Zum Hauptinhalt springen

Nation der Kriegsmüden

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

In der Beurteilung des Konflikts mit dem Iran ist sich eine Mehrheit der ansonsten extrem polarisierten amerikanischen Öffentlichkeit einig: Ein offener Krieg ist das Letzte, was sie will.


Jung, urban, kosmopolitisch, hoch gebildet: David Benjamin ist ein liberaler New Yorker, wie er im Buche steht. 2016 wählte der Mittdreißiger, der vergangenes Jahr seine Zulassungsprüfung zum Anwaltsberuf ablegte, Hillary Clinton. Nämliches ohne zweimal nachzudenken, weil er Donald Trump gestern wie heute für, "wie soll man es möglichst diplomatisch sagen. . . unzurechnungsfähig?" hält. Zwei Jahre später half seine Stimme dabei, den Demokraten wieder die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu sichern. Eingedenk seines Bildungsgrads (zwei Master-Titel) und seines Wohnorts (Brooklyn) alles vordergründig wenig überraschend.

Was den frischgebackenen Anwalt nach eigenen Worten aber bis heute "ehrlich wundert", ist das, was der 73-jährige Ex-Reality-TV-Star aus den Republikanern gemacht hat. Mit der konservativen Partei kennt sich der in wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsene Benjamin besser aus als alle Angehörigen seines Freundeskreises zusammen. Vor nicht einmal eineinhalb Jahrzehnten galt er sogar als eine ihrer Nachwuchshoffnungen. Als Student an der Privat-Universität Georgetown, eine der traditionellen Kaderschmieden des politischen Establishments von Washington D.C., engagierte sich Benjamin in führender Position bei den jungen Republikanern am Campus. Alte Fotos aus College-Tagen zeigen ihn neben Jennifer Williams, jener außenpolitischen Beraterin von Vizepräsident Mike Pence, die jüngst vor dem Kongress Zeugnis darüber ablegen musste, wie viel ihr Chef über den Ukraine-Deal des Präsidenten wirklich wusste: "Ich will mich nicht rechtfertigen und stehe zu meiner politischen Vergangenheit, aber die Wahrheit ist: Ich war damals jung, dumm und stand schwer unter dem Eindruck von 9/11."

Mit manchen der alten Freunde von damals hält Benjamin trotzdem nach wie vor Kontakt. Ebenso wie mit anderen, weniger prestigeträchtigeren Bekanntschaften aus der rechten US-Reichshälfte, die lediglich eint, dass sie nie studiert, noch nie einen Demokraten gewählt haben und alle Journalisten für Lügner halten, die nicht für Fox News arbeiten.

Dieser Tage, sagt Benjamin, herrsche unter diesen Leuten - die den Kern der Wählerschaft von Donald Trump bilden - ein seltener Konsens darüber, was die außenpolitischen Belange der Nation angeht: "Niemand will einen Krieg mit dem Iran. Selbst die größten MAGA-Fans nicht. Am allerwenigsten die Ex-Soldaten, die alle Trump gewählt haben."

Trump-Wähler sind irritiert

Aber warum? In der jüngeren Vergangenheit konnte doch noch jede von den Konservativen geführte Bundesregierung - zumindest zeitweise - eine Mehrheit der US-Bevölkerung von der Sinnhaftigkeit wie der Notwendigkeit eines Waffengangs überzeugen. Die Antwort lautet überraschend: "Sie sagen, dass es nicht so schlimm wäre, dass Trump keine Ahnung vom Iran hat. Aber er hört nicht auf das, was ihm die Generäle sagen. Und das kommt bei den Leuten, die eigentlich seine Stammwähler sind, schlechter an, als man annehmen könnte. Sein Rassismus und sein Sexismus sind denen egal. Aber bei Fragen über Leben und Tod amerikanischer Soldaten fangen sogar die an, nachzudenken."

Seit dem bisherigen Höhepunkt des Konflikts mit dem Iran - der Ermordung des Generals Qassem Soleimani und dem darauf folgenden Beschuss von US-Militärbasen im Irak - sitzt in den USA der Schock über die jüngsten Ereignisse tief. Auch wenn sich das Ganze bisher nicht auf die Popularitätswerte Trumps ausgewirkt hat, gibt es keinen Zweifel daran, dass die breite Mehrheit der Amerikaner keinen Krieg mit dem Iran will. Konkret danach befragt, ergab eine Umfrage der Tageszeitung "USA Today", dass satte zwei Drittel die potenziellen Folgen einer weiteren Anheizung des Konflikts fürchten.

Laut der gleichen Umfrage stimmen 52 Prozent der Aussage zu, dass Trump in Bezug auf den Iran "rücksichtslos" agiere. Seinen Niederschlag findet dieses Stimmungsbild auch in den Hallen des Kongresses, wo jetzt plötzlich sogar ein paar jener Republikaner miteinander streiten, die sonst dem Präsidenten bedingungslos die Mauer machen. So kritisierte etwa Mike Lee, einer der Senatoren von Utah, die Informationspolitik der Trump-Administration scharf: "Sie haben uns beleidigend und herabwürdigend behandelt und uns gesagt, dass wir uns einfach etwas einfallen lassen sollen, wie wir das Ganze rechtfertigen."

Tatsächlich sind die durch den Iran-Konflikt zutage tretenden ideologischen Differenzen bei den Republikanern schon lange am Schwelen. Was angesichts der jüngsten Ereignisse viele vergessen, ist, dass der Präsident sein Amt mit einem streng isolationistischen Kurs angetreten hat - ein monumentaler Bruch mit der jahrzehntelang von außerordentlicher Interventionsfreudigkeit gekennzeichneten Außenpolitik konservativer US-Administrationen.

Sprunghaftigkeit als Problem

Laut Benjamin, dem einstigen Washington-Insider, liegt das Problem aber weniger an unterschiedlichen politischen Glaubensbekenntnissen, wie Amerika auf die Welt schauen soll oder nicht, sondern an der Sprunghaftigkeit des Präsidenten: "Wir müssen uns ehrlich sein: Es geht ihm gar nicht so sehr um den Iran an sich. Solange Trump Präsident ist, müssen wir hoffen, dass er nie etwas Schlimmes über, sagen wir zum Beispiel, Finnland im Fernsehen sieht und sich dann von heute auf morgen entschließt, Helsinki zu bombardieren."