schon an der unrühmlichen Spitze jener Länder, in denen die Internetfreiheit am geringsten ist - 2018 vor dem Iran und Syrien. Damit ist auch in den kommenden Jahren zu rechnen, investiert China doch massiv in Überwachungstechnologien. Dank künstlicher Intelligenz und Gesichtserkennung, kombiniert mit dem Zugriff der Behörden auf Userdaten, wird der Dissens-Spielraum immer geringer. Dieser Ansatz macht China für andere autoritäre Systeme attraktiv. Und Peking gibt gerne Anschauungsunterricht. In 36 der 65 von Freedom House untersuchten Staaten - Österreich ist nicht darunter - hätten staatliche chinesische Berater Schulungen und Seminare über Neue Medien oder Informationsmanagement abgehalten.

Je schneller der Aufstieg, desto größer die Angst

Im Westen wächst daher die Sorge vor China. Das zeigt auch die Kontroverse um Huawei. Der zweitgrößte Smartphone-Produzent der Welt - nach dem südkoreanischen Konzern Samsung - ist führender Anbieter digitaler Infrastruktur, zu der etwa Mobilfunkantennen gehören. Sollen die 5G-Netze tatsächlich von Huawei ausgerüstet werden, dessen Erfolg ohne Billigung der chinesischen Führung nicht möglich gewesen wäre, fragen sich angefangen von den USA mehrere Staaten. Die Experten sind sich uneins, ob Huawei ein Sicherheitsrisiko darstellt und Peking in einem Streitfall einen Hebel hätte, die digitale Infrastruktur in Europa, den Vereinigten Staaten, Kanada oder Australien lahmzulegen. Kritiker Pekings führen ins Treffen, chinesische Unternehmen seien gesetzlich verpflichtet, mit heimischen Behörden und Nachrichtendiensten zusammenzuarbeiten.

Zu den politischen gesellen sich wirtschaftliche Überlegungen, schließlich könnten mit dem Zurückdrängen von Huawei andere Unternehmen zum Zuge kommen, etwa die Europäer Nokia und Ericsson.

Die Alarmglocken gegenüber China schrillen umso lauter, je schneller das Land aufsteigt. Angst aber ist ein schlechter Ratgeber. Das weiß nicht nur Peking, sondern auch Putin, der damit seit Jahren sein politisches Geschäft betreibt.