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Brasilien wird zum neuen Epizentrum

Von Konstanze Walther

Politik
Trauer in Zeiten des Coronavirus: Auf dem Bild umarmen sich zwei Frauen auf der Beerdigung eines Teenagers, der in der Nähe von Rio de Janeiro im Kugelhagel gestorben ist.
© reuters/R. Moraes

Trotz 20.000 Neuinfektionen in 24 Stunden will Bolsonaro keine Beschränkungen. Ein Militär ist nun Gesundheitsminister.


Vergangenes Jahr sind an der Grippe insgesamt 800 Menschen in Brasilien gestorben", hatte Präsident Jair Bolsonaro noch am 22. März erklärt. Laut Prognosen werde man bei Corona erst gar nicht an so viele Todesfälle herankommen, setzte er hinzu. Bolsonaros Prognose hat sich leider nicht bewahrheitet. Am Dienstag meldeten die Behörden 1179 Todesfälle. Nicht in einem Jahr. Nicht in einer Woche. Sondern binnen 24 Stunden. Tags darauf meldete das Gesundheitsministerium fast 20.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden.

Brasilien, das flächenmäßig fünftgrößte Land der Welt, steigt mittlerweile zum Epizentrum der Corona-Krise auf. Die Zahl der bestätigten Ansteckungen stieg laut dem Zähler der Johns Hopkins Universität auf 291.579. Das größte Land Südamerikas weist bereits seit Montag inzwischen weltweit nach den USA und Russland die meisten Fälle auf. Noch einmal 20.000 Neuansteckungen mehr und Brasilien könnte Russland einholen. Offiziell. Experten gehen davon aus, dass die brasilianische Dunkelziffer ohnedies viel höher ist, nachdem die Testkapazitäten sehr begrenzt sind.

Die Zahl der Infizierten in dem 210-Millionen-Einwohner-Land könnte daher um ein Vielfaches höher sein als offiziell angegeben. Doch allein schon die dokumentierten Zahlen klettern in schwindelerregende Höhen. Insgesamt sind nun in Brasilien 18.859 Menschen an dem Covid-19-Erreger gestorben. Damit ist Brasilien verwundbarer, als der Präsident gedacht hat. Der hatte seine Anhänger mit Sätzen beruhigt, dass es in Italien in jedem Haushalt einen greisen Menschen gibt, und diese älteren Menschen nun eben gestorben sind. Es handle sich um eine "Gripezinha", um eine kleine Grippe, kein Grund zur Panik.

Zwei Gesundheitsminister wurden bereits entlassen

Alle Gouverneure, die innerhalb ihrer Möglichkeiten in den Bundesstaaten Beschränkungen verordneten, stehen bei Bolsonaro auf der Abschussliste. Er wolle nicht Tausende und Abertausende von Arbeitslosen, hatte Bolsonaro erklärt. In Kürze, so hieß es noch im März von Bolsonaro, werde das Volk wissen, dasses von den Medien über die Gefahr des Virus belogen worden sei. Und: Er, Bolsonaro, werde sich natürlich nicht in die Arbeit seines Gesundheitsministers, Luiz Mandetta, einmischen. Nicht einmal ein Monat später, Mitte April, wurde Mandetta von Bolsonaro entlassen. Denn der Mediziner Mandetta wollte bundesweit strenge Vorsichtsmaßnahmen durchsetzen.

Damit nicht genug. Mandettas Nachfolger, Nelson Teich, ebenfalls ein ausgebildeter Arzt, reichte vergangenen Freitag - nach nicht einmal einem Monat im Amt - wegen "Unvereinbarkeit" mit der Corona-Politik des Staatschefs seinen Rücktritt ein. Denn Bolsonaro hält Ausgangssperren und andere Beschränkungen wegen der Corona-Pandemie weiterhin für überflüssig. Dafür wurde am Sonntag als neuer, interimistischer Gesundheitsminister Eduardo Pazuello ernannt. Seine Qualifikation: Er ist aktiver General im brasilianischen Militär. Pazuello müsse sich also wohl mit Logistik besonders gut auskennen, kommentierte der Ex-Gesundheitsminister Nelson Teich mit beißendem Sarkasmus seinen Nachfolger.

Menschen aus dem Militär - Bolsonaro selbst war Fallschirmjäger-Hauptmann - sagt man aber noch eine andere Eigenschaft nach: Sie können besonders gut Befehle ausführen. Und so kam Bolsonaro den Ideen seines neuen Gesundheitsministers gleich zuvor. Dieser werde nämlich, so Bolsonaro, neue Richtlinien erlassen. Und zwar werde der Minister bald die Empfehlung und Verwendung des Malaria-Mittels Cloroquin für Covid-19-Fälle ausdehnen.

Bolsonaro will dieselbe Medizin wie Donald Trump

Cloroquin ist auch die Droge der Wahl von US-Präsident Donald Trump, der sie angeblich schon seit über einer Woche prophylaktisch schluckt. Obwohl zahlreiche Mediziner vor den Nebenwirkungen des Medikaments warnen. Und es bisher keinen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf bei Covid-19 gegeben hat, eher das Gegenteil. Bolsonaro ist ein erklärter Bewunderer Trumps. Der US-Präsident dagegen erwägt langsam einen Reisestopp für den Personenverkehr zwischen den USA und Brasilien, nachdem keines der beiden Länder seine Infektionszahlen in den Griff bekommt.

In Brasilien ist übrigens vor allem der strukturschwache Norden und der Nordosten Brasiliens - dort, wo vor allem die afrobrasilianische Bevölkerung zuhause ist - am meisten betroffen. Das ergibt eine Erhebung des Portals "G1". Die fünf Städte mit der höchsten Infektionsrate und auch mit der höchsten Mortalitätsrate liegen allesamt im Bundesstaat Amazonas. In absoluten Zahlen ist die Stadt Sao Paulo mit 63.066 Fällen nach wie vor am stärksten von dem Ausbruch betroffen. Rio de Janeiro liegt an zweiter Stelle.