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Wer regiert künftig die Welt: G2 oder G3?

Von Walter Hämmerle

Politik

Friedrich Merz ist nach der Niederlage im Rennen um den CDU-Vorsitz wieder zurück auf der politischen Bühne. Und auf der Suche nach der Weltpolitikfähigkeit Europas.


Alpbach. Wir sind Zeugen eines Epochenwandels, eines potenziell ziemlich gefährlichen noch dazu. Das erhöht natürlich die Nachfrage nach Welterklärern und Zeichendeutern, die die Fähigkeit besitzen, in diesen unsicheren Zeiten Orientierung zu geben und Entwicklungen einzuordnen. Und wenn dann auch noch ein paar Antworten auf große Fragen dabei sind: umso besser.

Friedrich Merz ist, jedenfalls für ein überwiegend bürgerliches Publikum, so ein Weltenerklärer und Orientierungsgeber. Der 63-Jährige, der für Blackrock, den weltgrößten Vermögensverwalter, arbeitet, war vergangenes Jahr der Hoffnungsträger des konservativen Flügels der CDU, als es um die Nachfolge von Angela Merkel an der Parteispitze ging. Schließlich machte zwar, knapp, aber doch, Annegret Kramp-Karrenbauer das Rennen.

Aber seitdem ist Merz wieder zurück auf der politischen Bühne. Quasi in Warteposition. Denn dass er mit diesem Kapitel abgeschlossen hätte, diesen Eindruck versucht Merz, der ehemalige Klubchef und Finanzexperte der Union, der einst von Angela Merkel aus der aktiven Politik gedrängt wurde, erst gar nicht zu erwecken. Am Donnerstag war er Gastredner beim Europafrühstück "Europa in Bewegung" in Alpbach zu Gast, das vom Land Niederösterreich veranstaltet wird.

Aber zurück zu den gefährlichen Zeiten des Umbruchs. Die Politik von US-Präsident Donald Trump bedeutet für Merz das Ende der "Pax Americana" für Europa mit der - bereits von Merkel ausgesprochen - Konsequenz, dass Europa seine Sicherheit in die eigene Hand nehmen müsse. Dabei stellt sich für Merz die alles entscheidende Frage: "Ist Europa weltpolitikfähig?" Oder anders formuliert: Wird diese Weltpolitik künftig von den G2, also den beiden Großen USA und China im Alleingang gestaltet, oder doch von den G3, also USA, China plus Europa? Als eine Voraussetzung dafür sieht Merz, dass künftig Gruppen von EU-Staaten bei einzelnen wichtigen Themen vorangehen können. Dies soll die Dynamik der EU erhöhen.

Rasend optimistisch ist Merz dabei nicht, angesichts der aktuellen Verfasstheit der EU. Der Brexit schwächt die Union militärisch, fehlen werde aber auch die liberale Stimme der Briten; das letzte große Projekt liegt mit dem Airbus mittlerweile 50 Jahre zurück; vor allem aber sieht er Deutschland derzeit in keiner Verfassung, bei den notwendigen Veränderungen in der EU eine Führungsrolle zu spielen - politisch wie wirtschaftlich.

"Unterwürfig gegenüber China"

Die Stunde der Wahrheit sieht Merz im zweiten Halbjahr 2020 gekommen. Dann wird die neue EU-Kommission voll ihre Arbeit aufgenommen haben und Deutschland den Vorsitz in der Union innehaben. Dann gelte es, die großen Fragen der EU auf den Tisch zu legen und politische Lösungen zu erarbeiten. Das bedeutet für Merz die Notwendigkeit einer starken deutschen Regierung, doch das werde schwierig angesichts der schwierigen innenpolitischen Lage des größten europäischen Landes: Die SPD, Juniorpartner in der Koalition mit CDU/CSU, liegt demoralisiert am Boden; die rechtspopulistische AfD erlebt einen beispiellosen Zulauf; und auch die Verfasstheit der CDU sieht der langjährige Unionspolitiker allenfalls oberflächlich betrachtet als besser als die Konkurrenz. Dieser müsse es vor allem gelingen, wertkonservativen Wählern wieder eine Heimat zu bieten und so den Zustrom zur AfD wieder umzudrehen.

Merz beobachtet in Deutschland eine besorgniserregende Tendenz zur politischen Unterwürfigkeit aufgrund ökonomischer Abhängigkeiten: Es bestehe die "Gefahr einer zunehmenden Befangenheit der deutschen Politik und Wirtschaft gegenüber China". Zu den jüngsten Entwicklungen in Hongkong, wo es seit Wochen zu Massenprotesten gegen die Beschränkung demokratischer Freiheitsrechte durch Peking kommt, habe es kaum klare Worte gegeben. Hier sei deutlich mehr Selbstbewusstsein von deutscher Seite gefordert, so Merz. Insgesamt fordert Merz politische Konzepte, wie die deutsche und europäische Wirtschaft innovationsfähiger gemacht werden könne. Dies sei nicht zuletzt auch im Hinblick auf den Klimawandel notwendig. Dabei dürfe jedoch nicht aus den Augen verloren werden, dass auch die nächsten Generationen noch wertschöpfende Industriearbeitsplätze brauchen würden, wolle der Wohlstand erhalten werden. Vor diesem Hintergrund hält Merz etliche der aktuell debattierten Vorschläge in der Klimapolitik für zu kurz gedacht. Über allem aber stehe die Grundfrage, wie es gelingen könne, die liberale, demokratische und offene Gesellschaft auch unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts zu bewahren.

Bereit für eine führende Rolle

Die Frage der Demokratie treibt dabei auch die EU als Institution um. Dass er vom System der Spitzenkandidaten wenig bis gar nichts hält, damit hält Merz in Alpbach nicht hinter dem Berg. Und die Umsetzung sogenannter Europäischer Listen bei EU-Wahlen würde bedingen, dass in der EU jede Stimme gleich viel wert sei; das sei aber nicht wirklich möglich, weil dann Deutschland allein mehr als ein Viertel aller Abgeordneten im EU-Parlament stellen würde. Und Malta gar keinen. Eine klassische Parlamentarisierung der Union sei also kaum möglich, weil eben das EU-Parlament kein normales Parlament sei. Stattdessen kann sich Merz vorstellen, dass Mitglieder der Kommission auch Abgeordnete sind und dass EU-Wahlen einen stärkeren Einfluss auf die parteipolitische Zusammensetzung der Kommission hat.

Was seine eigene, höchstpersönliche politische Zukunft angehe, so sei er durchaus bereit, eine führende Rolle einzunehmen, allerdings werde dies nur in einem Team funktionieren nicht als Solotänzer. Ob es tatsächlich dazu kommt, werde die Zukunft zeigen. Das gilt auch für die Frage, wer im Fall des Falles sonst noch in einem solchen Team mit dabei sein werde.