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"Wählen gehen vor allem die Hardliner"

Von Solmaz Khorsand

Politik

Am Freitag wählt der Iran ein neues Parlament. Der Ausgang steht schon fest. Was es mit der Farce auf sich hat, erklärt der iranische Politologe Sadegh Zibakalam.


Appelliert hat Irans Präsident Hassan Rohani an den mächtigen Wächterrat, doch bei dieser Parlamentswahl etwas mehr Diversität zuzulassen. Es wäre ein Unikum gewesen, wenn der Rat aus zwölf Männern - sechs Geistlichen und sechs Juristen - zur Abwechslung nicht so viele Bewerber von der Kandidatenliste gestrichen hätte. "Lasst alle Parteien und Gruppen zu, es gibt nichts zu verlieren. Es ist nicht gut für das Land, wenn es von einer Fraktion regiert wird, denn das Land gehört allen Menschen", so Rohani. Sein Appell war vergeblich. Am Freitag sind die knapp 55 Millionen wahlberechtigten Iraner aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Offiziell stehen zwar 290 Sitze zur Wahl.

Doch knapp 230 sind bereits beschlossen. Der Wächterrat hat kaum moderate Kräfte zugelassen. Für rund 160 Sitze im Parlament aus insgesamt 208 Wahlbezirken tritt jeweils nur ein Kandidat an, und zwar von den Konservativen. Für 70 weitere Plätze treten mehrere Personen an, aber auch nur jene aus dem konservativen Lager. Von den 762 moderaten Bewerbern dürfen gerade einmal 44 Personen kandidieren.

Der iranische Politologe Sadegh Zibakalam zählt zu den profiliertesten Politikwissenschaftern im Land. 2018 hat ihn die Deutsche Welle mit dem "Freedom of Speech Award" ausgezeichnet, nachdem er wegen eines Interviews, in dem er die Führung kritisierte, zu 18 Monaten Haft verurteilt worden war. Trotz Einschüchterungsversuchen meldet er sich zu Wort und gehört zu den wenigen Experten im Land, die auch mit ausländischen Medien sprechen. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" erklärt er, wie sich ein Parlament voller Hardliner auf die iranische Innen- und Außenpolitik auswirken wird. Trotz aller Differenzen schließt er eine Annäherung im Atomdeal mit US-Präsident Donald Trump nicht aus.

"Wiener Zeitung": Welche Rolle spielt das Parlament in der Islamischen Republik?

Sadegh Zibakalam: Das Parlament hat in den letzten drei Jahrzehnten viel an Glaubwürdigkeit verloren. Es hat keine wichtige Rolle, weswegen vor allem gebildete Menschen wenig Motivation haben, wählen zu gehen.

Weil sie ohnehin keine Wahl haben durch den rigiden Selektionsprozess des Wächterrats, der nur eine begrenzte Zahl an Kandidaten zulässt?

Der Wächterrat hat heuer viele Kandidaten disqualifiziert. Er behauptet, unparteiisch zu sein, aber wenn wir uns die Kandidatenliste ansehen, besteht kein Zweifel, dass er vor allem jene disqualifiziert, die dem Regime kritisch gegenüberstehen. Der Wächterrat behauptet, nur jene ausgeschlossen zu haben, die nicht an die Islamischen Revolution, Irans Verfassung und die Führung des Landes glauben. Die gebildeten Menschen glauben, dass die Selektion des Wächterrats rein auf der politischen Konstitution der Kandidaten basiert.

Macht es einen Unterschied, aus welchem Lager die Parlamentarier kommen? Am Ende muss jedes verabschiedete Gesetz vom Wächterrat gebilligt werden. In der Zeit, als das Parlament in der Ära des Reformer-Präsidenten Mohammad Khatami in der Hand moderater Kräfte war, konnten die Reformer schließlich auch nichts durchbringen.

Auch in den vergangen vier Jahren stellten die Reformer oder ihre Sympathisanten fast ein Drittel der Abgeordneten und sie hatten keine wesentliche Rolle in der Innen- oder Außenpolitik des Landes. Wir müssen uns fragen, was hat das Parlament wirtschaftlich, politisch, sozial und international gemacht?

Und wie lautet die Antwort?

Nichts hat es gemacht. Welche Rolle hatte das Parlament in der Atomfrage? Keine. Welche in Irans Interventionspolitik in Syrien und im Libanon? Keine. Welche in den Beziehungen zu den USA? Keine. Welche bei der Inhaftierung von Iranern? Keine.

Wenn die Zusammensetzung ohnehin keine Rolle spielt, warum war das politische Establishment rund um Religionsführer Ali Khamenei so darauf bedacht, die Selektion so eng wie möglich zu halten?

Ein Hardliner-Parlament wird Präsiden Hassan Rohani und die Reformer sehr stark unter Beschuss nehmen, auch die USA. Aber es hat in Wirklichkeit keinen bedeutenden Effekt auf den Iran und seine internationalen Beziehungen.

Welchen Einfluss hatte der US-Drohnenangriff auf Generalkommandanten Qassem Soleimani, den Chef der al-Quds-Brigaden, auf die innenpolitische Entwicklung?

Die Ermordung von General Soleimani wurden von den Hardlinern für ihre Zwecke missbraucht. Sie haben versucht, die Wahl als eine Schlacht zwischen dem Iran und den USA darzustellen, und die Iraner animiert zu wählen, als wäre es ein Akt der Landesverteidigung. Sie verkauften die Wahl als eine patriotische Pflicht. Es werden vor allem ihre Anhänger an die Urnen kommen.

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Inwieweit kann ein Parlament voller Hardliner die Eskalation mit den USA verschärfen?

Ein solches Parlament könnte auch einen entsprechenden Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2021 präsentieren, jemanden wie Mahmoud Ahmadinejad.

Mahmoud Ahmadinejad, Präsident von 2005 bis 2013, hat sich international vor allem mit seinen Aussagen zu Israel und Irans Atompolitik einen Namen als fanatischer Hardliner gemacht.

Es ist möglich, dass auch der nächste iranische Präsident ein Hardliner wird. Wenn wir davon ausgehen, dass Trump wiedergewählt wird, ist es möglich, dass sich diese zwei Pole in der Nuklearfrage annähern. Ich schließe nicht aus, dass das in den nächsten zwei Jahren passiert. Ein Deal mit Moderaten wie Präsident Hassan Rohani oder Außenminister Mohammed Zarif garantiert nicht, dass er im Iran auch tatsächlich umgesetzt wird. Das haben wir schon vor vier Jahren gesehen, als das Abkommen beschlossen wurde und klar war, dass man sich ohne die Unterstützung der Hardliner nicht darauf verlassen kann.

Sie glauben also wirklich, dass Trump und die iranischen Hardliner ein gemeinsames Interesse haben? Das würde doch das Narrativ der iranischen Hardliner von den USA als Erzfeind konterkarieren?

Ja, ein Deal ist möglich. Trump hat bereits den größtmöglichen wirtschaftlichen Druck auf den Iran ausgeübt. Die Sanktionen treffen die iranische Wirtschaft hart, das Wachstum für dieses Jahr, nach iranischer Zeitrechnung, ist minus neun Prozent. Das ist der schlechteste Wert seit der Islamischen Revolution vor 41 Jahren. Gleichzeitig steigen Inflation und Arbeitslosigkeit. Die Hardliner wissen, dass das Land wirtschaftlich leidet, deswegen hätten sie unter Umständen Interesse an einen Deal mit Trump.

Sehen Sie innerhalb der Konservativen Fraktionen, die eher an einer militärischen Eskalation interessiert wären?

Nein. Keiner will eine militärische Konfrontation mit den USA, trotz aller Slogans. Sie wissen, dass sie der US-Militärmaschine nicht gewachsen sind.

Wie sieht Ihre Prognose für die nächsten Jahre aus?

Die Hardliner hatten immer gute Beziehungen zu Ex-Präsident Ahmadinejad. Es ist möglich, dass sie auf seine Rückkehr drängen werden. Und selbst, wenn ihn der Wächterrat als Kandidaten disqualifiziert, wird er einen aus seinen Reihen für die nächste Präsidentschaftswahl ins Rennen bringen. Ich glaube, dass die nahe Zukunft des Iran in der Hand der Revolutionsgarden, der Hardliner und Ahmadinejad liegt.