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Abzug aus dem Irak - zum zweiten Mal

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Die USA haben ihren Kampfeinsatz beendet. Doch ist die Lage im Irak nicht mit jener in Afghanistan vergleichbar.


Fast wäre es untergegangen, dass die Amerikaner nun schon zum zweiten Mal aus dem Irak abgezogen sind - wären da nicht die mit Sprengstoff beladenen Drohnen, die vor kurzem auf den Flughafen in Bagdad abgefeuert wurden. Doch konnten sie abgefangen und in der Luft vernichtet werden, bevor sie Schaden anrichten konnten. Vor zwei Jahren war dies nicht der Fall. Damals schossen am 3. Jänner die Amerikaner selbst zwei bewaffnete Drohnen auf einen Konvoi am Flughafen in Bagdad und töteten damit einen hohen iranischen General und einen irakischen Milizenführer.

Seitdem rissen die Vergeltungsschläge nicht ab. Es gab unzählige Angriffe auf US-Einrichtungen wie die Botschaft, auf Konvois mit amerikanischen Staatsbürgern, mit Mörsergranaten auf Militärbasen, wo GIs stationiert waren. Zum zweiten Jahrestag der Ermordung von Qasim Soleimani, dem Führer der Al-Quds-Brigaden, Teherans Auslandstruppen, forderte der iranische Präsident Ebrahim Raisi, Anklage gegen Ex-Präsident Donald Trump zu erheben, der die Tötung des Generals befohlen hatte.

Die Attacken gegen die Amerikaner im Irak gehen auf das Konto der vom Iran dominierten irakischen Schiitenmilizen. Doch der Einsatz der US-Truppen im Zweistromland ist zum Jahresende 2021 offiziell beendet worden.

Außenpolitisches Desaster

So verkündete wieder einmal ein amerikanischer Präsident das Ende des amerikanischen Kampfeinsatzes im Irak. Alle Truppen hätten das Land bereits verlassen, heißt es aus Washington. Joe Biden hatte dies im Juli Iraks Interimspremier Mustafa al-Kadhimi zugesagt, als dieser zu Besuch in Washington war. Es war nun schon der dritte US-Präsident, der dieses Ansinnen verkündete. Aber dieses Mal, so Biden, solle es endgültig werden.

Doch dann kam Afghanistan und der verheerende Rückzug von dort. Er gilt als das außenpolitische Desaster des Jahres 2021 für die Amerikaner und ihre Verbündeten. 20 Jahre Kriegseinsatz am Hindukusch stehen der Machtübernahme der Taliban binnen weniger Tage gegenüber. Genau das sollte mit der militärischen Präsenz der West-Alliierten in Afghanistan verhindert werden. Danach wuchs die Sorge, dass der Abzug aus dem Irak zu einer ähnlichen Katastrophe führen könnte. Doch Irak ist nicht Afghanistan, die Situation hier eine ganz andere als dort.

Für die irakische Regierung ist der Rückzug der amerikanischen Kampftruppen ein politischer Sieg, ein Trumpf in der Hand gegenüber den vom Iran unterstützten politischen Parteien und Milizen, die gegen die militärische Präsenz der USA im Irak opponierten. Auch das Parlament in Bagdad verlangte den Abzug mit dem Argument, dass die Ermordung eines iranischen Staatsbürgers auf irakischem Territorium ein Verbrechen sei.

Die Ankündigung Bidens, alle Kampftruppen bis Ende 2021 aus dem Irak abzuziehen, wurde daher als Entgegenkommen vor allem für Kadhimi gewertet, der hartnäckig versucht, eine Balance zwischen den Erzfeinden USA und Iran herzustellen. Immerhin hat es der Premier geschafft, dass Teheran und Washington bei mehreren Treffen auf irakischem Boden zusammensaßen und so der Gesprächsfaden nicht abriss. Um im Amt zu bleiben, braucht Kadhimi die Unterstützung beider; um Ruhe, Frieden und Stabilität im Irak zu erzielen ebenfalls. Da Biden im Wahlkampf ohnehin das Ende der Kriege, die Folge des 11. September 2001 sind, versprochen hatte, leistete er gerne der Bitte von Iraks Premier Folge.

Aus Fehlern gelernt

Doch die Amerikaner scheinen aus ihren Fehlern gelernt zu haben, denn sie sind schon einmal aus dem Irak abgezogen. Als am 30. Dezember 2011 der letzte GI medienwirksam das Tor zu Kuwait hinter sich zuzog, schien die achtjährige Besatzung ein Ende zu nehmen. Doch von Stabilität und Frieden war der Irak damals so weit entfernt wie heute. Nur wenige Stunden nach dem Rückzug 2011 brach in Bagdad die von den Amerikanern notdürftig verhandelte Regierungskoalition zusammen, die Spannungen zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen nahmen wieder zu. Zwei Jahre später übernahm die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Sunnitenhochburg Falludscha, nur 80 Kilometer westlich von Bagdad, die zurzeit der US-Besatzung heiß umkämpft war. Im Sommer 2014 schließlich überrollten die brutalen Dschihadisten den Nordirak. Fast ein Drittel des gesamten Landes wurde zum Kalifat erklärt. Die amerikanischen Kampftruppen kamen zurück, wenn auch nicht in gleicher Stärke wie davor.

Entsprechend gedämpft verlief der Abzug jetzt. In Bagdad fand Ende Dezember eine bescheidene Zeremonie statt. Denn während 2.500 Soldaten abzogen, kommen nun genau so viele militärische Ausbildner und Berater aus den USA in den Irak. Sie sollen verhindern, dass der IS oder eine ähnliche Terrororganisation erneut im Irak ihr Unwesen treiben kann: Irakische Armee und Geheimdienste sollen gestärkt werden. Sie sollen aber auch darauf achten, dass der ohnehin große Einfluss Irans im Irak nicht übermächtig wird. Der US-Einsatz wird also umdeklariert in eine Ausbildungsmission.

Ob das erklärte Ende der amerikanischen Kampftruppen im Irak die Lage beruhigen und die vom Iran unterstützten Milizen davon abhalten wird, weitere Anschläge auf US-Einrichtungen zu verüben, bleibt indes fraglich. Waren die jüngsten Drohnenangriffe lediglich ein Gedenken an den Tod des iranischen Generals oder gehen sie weiter?

"Wir wollen den kompletten Abzug aller Amerikaner", fordert bereits Harakat Hisbollah Al-Nujaba, eine der acht Teheran zugewandten Hisbollah-Gruppen im Irak. Sie und etwa 30 andere Schiitenmilizen bilden die sogenannte Volksmobilisierungsfront (Hashd al-Shaabi), die zur Bekämpfung des IS gebildet wurde und nun in die regulären Streitkräfte der irakischen Armee eingegliedert werden soll, was sie ablehnt. Seit dem offiziellen Ende des IS Anfang 2018 ringt die irakische Regierung um Entwaffnung dieser Milizen, was bisher nicht gelungen ist. Premier Kadhimi hofft nun, der US-Abzug liefert ihm ein gewichtiges Argument, dass der Kampf gegen den IS gewonnen sei und somit keine Legitimation mehr für bewaffnete Einheiten außerhalb der irakischen Armee bestünde.

Geschwächte Terrormiliz

Während der Machtkampf zwischen der Regierung und den Schiitenmilizen derzeit die Konfliktlinien im Irak dominiert, stellt der IS dennoch nach wie vor eine Bedrohung dar. Generalmajor John W. Brennan beschrieb bei der Übergabezeremonie in Bagdad die Terrormiliz als "geschwächt, aber nicht weg". Obwohl der IS über kein Territorium mehr verfüge, habe er noch immer Schläferzellen im Irak und in Syrien. Wöchentlich gibt es wieder Anschläge im Norden des Landes, wo Gebietsansprüche zwischen der irakischen Regierung in Bagdad und der kurdischen Autonomieregierung in Erbil kontrovers geltend gemacht werden. Zwar ist die irakische Armee inzwischen professioneller bei der Bekämpfung des IS als je zuvor, doch ist sie nach wie vor auf US-Hilfe angewiesen bei geheimdienstlichen Informationen und Luftaufklärung.

Es ist nun beabsichtigt, dass die Nato mit bis zu 4.000 stationierten Soldaten und Verbände aus anderen Ländern das Vakuum füllen werden, das der Abzug der US-Kampftruppen hinterlässt. Auch das Bundesheer wurde angefragt. Bis heute aber wird der Einsatz der Österreicher am Tigris noch kontrovers diskutiert.