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Der Tigray-Konflikt als Brandbeschleuniger

Von Ronald Schönhuber

Politik

Äthiopien galt in den vergangenen Jahren als Anker der Stabilität am Horn von Afrika. Nun könnte aber ein langer und zermürbender Guerilla-Krieg nicht nur das Land destabilisieren, sondern auch die ganze Region.


Die breiten Boulevards und das sich noch weit ins bäuerlich geprägte Umland ziehende Stromleitungsnetz zeigen noch immer, welche Stellung Mekelle in Äthiopien bis vor kurzem gehabt hat. In knapp drei Jahrzehnten hatte sich die Hauptstadt der Region Tigray zur zweitgrößten Metropole des Landes aufgeschwungen, getragen vom Einfluss, den die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) hatte, seit ihre Truppen im Jahr 1991 maßgeblich daran beteiligt waren, den kommunistischen Diktator Mengistu zu verjagen. Jeder hochrangige Posten, den sich die Tigray in der fernen Hauptstadt Addis Abeba in Politik, Verwaltung und Wirtschaft sichern konnten, half auch mit, Mekelle ein Stück weiter zum Blühen zu bringen.

Heute stehen die Zeichen in der 360.000-Einwohner-Stadt allerdings auf Sturm. Denn nachdem die Regierungstruppen in den vergangenen Tagen großflächige Gebietsgewinne verzeichnen konnten, stehen Panzer und Artilleriegeschütze nur noch 50 Kilometer von Mekelle entfernt. Damit könnte es - auch wenn die genaue militärische Lage auf Grund der Kappung aller Telefon- und Internetverbindungen eher diffus ist - nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Stadt völlig eingekreist ist.

Premier Abiy stellt Ultimatum

Was dann kommt, ist allerdings vollkommen unklar. So hat die Zentralregierung von Premierminister Abiy Ahmed der in Tigray nach wie vor alles bestimmenden TPLF am Sonntag ein Ultimatum gestellt und eine Kapitulation binnen 72 Stunden gefordert. Gleichzeitig verschärfte das Militär die Drohkulisse: Sollte die TPLF nicht einlenken, könnte Mekelle auch beschossen werden. "Es wird keine Gnade mehr geben", sagte ein Armeesprecher im Rundfunk. Die Zivilbevölkerung solle sich in Sicherheit bringen.

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Im schlimmsten Fall droht also ein blutiges Bombardement der Stadt mit wohl hunderten, wenn nicht tausenden Todesopfern. Doch auch wenn die TPLF, der von Abiy Ahmed vorgeworfen wird, einen bewaffneten Aufstand angezettelt zu haben, nun rasch einlenkt, wird sich der Konflikt nicht schnell befrieden lassen.

Denn die Ethnie der Tigray, die nur knapp sechs Prozent der Bevölkerung im 112 Millionen Einwohner zählenden Vielvölkerstaat Äthiopien ausmacht, fühlt sich von der Zentralregierung in Addis Abeba nicht mehr vertreten. Und so halten es Äthiopien-Experten wie Annette Weber von der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin für nicht ausgeschlossen, dass sich die TPLF wieder auf jene Guerilla-Taktik besinnt, die sie schon im Kampf gegen das Mengistu-Regime verfolgt hat. Der Regierung könnte damit ein Kampf bevorstehen, der sich möglicherweise nur schwer gewinnen lassen wird. Denn die Soldaten der TPLF sind nicht nur kampferfahren und gut ausgerüstet, sie kennen sich in der gebirgigen Region von Tigray auch wesentlich besser aus als ihrer Gegner.

Ein Flächenbrand droht

Ein langer und zermürbender Guerilla-Krieg würde aber nicht nur Äthiopien ins Wanken bringen, das dank starker Wirtschaftsdaten und der unter Abiy eingeleiteten Öffnungspolitik in den vergangenen Jahren als Anker der Stabilität am Horn von Afrika galt. Aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft zur Grenzregion Tigray könnte der Konflikt auch nach Eritrea und in den Sudan hinüberschwappen. Eritreas Hauptstadt Asmara ist etwa schon von zehn Tage zum Ziel eines Raketenangriffs geworden, da der dortige Flughafen nach Aussage der TPLF auch von äthiopischen Truppen genutzt wird. Und die Lage könnte schnell weiter eskalieren. So betrachtet Eritreas Präsident Isaias Afwerki, der 2018 gemeinsam mit Abiy einen historischen Friedensschluss zwischen den beiden Ländern ausgehandelt hat, die TPLF, die Anfang des Jahrtausends eine zentrale Rolle im Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea spielte, als natürlichen Feind.

Spannungen gibt es auch jetzt schon mit dem Sudan und Ägypten. Beide Länder sehen das gigantische Staudamm-Projekt Gerd, mit dem Äthiopien das Wasser des Nils für die Stromgewinnung nutzen will, als Bedrohung für die eigene Wasserversorgung an. Und sowohl der Sudan als auch Ägypten machen ihrem Unmut in dieser Angelegenheit längst nicht nur mehr mit Worten Luft. In der vergangenen Woche gab es in Form eines gemeinsamen Manövers schon erste militärische Muskelspiele, von denen nicht zuletzt die TPLF profitieren könnte. Denn mit einem zusätzlichen Konflikt könnte die von der Tigray-Offensive ohnehin voll und ganz in Beschlag genommene Zentralregierung wahrscheinlich nur schwer umgehen.