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Das große Welttheater am East River

Von Thomas Seifert

Politik

Das "Parlament der Menschheit", wie die UNO immer wieder genannt wird, tagt wieder in New York: Doch die großen Herausforderungen - Klimawandel und neue Blockkonflikte - kann sie nicht bewältigen. Eine Analyse.


Gäbe es die Vereinten Nationen nicht, müsste man sie erfinden. So lautet das Mantra über die UNO, das bei passenden Gelegenheiten gebetsmühlenartig wiederholt wird. Auch ab kommender Woche wird man diesen bei Redenschreibern wie Journalisten beliebten Stehsatz wieder öfter hören und lesen, wenn Vertreter aus fast allen 193 UN-Mitgliedstaaten (bei den Delegationen Afghanistans und Myanmars ist nicht klar, ob und wenn ja, wer diese Länder vertreten wird) im UN-Hauptquartier am East River in New York zusammenkommen.

Die Liste der Herausforderungen der Vereinten Nationen ist lang, wie der Thinktank International Crisis Group im Papier "Ten Challenges for the UN in 2021-2022" ausführt:

Hilfe für die Bevölkerung im krisengeschüttelten Afghanistan, wo nach der Machtübernahme durch die Taliban ein Abgleiten ins Chaos und sogar Bürgerkrieg droht;

die Vermittlung eines Waffenstillstands in der äthiopischen Bürgerkriegsregion Tigray;

das Weitertreiben des Friedensprozesses in Libyen;

ein neuer Ansatz für Friedensbemühungen im Jemen;

einen Rückfall von Haiti nach der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse ins Chaos verhindern;

die Aufrechterhaltung des Dialogs zwischen griechischen und türkischen Zyprioten;

die Repatriierung von früheren IS-Sympathisanten oder Kämpfern aus kurdisch kontrollierten Gebieten in Syrien in ihre Herkunftsländer;

eine Offensive, um Desinformationskampagnen in Konfliktgebieten zu begegnen;

mehr Augenmerk auf Klimakonflikte im Weltsicherheitsrat;

die Planung von Covid-19-Impfkampagnen in Konfliktregionen.

Diese Fülle von Aufgaben scheint unbewältigbar. Dabei warten auf die Vereinten Nationen noch viel größere Herausforderungen: Ostasien droht dem Nahen Osten in Zukunft als potenzieller Konfliktherd Nummer eins den Rang abzulaufen. Nordkorea testet neue Raketen, Taiwan erhöhte zuletzt als Reaktion auf die von Taipeh als immer aggressiver empfundene Haltung Chinas das Verteidigungsbudget um satte 9 Milliarden Dollar und Australien, Großbritannien (UK) und die USA schmieden an einem neuen Sicherheitsbündnis (AUKUS, das vor allem als Gegengewicht zu China operieren soll. China hat in den vergangenen Jahren die Schlagkraft der eigenen Marine- und Luftwaffeneinheiten stark erhöht und Korallenriffe im Südchinesischen Meer zu Militärbasen ausgebaut.

Die kommenden Konflikte

Im Südchinesischen Meer kommt es immer wieder zu durchaus brenzligen Situationen, wenn Marineschiffe oder Flugzeuge der USA oder Australiens aufgefordert werden, den chinesischen Luftraum zu verlassen, oder von chinesischen Marineschiffen bedrängt werden. Bei diesen Konflikten geht es darum, dass China Meeresgebiete als eigenes Territorium beansprucht, die von anderen Nationen als internationale Gewässer betrachtet werden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ließ bei Ihrer Rede zur Lage der Union am Mittwoch ebenfalls mit China-kritischen Tönen aufhorchen, die EU setzt aber eher auf den Dialog mit den Nachbarn Chinas im Rahmen der Asean (Verband Südostasiatischer Nationen - Association of Southeast Asian Nations) und vermeidet eine direkte Konfrontationsstellung mit Peking. Eigentlich möchte man also meinen, dass es allerhöchste Zeit wäre, dass die Staats- und Regierungschefs von China, den USA, Großbritanniens und den Ländern Ost- und Südostasiens im Rahmen der UN nach Möglichkeiten suchen, um eine weitere Eskalation in der Konfliktstellung zwischen westlichen Mächten und China zu verhindern.

Nur gibt es leider ein kleines Problem: Chinas Präsident Xi Jinping reist erst gar nicht zur UN-Generalversammlung nach New York. Wladimir Putin - Moskau ist Pekings engster Verbündeter - übrigens auch nicht.

Insgesamt ist das Klima zwischen den Mitgliedern des Sicherheitsrates in den vergangenen Jahren immer frostiger geworden: Dass Wladimir Putin Russland von einer "gelenkten Demokratie" in eine Autokratie, in der nur mehr die Rituale - wie etwa Wahlen - an einstige demokratische Hoffnungen erinnern, umwandelt, verschärft den Systemkonflikt. Eine wirkliche demokratische Tradition konnte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion in der Russischen Föderation nie entwickeln. Ähnlich steht die Sache mit China: Präsident Xi Jinping wird kommendes Jahr länger als zehn Jahre im Amt sein - nach dem Ende der Herrschaft von Mao Tsetung wurde eine Amtszeitbegrenzung von zehn Jahren eingeführt, um Personenkult und absolute Machtausübung durch eine Person zu verhindern. Ein Rückfall in die Zeit eines solchen Personenkults birgt ebenfalls Gefahren: Vor allem für die Zeit des Machttransfers für die Zeit nach Xi.

Die Vereinten Nationen werden wohl keinen Beitrag zu einer Wiederannäherung zwischen den rivalisierenden Machtblöcken leisten können.

Beide Staatschefs - Putin und Xi - sind unzufrieden damit, dass der US-Präsident bei den Vereinten Nationen eine Art Primus-inter-pares-Rolle spielt und die USA als Sitz des UN-Hauptquartiers in der Rolle des Gastgebers sind.

In den Jahren der Präsidentschaft von Donald Trump konnten beide Staatenlenker neben dem erratischen US-Präsidenten bella figura machen, doch wenn Joe Biden am Podium des Generalversammlungssaals steht, sieht die Sache ein wenig anders aus.

Auch Klima-Aktivisten werden enttäuscht sein: Denn eigentlich hätte die Generalversammlung eine Bühne bieten sollen, um für die Klimakonferenz in Glasgow im November kräftig die Werbetrommel zu rühren. Aufgrund von Covid-19 wird die UN-Zusammenkunft aber eher leise und verhalten ablaufen.