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Wem gehört die Arktis?

Von Judith Steinkellner

Politik

Mit seiner "Murmansk-Initiative" wollte Michail Gorbatschow die militärischen Aktivitäten im Norden verringern.


Er schwelt schon seit längerem, doch nun spitzt sich der Konflikt um die Arktis zu. Denn Russland erhebt Anspruch auf die Gebiete. Dabei sollten diese eine "Zone des Friedens und der Zusammenarbeit sein" - das forderte der damalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow gegen Ende des Kalten Krieges im Rahmen der "Murmansk-Initiative". Bis vor wenigen Jahren schien die Vorstellung des sogenannten "arktischen Exzeptionalismus" auch zu halten: Die Arktis war größtenteils frei von geopolitischen Spannungen; die Anrainerstaaten - Dänemark, Norwegen, Russland, Kanada und die USA - waren um eine Machtbalance und die friedliche Zusammenarbeit bemüht.

Nun wendet sich das Blatt. In der Arktis entwickelt sich zunehmend ein strategischer Wettbewerb um Macht und Einfluss. Er wird vor allem zwischen den USA, Russland und China ausgefochten. Es geht um die dort lagernden Rohstoffe Öl und Gas, aber auch um Sicherheitspolitik und die Erschließung neuer Verkehrs- und Handelsrouten.

Reiche Ölvorkommen

Zuletzt hatte das Vorhaben der Nato und der USA, ihre militärische Präsenz am Nordpol zu stärken, für Aufruhr gesorgt. Grund für den Vorstoß war die zunehmende militärische Aktivität Russlands im hohen Norden. Moskau sei dabei, Stützpunkte aus Sowjetzeiten wieder zu öffnen und dort neue hochmoderne Waffen wie Hyperschallraketen zu stationieren, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor wenigen Tagen in einem Interview. Zudem erhebt Moskau Anspruch auf 1,2 Millionen Quadratkilometer arktischen Landes - insbesondere auf die dort lagernden Rohstoffe wie Öl und Gas.

Die russische Antwort auf den Nato-Vorstoß kam prompt: "Wir nehmen das negativ wahr", befand Kremlsprecher Dmitri Peskow zu Wochenbeginn. Mit der Ankündigung setze der Westen die Politik der Konfrontation gegen Russland fort. "Russland wird seine Interessen in angemessener Weise wahren." In Moskau verwies Peskow etwa auf Sicherheitsbedürfnisse und "wirtschaftliche Aktivitäten".

Noch in den 1980er Jahren war die Arktis eines der am stärksten militarisierten Gebiete weltweit. Doch Gorbatschows "Murmansk-Initiative", deren Ziel die Verringerung der militärischen Aktivitäten im Norden war, markierte eine 180-Grad-Wende in der sowjetischen Arktispolitik. Die folgenden Jahrzehnte galt die geopolitische Situation am Nordpol als friedlich und ruhig. Erst als das russische Tauchboot "Mir 1" als Beitrag zum vierten Internationalen Polarjahr 2007 eine russische Flagge am Meeresboden des Nordpols platzierte, zeichnete sich ein anbahnender Konflikt rund um Gebietsansprüche ab.

Es geht um viel Land: Die Arktis erstreckt sich auf einem Gebiet von etwa 20 Millionen Quadratkilometern, wovon die Hälfte der Arktische Ozean ausmacht. Unter den meterdicken Eisschichten des Nordpols werden 20 bis 30 Prozent der weltweiten Ölvorkommen und bis zu 47 Billionen Kubikmeter Erdgas vermutet. Damit könnten sich in der Arktis die größten noch nicht erkundeten Erdöl- und Gas-Fördergebiete der Welt befinden. Zudem werden reiche Vorkommnisse an Nickel, Eisen, Platin, Gold und Diamanten vermutet. Während das Schmelzen der polaren Eisschicht Klimaschützern Sorgen bereitet, bedeutet es für die fünf Anrainerstaaten einen leichteren Zugang zu den Bodenschätzen. Die ersten gänzlich eisfreien Sommer werden in 20 bis 30 Jahren erwartet.

"Polare Großmacht" China

Unter diesem Eindruck verschärft sich der Wettlauf zwischen den Anrainerländern um die Bodenschätze im hohen Norden. Die Polarstaaten haben gemäß des UNO-Seerechtsübereinkommens von 1982 Anspruch auf bestimmte Gebiete in küstennahen Bereichen und dürfen dort Rohstoffe abbauen. Diese sogenannten ausschließlichen Wirtschaftszonen, reichen jedoch maximal 200 Seemeilen (rund 370 Kilometer) aufs Meer hinaus. Erweitert werden können sie nur dann, wenn die Festlandsockelgrenzkommission feststellt, dass der Festlandsockel eines Landes, also die natürliche Verlängerung des Landgebiets unter Wasser, weiter als 200 Seemeilen ins Arktische Meer reicht. Somit gibt es für Millionen Quadratkilometer der Arktis keine bindenden Aufteilungen. Diese Gebiete sind, so steht es im Seerechtsübereinkommen, das "gemeinsame Erbe der Menschheit".

Russland hat mit Dutzenden Militärstützpunkten und zahlreichen Nordpolarmeer-tauglichen Schiffen eine Vormachtstellung in der Arktis inne. Zudem hat es in den vergangenen Jahren Milliarden Dollar in die Infrastruktur zur Gewinnung von Erdöl und Erdgas investiert.

Aber auch das 4.000 Kilometer vom Nordpol entfernte China greift nach der Arktis. Das Land, das Staatschef Xi Jinping 2013 als "polare Großmacht" bezeichnete, profitiert von der Eisschmelze und der dadurch bedingten besseren Schiffbarkeit der Gebiete in der Arktis. China will dort einerseits alternative maritime Transport- und Handelswege zur Route über den Indischen Ozean und ägyptischen Suezkanal finden; andererseits will es sich natürliche Ressourcen sichern. In der Argumentation Pekings soll das Engagement Chinas im arktischen Raum primär die Sicherheit von Schifffahrt und Handel gewährleisten sowie die Stabilität in der Region sicherstellen.

EU ebenfalls interessiert

Die EU bekundete bereits im Vorjahr in ihrer Resolution "Die Arktis: Chancen, Bedenken und Sicherheitsanforderungen" ihr Interesse an der Nutzung arktischer Rohstoffe. Die vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine steigenden Öl- und Gaspreise dürften diese Ambitionen noch befeuern.

Der Blick vieler Staaten auf die arktischen Rohstoffvorkommnisse ruft nun auch Naturschützer auf den Plan. Vor allem in den USA und in Kanada gibt es starken Gegenwind für den weiteren Ausbau der Öl- und Gasförderung in der Arktis. Diese sei ob der fehlenden Infrastruktur für eine Reaktion bei eventuellen Ölverschmutzungen nicht nur extrem gefährlich, sondern würden auch zum Klimawandel beitragen und den Lebensraum vieler Wildtiere und der indigenen Bevölkerung bedrohen, so die Argumentation.