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Biden will Putin rote Linien aufzeigen

Von Michael Schmölzer

Politik
Flaggenparade im Garten der Genfer Villa "La Grange", am Ort des Gipfels.
© reuters / Peter Klaunzer

Die Erwartungen an den US-Russland-Gipfel in Genf sind niedrig - vielleicht liegt darin eine Chance auf kleinere Erfolge.


Freunde werden US-Präsident Joe Biden und Kreml-Herr Wladimir Putin keine mehr - das Treffen der beiden in Genf ändert daran nichts. Schon unter Ex-Präsident Donald Trump war das Verhältnis schlecht, jetzt ist es an einem Tiefpunkt angelangt. Biden hat in der Vergangenheit klar zu erkennen gegeben, dass er nichts von Putin hält, ihn als "Killer" bezeichnet und ihm, direkt ins Gesicht, Seelenlosigkeit attestiert. Russland hat zuletzt seinen Botschafter aus Washington abgezogen und den amerikanischen aufgefordert, in seine Heimat zurückzukehren.

Die Beziehungen der beiden Atommächte gleichen tatsächlich einen Trümmerhaufen, Politologen schätzen die Lage aber trotzdem nicht als hoffnungslos ein. Immerhin sei sowohl bei Joe Biden als auch bei Wladimir Putin eine gewisse Neugierde auf den jeweils anderen feststellbar, heißt es hier.

Guter Wille vorhanden

Eine Portion guter Wille ist jedenfalls vorhanden: So hat der US-Präsident Putin zuletzt als "würdigen Gegner" bezeichnet. Und der russische Präsident bekundet seit Tagen Interesse an einer neuen Kontaktaufnahme mit Washington. Ein Eklat ist in Genf also keineswegs vorprogrammiert - vielleicht, so die Hoffnungen internationaler Beobachter, werden bei dem Treffen in der herrschaftlichen Villa "La Grange" sogar kleine Fortschritte erzielt.

Bidens erklärtes Ziel ist es, nach den vergangenen Turbulenzen eine "stabile, vorhersehbare Beziehung" zu schaffen. Gleichzeitig soll der russischen Seite klargemacht werden, wo für Washington die roten Linien verlaufen.

An Streitthemen mangelt es nicht: Aus Sicht Washingtons ist Moskau für Cyberangriffe in den USA verantwortlich und hat sich in die US-Wahlen eingemischt. Biden will zudem die Menschenrechtslage in Russland und die Vergiftung und Inhaftierung des Regimekritikers Alexej Nawalny ansprechen. Zuletzt meinte er auf die entsprechende Frage einer Reporterin, dass der Tod Nawalnys ein weiterer Hinweis, wäre, "dass Russland wenig oder keine Absicht hat, sich an grundlegende Menschenrechte zu halten".

In Moskau heißt es derweil, dass man in gewissen Bereichen zur Zusammenarbeit mit den USA bereit wäre - allerdings "nicht um jeden Preis". Hier will man ein Treffen auf Augenhöhe, eine "waagrechte Tischplatte" und Respekt. Der frühere US-Präsident Barack Obama sah in Russland nicht mehr als eine Regionalmacht, was die Entzweiung zwischen den ehemaligen alleinigen Supermächten beschleunigte.

Denn Russland investiert erhebliche Anstrengungen in das Ziel, einen Gegenentwurf zum Westen, dessen politischen Vorstellungen und Wertesystem zu etablieren. Auf Geringschätzung und Belehrungen reagiert man in Moskau allergisch, auch auf globaler Ebene will man den USA die Stirn bieten. Und hier hat Moskau zuletzt massiv zulegen können.

Als ein mögliches Ergebnis in Genf gilt, dass eine Rückkehr der jeweiligen Botschafter vereinbart wird. Auch ein Austausch von in den USA verurteilten russischen Staatsbürgern und in Russland inhaftierten US-Bürgern ist nicht ausgeschlossen.

Ein großer Erfolg wäre - hieß es im Vorfeld des Gipfels - wenn die beiden einen neuen Abrüstungsvertrag und eine Kontrolle der Waffenarsenale anstoßen könnten. Bei den Fragen der strategischen Stabilität in der Welt haben Moskau und Washington schon im Kalten Krieg Erfolge erzielt. Die USA kündigten zuletzt mehrere Verträge aus jener Zeit, verlängerten aber in letzter Minute zumindest das wichtige New-Start-Abkommen über atomare Abrüstung.

Experten sehen außerdem teilweise ähnliche Interessen beim Klimaschutz, bei der Nutzung der Ressourcen in der Arktis, bei der Zusammenarbeit im Bereich der Internationalen Raumstation ISS und bei der vertrackten Lage in Afghanistan, in Libyen und bei den umstrittenen Atomprogrammen im Iran und in Nordkorea.

Putin schlug zuletzt eine Kooperation im Bereich Cybersicherheit vor. "Es ist unsere große Hoffnung, dass wir diesen Prozess mit unseren US-Partnern in Gang setzen können." Zugleich forderte er Beweise für Russland zugeschriebene Hackerangriffe in den USA. "Wir sind schon aller möglichen Dinge beschuldigt worden - Wahleinmischung, Cyberangriffe und so weiter", so Putin in einem Interview mit dem US-Sender NBC News. Es seien aber keine Belege für die Anschuldigungen vorgelegt worden. "Wo sind die Beweise?", so Putin.

Wettstreit der Systeme

Für Biden geht es um mehr als um einzelne Konflikte. Der US-Präsident betont immer wieder, dass die Demokratien der Welt im Wettstreit mit autoritären Systemen stünden und sich darin beweisen müssten. "Russland und China versuchen beide, einen Keil in unsere transatlantische Solidarität zu treiben", so Biden zuletzt. Beim vergangenen G7-Gipfel meinte er mit Blick auf sein Treffen mit Putin: "Es gibt keine Garantie dafür, dass man das Verhalten einer Person oder das Verhalten seines Landes ändern kann. Autokraten haben enorme Macht und müssen sich nicht vor einer Öffentlichkeit verantworten."

Eine gemeinsame Pressekonferenz wird es nach dem Treffen jedenfalls nicht geben. Vor allem die US-Seite will Putin, der fallweise enorm schlagfertig, knochentrocken und zynisch agieren kann, keinen unnötigen Vorteil vor den internationalen Fernsehkameras einräumen.