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Äthiopiens Friedensnobelpreisträger droht Sturz

Von Klaus Huhold

Politik

Premier Ahmed Abiy wollte die Rebellen aus Tigray schnell besiegen. Doch er hat sich verschätzt.


Es sind martialische Worte, die der Friedensnobelpreisträger wählt: "Wir werden den Feind mit unserem Blut und unseren Knochen begraben", verkündete Äthiopiens Premier Abiy Ahmed am Mittwoch bei einer Rede vor Soldaten. "Das Loch, das wir graben, wird sehr tief sein, und darin wird der Feind liegen und nicht Äthiopien auseinanderfallen", sagte er.

Der Feind: Das ist die Befreiungsfront von Tigray (TPLF). Sie war, seit Abiy 2018 Premier wurde, sein Hauptgegner und marschiert nun mit ihren Kämpfern auf die Hauptstadt Addis Abeba zu. Abiy droht durch einen Bürgerkrieg zu stürzen, den er selbst mit angezettelt hat. Und auch seine Rhetorik hat sich durch den bewaffneten Konflikt massiv verändert: Versprach der 45-Jährige bei seinem Amtsantritt noch eine Öffnung und Demokratisierung des Landes und wurde für den Friedensschluss mit dem jahrzehntelangen Erzfeind Eritrea mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, stachelt er nun zu Gewalt und Tötungen auf.

Eskalierter Machtkampf

Der Bürgerkrieg, der mittlerweile seit einem Jahr im Gang ist, ist die Folge des eskalierten Machtkampfes zwischen den Tigrinern und Abiy: Nachdem vor allem ihre bewaffneten Verbände die kommunistische Diktatur 1991 gestürzt hatten, waren die Tigriner die dominierende Ethnie in Äthiopien und besetzten Schlüsselpositionen in Politik, Militär und Verwaltung. Als dann Abiy, der halb Oromo und halb Amhara ist, Premier wurde, entmachte er nach und nach die Tigriner. Die TPLF ging wiederum immer stärker in den Widerstand und missachtete in der von ihr beherrschten Region Tigray die Anweisungen der Zentralregierung.

Beide Seiten schaukelten den Konflikt immer mehr hoch, bis Abiy vor genau einem Jahr in Tigray einmarschierte. Unterstützt wurde die Armee dabei von ethnischen Milizen der Amharen und Truppen aus Eritrea.

Die Regierungsverbände rückten auch schnell vor und Abyi verkündete bald, dass es nur eine Frage von Tagen bis zum erfolgreichen Ende der Offensive sei. Doch Abyi, der selbst aus dem Militär stammt, hat die Lage und die Schlagkraft seiner Verbände offenbar vollkommen falsch eingeschätzt. Denn die TPLF, die zahlreiche erfahrene Kader in ihren Reihen und sich mittlerweile mit einer Rebellenarmee der Oromo verbündet hat, eroberte die verlorenen Gebiete zurück und treibt nun die Regierungstruppen vor sich her. Die TPLF hat mittlerweile sogar die Stadt Dessie erobert. Das wäre fatal für die Regierung: Der Verkehrsknotenpunkt ist für die Versorgung von Addis Abeba entscheidend.

Nun wurde für das ganze Land der Ausnahmezustand ausgerufen, und es steht offenbar die Entscheidungsschlacht bevor: Denn die Aufständischen wollen bis zur Hauptstadt weitermarschieren. Ein Kommandeur der TPLF sagte der Nachrichtenagentur Reuters, dass man Abiy und seine Getreuen stürzen und eine Interimsregierung einsetzen wolle. In Addis Abeba haben die Behörden die Bürger aufgefordert, sich zu bewaffnen und die Stadt gegen die "Terroristen" zu verteidigen.

Abiy will trotz seiner prekären Lage weiterhin die TPLF derart besiegen, dass sie keine politische Macht mehr besitzt. Der evangelikale Christ glaubt dabei offenbar daran - das berichteten zuletzt internationale Medien unter Berufung auf sein engeres Umfeld -, erwählt worden zu sein und Gott auf seine Seite zu haben.

Internationale Vermittlungsversuche in dem Konflikt hat Abiy stets abgelehnt. Bis heute dürfen keine internationalen Beobachter in bestimmte, umkämpfte Gebiete reisen. Aber auch die TPLF will jetzt, wenn sie Oberwasser hat, nicht verhandeln.

Der Zivilbevölkerung droht somit noch mehr Unheil, als sie ohnedies bereits erfahren hat. Der Konflikt sei "durch extreme Brutalität" geprägt, sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, am Mittwoch. Eine von der UNO nun mit der äthiopischen Menschenrechtskommission durchgeführte Untersuchung dokumentierte zahlreiche Menschenrechtsverbrechen. Diese reichen von der Blockade von Hilfslieferungen bis zu Massakern.

Verbrechen an Zivilisten

Die meisten dokumentierten Verbrechen werden eritreischen Verbänden zugeschrieben. Diese haben demnach bei ihrem Einmarsch in Tigray geplündert, vergewaltigt und wahllos getötet. Auch die äthiopische Armee soll Zivilisten ermordet haben. Mit dem Vormarsch der TPLF mehren sich aber auch die Berichte über Verbrechen, die von Tigrinern begangen werden. Sie sollen 200 Amharen in der Stadt Mai Kadra getötet haben - offenbar eine Vergeltungsaktion, nachdem zuvor Kämpfer der Amharen Tigriner getötet hatten.

Derartige Vorfälle zeigen, dass der Bürgerkrieg auch ethnische Konflikte weiter angefeuert hat. Der äthiopische Vielvölkerstaat war immer schon ein fragiles Gebilde, das regelmäßig durch Hass und Gewalt zwischen einzelnen Volksgruppen erschüttert wird. Abiy wollte das bei seinem Amtsantritt durch einen starken Zentralstaat und die Förderung einer gesamtäthiopischen Identität beenden. Doch nun droht es Äthiopien während seiner Präsidentschaft zu zerreißen.