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"Diesen Terroristen gibt es nicht mehr"

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

US-Raketen töteten den Chef der Al Kaida. Bis zuletzt war dieser eng mit den Taliban in Afghanistan verbunden.


Drei Monate lang observierte die CIA das Haus in Kabul, bevor der amerikanische Geheimdienst am Sonntag morgens um 6.18 Uhr zuschlug. Zwei Hellfire-Raketen wurden aus einer Drohne abgeschossen und töteten den seit 21 Jahren gesuchten Topterroristen Ayman al-Zawahiri. Er sei auf dem Balkon des zweiten Obergeschoßes des Hauses gesehen und identifiziert worden, verlautete aus dem Weißen Haus. Nur er sei getroffen worden, seine Frau und die vier Kinder seien unversehrt geblieben.

"Diesen Terroristen gibt es nicht mehr", verkündete US-Präsident Joe Biden. Nach Recherchen der britischen BBC gehört die Villa in der afghanischen Hauptstadt einem hohen Taliban-Funktionär, der dem Chef von Al Kaida und seiner Familie Unterschlupf gewährte. Die Familienmitglieder seien inzwischen an einen anderen Ort gebracht worden.

Lange observiert

Der Aufenthaltsort des Ägypters war lange unbekannt. Vermutet wurde das Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan, wo sich auch Zawahiris Vorgänger Osama bin Laden lange Zeit aufhielt. Dieser wurde 2011 ebenfalls von der CIA in Pakistan aufgespürt, monatelang beobachtet und schließlich erschossen. Zu Beginn des Jahres habe es Hinweise darauf gegeben, dass Zawahiri sich in einer Villa in Kabul niedergelassen hatte. Das Haus befindet sich in einem reichen Viertel der afghanischen Hauptstadt, direkt neben einer Bank. Zunächst seien dort Angehörige Zawahiris gesichtet worden, heißt es aus US-Regierungskreisen. Die Erkenntnisse über die Anwesenheit des Terroristenführers hätten sich dann erhärtet. "Egal, wie lange es dauert, egal wo du dich versteckst: Wenn du eine Gefahr für unser Volk bist, werden die Vereinigten Staaten dich finden und ausschalten", sagte Biden triumphierend in Washington.

Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte der mit 25 Millionen US-Dollar Kopfgeld meistgesuchte Terrorist der Welt im vergangenen September - genau 20 Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, in die er maßgeblich verwickelt war. In einer Videobotschaft zum Jahrestag rief er seine Anhänger dazu auf, die Staaten im Westen und ihre Verbündeten in Nahost zu bekämpfen.

In den Jahren davor hatte es immer wieder Gerüchte über seinen Tod gegeben, auch über seinen Gesundheitszustand wurde spekuliert. In der Machtstruktur von Al Kaida stand der 71-jährige Arzt aus Kairo viele Jahre lang direkt hinter Anführer Osama bin Laden. Der in Saudi-Arabien geborene bin Laden war der ideologische Kopf der Organisation, der Ägypter der Pragmatiker. Er koordinierte und führte aus. Sie beide verband der fanatische Hass auf Amerika, Israel und die Herrscher in ihren eigenen Ländern.

Nach dem Tod bin Ladens übernahm Zawahiri zunächst die Führung. Doch dann kam Hamza bin Laden, Osamas Sohn, ins Spiel und wurde immer mehr zum Anführer Al Kaidas. Von einem Machtkampf zwischen dem alten Zawahiri und dem jungen bin Laden war die Rede. Ob dem so war, bleibt unklar. Tatsache aber ist, dass Al Kaida inzwischen an Bedeutung verloren hatte und der "Islamische Staat" die Rolle übernahm. Die Terrororganisation musste sich neu definieren, und dies geschehe wohl eher mit einem jungen Anführer als mit einem alten, hieß es damals aus gut informierten Kreisen von Al Kaida. Eine Neuausrichtung der Terrororganisation zeichnete sich bereits ab. Vermehrt engagiert sich Al Kaida seitdem im Süden Jemens und in Syrien. Doch dann wurde Hamza bin Laden 2019 bei einem US-geführten Anti-Terror-Einsatz in der Grenzregion Afghanistan zu Pakistan getötet. Der damalige US-Präsident Donald Trump konnte die Nachricht jedoch erst Monate später verkünden. Es gab lange keine belastbaren Beweise. Nach dem Tod des 30-jährigen Hamza war es nun wieder Zawahiri, der unangefochten die Leitung von Al Kaida übernahm. Doch er schwächelte zusehends.

Der "Terrorarzt"

Zawahiri wurde 1951 in Gizeh am linken Nil-Ufer geboren und wuchs in Kairo auf. Schon während seiner Ausbildung zum Chirurgen knüpfte er Kontakte zu radikalen Muslimgruppen. Mit dem Ziel, einen islamischen Staat in Ägypten zu gründen, trat er in den 1970er-Jahren der neuen Terrorgruppe Ägyptischer Islamischer Dschihad bei, die 1981 Präsident Anwar el-Sadat ermordete. Mehrere führende Al-Kaida-Mitglieder haben ebenfalls ihren Ursprung in dieser Gruppe, wie Mohammed Atta, der in Hamburg studierte und am 9. September 2001 eines der beiden Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers in New York flog. Nachdem Zawahiri nach der Ermordung Sadats drei Jahre im ägyptischen Gefängnis einsaß, reiste er 1985 über Saudi-Arabien nach Pakistan und gründete zusammen mit dem Saudi bin Laden Al Kaida. Unterstützt von den westlichen Ländern, allen voran den USA, kämpften die Dschihadisten gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans. Nach dem Abzug der Sowjets wandte sich der "Terrorarzt" seinem ursprünglichen Ziel zu, der Errichtung eines islamischen Kalifats. In den Taliban fand er Verbündete.

So kann es nicht verwundern, dass Zawahiri bis zuletzt eng mit den neuen und alten Machthabern in Afghanistan verbunden war, die den Amerikanern bei ihrem Abzug im letzten Jahr versprachen, keine Terroristen mehr beherbergen zu wollen, geschweige denn ihnen Unterschlupf zu gewähren. Von Afghanistan werde keine Terrorgefahr durch andere Gruppen wie Al Kaida mehr ausgehen, versicherten die Taliban den internationalen Truppen als Garantie für den Rückzug. Washington sieht dieses Abkommen jetzt als gebrochen. Die Taliban verurteilen ihrerseits die Aktion der CIA, auch wenn dafür keine Soldaten auf afghanischem Boden waren.