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Das letzte große Gefecht

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Das Assad-Regime kämpft um die Kontrolle der letzten Rebellenhochburg Idlib und legt sich dabei auch mit der Türkei an, der Schutzmacht der Aufständischen. Und Moskau sieht tatenlos zu.


Nikosia. Die Türkei versinkt immer tiefer im Sumpf des syrischen Bürgerkriegs. Während ihr Projekt einer "Pufferzone" im nordostsyrischen Kurdengebiet von den USA blockiert wird, geraten die mit Ankara verbündeten syrischen Rebellen in der nordwestlichen Rebellenprovinz Idlib gegenüber den Truppen von Machthaber Bashar al-Assad dramatisch ins Hintertreffen. Verbände des Regimes konnten in dieser Woche im Süden der Provinz weiter vorrücken und die strategisch wichtige Stadt Khan Sheikhoun erobern.

Der von Russland unterstützte Vormarsch der Assad-Treuen in der letzten Rebellenhochburg bringt jetzt türkische Truppen in die Schusslinie und hat bereits zehntausende Flüchtlinge an die Grenze getrieben. Zudem gefährdet die Operation das Sotschi-Abkommen mit Russland und Iran von 2018, in der eine Waffenruhe für Idlib ausverhandelt wurde. Doch ist der türkische Präsident Tayyip Erdogan offensichtlich nicht in der Lage, Moskau zum Stopp der syrischen Offensive zu bewegen.

Krisentreffen ohne Ergebnis

Pures Entsetzen herrschte in Ankara, als Kampfjets des Assad-Regimes am Montag einen türkischen Militärkonvoi in der Provinz Idlib, der Nachschub zu einem Beobachtungsposten der türkischen Armee bei Shan Sheikhoun bringen sollte, mit Bomben stoppten. Noch mehr schockierte die Türkei, dass Russland, dem Ankara den Konvoi zuvor angekündigt hatte, die Attacke nicht verhinderte. Wie das Nahost-Nachrichtenportal Al-Monitor berichtete, flogen der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan und Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin am nächsten Tag nach Moskau, um sich zu beschweren - ohne erkennbaren Erfolg.

Die Demütigung der türkischen Armee setzte sich auch danach weiter fort. Am Dienstag waren die verbündeten syrischen Rebellen gezwungen, Shan Sheikhoun aufzugeben. Damit haben Damaskus und seine Moskauer Verbündeten das nächste Etappenziel bei der Rückeroberung der Provinz Idlib erreicht: die Kontrolle über die strategisch wichtige Autobahn zwischen der Hauptstadt Damaskus und der nordsyrischen Metropole Aleppo.

Damaskus begründet die Angriffe mit dem "Kampf gegen den Terror", und tatsächlich wurde Shan Sheikhoun von der Dschihadistenmiliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS), der früheren Nusra-Front, beherrscht. Die Proteste Ankaras schmetterte der Kreml mit den Worten ab, die Türkei sei ihren Verpflichtungen aus dem Sotschi-Abkommen zur Entwaffnung der Dschihadisten nicht nachgekommen.

Erdogan hatte sich offenbar darauf verlassen, dass ihm die Russen mehr Zeit einräumen würden, das Problem zu lösen - schließlich hatte er sein Land in der letzten Zeit immer näher an Moskau herangeführt und im Streit um den Erwerb des russischen S-400-Raketenabwehrsystems den Nato-Partner USA brüskiert. Doch Putin verliert offenbar die Geduld, was türkische Kommentatoren mit Sorge registrieren.

Die Gemeinsamkeiten mit Russland würden täglich geringer, schrieb die regierungsnahe Zeitung "Habertürk". Der frühere türkische Diplomat Sinan Ulgan meinte gegenüber Reuters, der erzwungene Rückzug der Türkei zeige, "wie wenig Einfluss die Türkei auf Russland besitzt".

Der De-facto-Zusammenbruch des Sotschi-Abkommens zur Einrichtung von vier "Deeskalationszonen" stellt nun die gesamte Idlib-Strategie Ankaras in Frage, die darauf abzielt, den Rebellen ein unabhängiges Rückzugsgebiet unter türkischer Protektion zu sichern. Neben dem komplett eingeschlossenen Beobachtungsposten Nummer 9 bei Morek nahe Shan Sheikhoun sind zwei weitere türkische Stellungen im Süden der Provinz akut bedroht.

Ankara fühlt sich verraten

Am Donnerstag wurde ein weiterer Beobachtungsposten mit Maschinengewehren beschossen. Laut Informationen von Al-Monitor fordert Moskau von Ankara die Aufgabe der Posten und den Abzug aller syrischen Kämpfer aus dem Süden der Provinz.

Erdogans Sprecher entgegnete am Mittwoch, dass die Türkei ihre Militärposten weder aufgeben noch verlegen werde. Die Türkei habe aber Russland und den Iran zu einem Dreiergipfel am 16. September nach Ankara eingeladen. Während die Gefahr einer direkten Militärkonfrontation zwischen der Türkei und Syrien wächst, schwillt der Strom von Flüchtlingen Richtung türkischer Grenze dramatisch an. Die Türkei, die bereits 3,6 Millionen Syrer aufgenommen hat, hat zwar eine Mauer entlang der Grenze gebaut, und Innenminister Süleyman Soylu kündigte die Errichtung neuer Flüchtlingslager "außerhalb unserer Grenzen" an. Doch ob sich die Flüchtlinge im Notfall von Mauern und Versprechungen aufhalten lassen, ist zu bezweifeln.