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Vergeltung oder Atom-Deal: Hassan Rouhanis Gratwanderung

Politik

Nach dem Attentat auf den Atomphysiker Mohsen Fakhrizadeh werden im Iran die Rufe nach Vergeltung immer lauter. Für den Präsidenten geht es nicht nur um die Zukunft des Atomdeals, sondern auch um seine unmittelbare Nachfolge.


Als Anfang Jänner Qassem Soleimani zu Grabe getragen wurde, war fast ganz Teheran auf den Beinen gewesen. Hunderttausende Menschen waren in der iranischen Hauptstadt auf die Straßen geströmt, um dem General, der wenige Tage zuvor in der Nähe des Bagdader Flughafens durch den gezielten Angriff einer US-Drohne getötet wurde, die letzte Ehre zu erweisen.

Eine ähnliche Demonstration der nationalen Einheit und der Stärke hätte das Regime in Teheran wohl auch gerne beim Begräbnis von Mohsen Fakhrizadeh gesehen. Wegen der Corona-Krise, die im Iran nach offiziellen Zahlen bereits 50.000 Tote gefordert hat, blieb es aber bei einer kleinen Zeremonie. Nur Familienmitglieder des am Freitag von unbekannten Tätern erschossenen Atomphysikers und hochrangige Generäle durften persönlich an der im Staatsfernsehen übertragenen Beisetzung teilnehmen.

Symbolisch ist die Tötung Fakhrizadeh für den Iran allerdings kaum weniger bedeutsam als der Drohnenangriff Anfang Jänner, bei dem mit Soleimani nicht nur einer der populärsten Generäle des Landes umkam, sondern auch der Architekt der iranischen Militärpolitik im gesamten Nahen Osten. Fakhrizadeh war nicht nur ein der wichtigsten Nuklearphysiker des Landes, westliche und israelische Geheimdienste sahen in ihm auch einen der zentralen Köpfe hinter einem verdeckt geführten iranischen Atomwaffenprogramm.

Entsprechend stark hat sich in den vergangenen Tagen auch der Druck auf den als moderat geltenden Präsidenten Hassan Rouhani aufgebaut. Nahezu die gesamte politische Führung der Islamischen Republik sieht den Erzfeind Israel als Drahtzieher der Tat, die dann mit Hilfe von gedungenen iranischen Söldnern, der Exilopposition und ferngesteuerten elektronischen Waffen durchgeführt worden sein soll. Und die Rufe nach Rache werden nicht nur immer lauten, vielfach wird auch deutlich, dass sich viele im Land nicht mehr nur mit einer vor allem symbolischen Vergeltungsaktion - wie sie der kaum für Schäden sorgende Raketenangriff auf eine US-Basis im Irak nach der Tötung Soleimanis war - zufriedengeben wollen. So forderte die islamistische Tageszeitung "Kayhan", die als Sprachrohr der konservativen Hardliner, sogar einen Angriff auf die israelische Hafenstadt Haifa, sobald sich eine Beteiligung Israels nachweisen lasse.

Präsidentschaftswahl im Juni

Rouhani und seine Reformer stecken allerdings in der Zwickmühle. Denn selbst wenn der Iran zusätzlich zu den angeblich auf der Tatwaffe gefundenen israelischen Logos noch weitere Beweise vorbringt, würde jegliches Vorgehen gegen Israel auch die USA auf den Plan rufen. So hatte sich US-Präsident Donald Trump, der in den vergangenen vier Jahren viel Energie darauf verwendet hat, Israel in der Region zu stärken, laut US-Medienberichten bereits wenige Tage nach seiner Wahlniederlage nach Optionen für ein militärisches Vorgehen gegen den Iran erkundigt.

Ein iranischer Vergeltungsschlag gegen Israel würde aber wohl nicht nur zu einer offenen Konfrontation mit der noch bis zum 20. Jänner im Amt befindlichen Trump-Regierung führen. Auch die erhoffte Annäherung an die USA nach der Amtsübernahme durch Joe Biden und die eventuelle Rückkehr zum 2015 in Wien geschlossenen Atomabkommen dürfte sich dann deutlich schwieriger gestalten.

Rouhani gibt sich daher derzeit vor allem beschwichtigend. "Wir wussten doch schon im Vorfeld, dass die letzten Wochen für unsere Feinde eng werden könnten und sie daher alles unternehmen würden, um eventuelle Änderungen in der Weltpolitik zu verhindern", sagt der Präsident. Der Iran sei aber klug genug, um nicht in die mit der Tötung Fakhrizadeh ausgelegte Falle zu tappen.

Ob sich Rouhani gegen die Rache fordernden Hardliner durchsetzen wird können, ist allerdings fraglich. Denn die Konservativen haben nicht nur unmittelbare Vergeltung im Kopf, sondern auch langfristige Ziele. So finden am 18. Juni Präsidentschaftswahlen statt, bei denen Rouhani nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf. Und wer sein Nachfolger wird, hängt auch davon ab, wie restriktiv der Kurs des neuen US-Präsidenten Joe Biden gegenüber dem Iran sein wird. So hatte Trump den ölreichen Iran mit der Verhängung drakonischer Sanktionen nicht nur in eine schwere Wirtschaftskrise gestürzt, sondern auch den konservativen Hardliner zu einem eindrucksvollen Comeback verholfen. Denn viele Iraner machten nicht nur Trump für die ökonomische Misere verantwortlich, sondern auch die in ihren Augen gescheiterte Öffnungs- und Reformpolitik Rouhanis.(rs)