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Nach dem Klimagipfel ist vor dem Klimagipfel

Von Ronald Schönhuber

Politik

In Glasgow hat es nicht jenes große Scheitern gegeben, das manche Umweltschutzorganisationen nun orten.


Der Klimagipfel in Kopenhagen hatte 2009 einen Wendepunkt markiert. Während die Vorgängerkonferenzen vor allem Treffen für die interessierte Fachgemeinde und politische Entscheidungsträger mit vergleichsweise geringer medialer Präsenz waren, wurde der Gipfel in der dänischen Hauptstadt zum globalen öffentlichen Ereignis. Hunderte TV-Sender aus aller Welt hatten ihre Teams nach Kopenhagen geschickt, in der Schlussphase wurde fast schon im Live-Modus berichtet.

Kopenhagen war aber auch gewissermaßen der erste "Alles oder nichts"-Gipfel. Bis zum Schluss hatten Klimaschützer und die besonders massiv von der Erderwärmung betroffenen Staaten auf ein völkerrechtlich verbindliches Nachfolgeabkommen für das auslaufende Kyoto-Protokoll gehofft, doch die Verhandlungen scheiterten spektakulär, weil vor allem die USA und China als größten CO2-Emittenten nur zu unzureichenden Zugeständnissen bereit waren.

Wenig Spielraum bei NDCs

Kopenhagen hat allerdings zu einschneidenden Veränderungen geführt. Mit dem 2015 geschlossenen Pariser Klimavertrag wurde die Architektur, die in der dänischen Hauptstadt zum Kollaps geführt hat, neu aufgesetzt. Statt am Ende einer Weltklimakonferenz unter maximalem Druck über gemeinsame und rechtsverbindliche Reduktionsziele zu verhandeln, legen die Staaten nun schon vorab fest, wie viel CO2 sie bis wann einsparen wollen. Damit wird verhindert, dass die Verhandlungen so wie 2009 völlig implodieren, gleichzeitig sind die unmittelbaren Gestaltungsspielräume, die Staaten bei den Klimagipfeln haben, kleiner geworden. Denn die vorab eingereichten nationalen Klimaschutzpläne (NDCs) sind in den allermeisten Fällen das Ergebnis eines langwierigen legistischen Prozesses, der sich nicht so einfach innerhalb weniger Verhandlungstage in eine neue Richtung drehen lässt.

Neben Schatten auch Licht

Dass es bei der am Samstagabend zu Ende gegangenen 26. Weltklimakonferenz in Glasgow zum entscheidenden Durchbruch kommt, war also trotz der enormen Erwartungshaltung und des nach wie vor bestehenden "Alles oder Nichts"-Narrativs von Beginn an wenig realistisch. Das von manchen Umweltschutzorganisationen geortete Totalversagen hat es in der schottischen Industriemetropole aber wohl dennoch nicht gegeben. Denn neben einigem an Schatten, wie etwa dem durch Indien und China verwässerten Bekenntnis zum Kohleausstieg oder der noch immer sichtbaren Mutlosigkeit der Politik, hat es durchaus auch Licht gegeben.

So haben sich in Glasgow nicht nur knapp 90 Staaten dazu verpflichtet, den Ausstoß des extrem klimaschädlichen Treibhausgases Methan substanziell zu verringern. Die Industriestaaten haben auch versprochen, ihre Hilfen für die armen und vom Klimawandel besonders betroffenen Staaten zu erhöhen. Bis 2025 sollen nun die Mittel, mit denen diese Länder bei Klimaschutzprojekten und Anpassungsmaßnahmen an die Erderwärmung unterstützt werden, gegenüber dem Niveau des Jahres 2019 verdoppelt werden.

Klima-Inventur schon 2022

Der vielleicht wichtigste Punkt ist aber, dass die Konferenz in Glasgow, deren erklärtes Ziel es war, das 1,5-Grad-Ziel am Leben zu halten, das Tempo erhöht hat. So sollen die Länder nicht erst 2025 ihre neuen und verschärften NDCs vorlegen, sondern schon kurz bevor sich die Delegierten im nächsten Jahr zur 27. Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el-Sheikh treffen.

Damit wächst der Druck auf die Staaten, ihre nationalen Klimaschutzpläne, die nach derzeitigem Stand die globale Durchschnittstemperatur um wohl verheerende 2,4 Grad ansteigen lassen, rasch substanziell nachzubessern. Das betrifft zwar alle Länder, aber vor allem große Emittenten wie Indien und China, die mit nahezu leeren Händen in Glasgow aufgetaucht waren. Denn gerade in den großen Schwellenländern ist die Lücke zwischen den Bekenntnissen zur Klimaneutralität in den Jahren 2060 oder 2070 und konkreten Handlungsplänen besonders groß. So müssen die globalen CO2-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent sinken, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu schaffen. In China und Indien soll der Treibhausgasausstoß in den kommenden zehn Jahren aber noch steigen.