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"Der Iran lässt auf uns schießen"

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Der Einfluss Teherans auf Bagdad nimmt zu. Das zeigen die Schüsse am Tahrir-Platz und die Dokumente eines iranischen Whistleblowers.


Bagdad. Um die Proteste im Irak zu beenden, scheint der Regierung jedes Mittel recht. Mehr als 320 Demonstranten wurden erschossen, bis zu 15.000 verletzt. Offiziell hat die irakische Regierung den Schießbefehl erteilt. Drahtzieher soll aber ein iranischer General sein: Qassem Soleimani. Er ist Kommandant der Al-Quds-Brigaden, Irans Auslandstruppen und Herr über die schiitischen Milizen im Irak. Laut Augenzeugen schießen vor allem Mitglieder dieser Milizen auf Demonstranten.

Soleimani mischt seit langem in der irakischen Politik mit. In Bagdad scharte er nun alle politischen Parteien um sich, um sie "auf Linie zu bringen". Das hat geklappt: Bis auf Premier Abdul Mahdis Vorgänger, Haider al-Abadi, haben alle für die brutale Unterdrückung der Proteste gestimmt. Wiederholt gibt der Iran die Politik im Irak vor. Die Demonstranten am Tahrir-Platz sagen: "Der Iran lässt auf uns schießen." Der Hass auf das Nachbarland wächst.

Die soeben von den US-Medien "Intercept" und "New York Times" veröffentlichten Berichte des iranischen Geheimdienstes geben einen Einblick, wie aggressiv und zielstrebig sich Teheran in die Geschäfte des Irak einmischt. Seit Jahren analysieren und beeinflussen iranische Agenten jeden Teil der Gesellschaft, ob in Politik, Wirtschaft, im sozialen und religiösen Leben. Es ist das größte Leak, das es aus dem iranischen Regime in westlichen Medien jemals gegeben hat: 700 Seiten Geheimdienstberichte. Die Dokumente aus den Jahren 2014 und 2015 offenbaren, wie sehr der Iran vom Sturz Saddam Husseins durch die USA profitiert hat. Die Dokumente enthalten Berichte über geheime Treffen, Porträts von beobachteten Personen, Schmiergeldzahlungen an irakische Politiker, Geschenke an kurdische Peschmerga-Offiziere, Analysen und Prognosen, eine Liste von dem Iran gewogenen und nicht gewogenen Politikern, Militärs, religiösen Führern und Kunstschaffenden.

Sieg des Iran über die USA

Die Dokumente zeigten auch, wie Teheran die USA ausmanövrierte, um mehr Einfluss im Irak zu gewinnen, so das Fazit von "New York Times" und "Intercept": "Wir sind im Irak einmarschiert, Iran hat den Krieg gewonnen. Alles, was wir in den letzten 15 Jahren im Irak getan haben, war falsch."

Besonders im Süden Iraks ist der iranische Einfluss enorm. Die geleakten Berichte zeigen, dass aufgrund des gemeinsamen Glaubens - der Großteil der Südiraker sind Schiiten wie die Iraner - und der Stammesverwandtschaften unzählige Büros von zumeist religiösen iranischen Organisationen vor allem in den für Schiiten heiligen Städten Najaf und Kerbela eröffnet wurden. Transparente auf den Straßen preisen den iranischen Revolutionsführer Ajatollah Khomeini oder den jetzigen Führer Khamenei. Der Iran unterstützt die einflussreichste Partei im Südirak, schickt iranische Studenten an die Unis und Arbeiter, um Hotels zu errichten.

Während der Iran die USA im Wettbewerb um Einfluss in Bagdad besiegt hat, ist die Unterstützung im Süden zum Problem geworden. Nach sechs Wochen anhaltender Proteste erfährt Teheran einen unerwarteten Rückschlag. Im Süden werden Büros von Parteien, die durch den Iran unterstützt werden, in Brand gesteckt und Dokumente vernichtet. Es ist ein Zeichen dafür, dass der Iran den irakischen Wunsch nach Unabhängigkeit nicht nur von den USA, sondern auch von seinem Nachbarn unterschätzt hat.