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Warnung vor dem Wahlkampf

Von Alexander Dworzak

Politik

Donald Trumps Verfügung, Soziale Medien stärker zu reglementieren, dürfte juristisch schwer haltbar sein. Aber sie soll politisch nachhallen, im Rennen um die US-Präsidentschaft.


Auf die Drohung folgte die Verfügung, versehen mit einer weiteren Drohung. Seine Administration werde sicherstellen, dass das Geld der Steuerzahler nicht an Social-Media-Riesen fließe, welche unfairerweise die Meinungsfreiheit unterdrückten, erklärte Donald Trump seinen Erlass. Er rief Ministerien und Bundesbehörden auf, ihre Ausgaben auf Facebook, Google, Twitter und Co. zu überprüfen. Verbreitet wurde das Statement auch auf Twitter - jener Plattform, die Ausgangspunkt der Kontroverse gewesen ist. Denn der bevorzugte Kanal des US-Präsidenten für das Absetzen seiner Botschaften unterzog zwei Trumpsche Tweets zum Thema Briefwahl einem Faktencheck. Ein Novum, und ein Affront gegen Trump.

Herzstück der Offensive Trumps gegen die Sozialen Medien ist eine Prüfung über den Geltungsbereich einer "Section 230" genannten Regelung aus dem Jahr 1996. In der Frühzeit des Internets wurde festgelegt, dass Online-Dienste weitreichende Freiheiten genießen, ob und wie sie gegen bestimmte Inhalte oder Nutzer einschreiten dürfen. Gleichzeitig werden sie nicht haftbar gemacht für von Nutzern veröffentlichte Inhalte. Sie müssen also nicht eingreifen, wenn etwa jemand neonazistische Inhalte publiziert, und können für diese auch nicht belangt werden. Diese Regelung schützt auch davor, jeden Nutzereintrag vorab zu kontrollieren, und spart damit den Plattformen enorme Summen.

Keine "Sprach-Polizei"

Mit seiner Verfügung droht Trump nun, genau dieses Privileg zu kappen. Er beauftragte die Telekommunikations-Aufsicht FCC, Regelungen vorzuschlagen, die die Bedeutung von "Section 230" "klären" sollen. Dieses Vorhaben scheint aber auf wackligen Beinen zu stehen: "Es gibt für die FCC nichts zu interpretieren, weil es keine Zweideutigkeit im Gesetz gibt", sagt Harold Feld vom Thinktank Public Knowledge gegenüber dem Branchendienst "Wired". FCC-Mitglied Jessica Rosenworcel warnte davor, die Behörde zur "Sprachpolizei des Präsidenten zu machen". Auch könne Trump nicht ohne Weiteres mit einer sogenannten Executive Order ein vom Kongress verabschiedetes Gesetz umschreiben, weist die Bürgerrechtsbewegung American Civil Liberties Union hin.

Allen juristischen Bedenken zum Trotz meint der Präsident: "Ich denke, wir können sagen, wir werden das regulieren." Justizminister William Barr ergänzte, die Klausel solle nicht abgeschafft, aber reguliert werden. Sie sei weit über ihren ursprünglichen Zweck hinaus strapaziert worden.

Nächste Spitze von Twitter

Das sehen die Betreiber naturgemäß anders. Google, das auch die Videoplattform YouTube betreibt, wies auf den Schaden für die US-Wirtschaft durch die Verfügung hin. Facebook warnte davor, dass Soziale Medien künftig möglicherweise alles zensieren müssten, was Personen beleidige. Und Twitter attestierte Trump gar eine "reaktionäre" Vorgehensweise.

Twitter suchte auch an anderer Stelle die Konfrontation mit Trump. Zu den Ausschreitungen in Minneapolis schrieb der Präsident: "Wenn Plünderungen beginnen, wird geschossen." Twitter sah darin einen Verstoß gegen die firmeneigenen "Regeln zur Gewaltverherrlichung". Aufgrund des "möglicherweise" öffentlichen Interesses wurde der Tweet aber nur mit einem Warnhinweis versehen, nicht jedoch gelöscht.

Trumps Anhänger werden auch diesen Schritt als unerhörten Eingriff in die Meinungsfreiheit sehen. Weil der erste Zusatz zur Verfassung diese garantiert, ebenso wie die Presse- und Versammlungsfreiheit, herrscht unter vielen US-Bürgern die Sichtweise, es dürfe überhaupt keine Einschränkungen geben. Erst recht gilt das im Jahr des Präsidentschaftswahlkampfs gegen den Demokraten Joe Biden: Trump steht aufgrund seines Krisenmanagements in der Corona-Pandemie, die bereits mehr als 100.000 Tote in den Vereinigten Staaten gefordert hat, in der Kritik. Laut der Statistik-Webseite "FiveThirtyEight" sind derzeit nicht einmal 43 Prozent der Bürger mit ihrem Präsidenten zufrieden.

Republikanische Opferrolle

Was Trump gerade jetzt nicht brauchen kann, sind plötzlich aufmüpfige Soziale Medien. Jahrelang rührte Twitter keinen Finger, wenn der Präsident Unwahrheiten streute. 80,3 Millionen Nutzer, die Trump dort folgen und die ständige Zitierung seiner Tweets weltweit bürgten dafür, dass beide Seiten vom verbalen Krawall des Präsidenten profitierten.

Diesen Status möchten Trump und die Republikaner unbedingt beibehalten. Sie begeben sich dafür in die Opferrolle: Konservative Stimmen würden systematisch unterdrückt. Wer tatsächlich die Macht hat, zeigt ein Blick ins Weiße Haus und den Senat: Lediglich im Repräsentantenhaus verfügen die Demokraten über die Mehrheit. Ob Kabel-TV-Stationen, Radiosender oder Webseiten, von konservativen bis weit rechten Angeboten ist alles vertreten. Trump förderte diese Entwicklung nach Kräften, im Sommer 2019 lud er Online-Aktivisten zu einem "Social-Media-Gipfel".

Kriterien selektiv angewandt

Dabei ging es aber nicht um den durchaus diskussionswürdigen Umstand, wie Soziale Netzwerke die Grenze der Meinungsfreiheit definieren und wie selektiv sie ihre Kriterien anwenden. Warum behandelt etwa Twitter die Hetze von Neonazis anders als jene von IS-Anhängern? Darauf weist das Portal netzpolitik.org ebenso hin wie auf den Umstand, dass Facebook eine interne Studie unter den Teppich gekehrt hat, die den firmeneigenen Algorithmen eine radikalisierende Rolle zuschreibt.

Dafür rückte Firmenchef Mark Zuckerberg nun umgehend aus und deponierte in Trumps Haussender Fox News, Facebook sollte nicht "Schiedsrichter über die Wahrheit bei allem sein, was die Leute online sagen". Prompt zitierte Trump den Facebook-Boss. Natürlich per Tweet.