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"Im Hybridkrieg wird alles zur Waffe"

Von Thomas Seifert

Politik

Sicherheitsexpertinnen Raluca Csernatoni und Olivia Lazard über Russlands Aggression, Klimapanik und Chinas Strategie.


Das Austrian Center for Peace (AC4P) feiert diese Woche sein 40-jähriges Jubiläum auf der Burg Schlaining. Bundespräsident Alexander Van der Bellen betonte in seiner online übermittelten Grußbotschaft: "Gerade jetzt steht das Selbstverständnis des friedlichen Zusammenlebens auf unserem Kontinent vor großen Herausforderungen. Da braucht es Einrichtungen wie das Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung, die zur Stabilisierung beitragen und als Stützen fungieren."

"Unter der neuen Marke ,Austrian Centre for Peace‘ werden unsere unterschiedlichen Arbeitsbereiche Wissenschaft, Bildung und Konfliktbearbeitung gut zusammengefasst. Damit wollen wir noch stärker international wirksam werden."

Das ACP ist ein Ort der Begegnung, an dem Friedensverhandlungen organisiert und begleitet werden; es ist aber auch in den Krisenregionen selbst in der Vermittlung zwischen Konfliktparteien tätig. Für seine Arbeit hat das ACP (Link: www.ac4p.at) unter anderem von den UN den Titel "Peace Messenger" und von der Unesco den "Preis für Friedenserziehung" erhalten. Am Rande der Jubiläumstagung entstand dieses Gespräch mit den beiden Sicherheitsexpertinnen Olivia Lazard vom Thinktank Carnegie Europe und Raluca Cernatoni von der Brussels School of Governance.

"Wiener Zeitung": Wie schätzen Sie als Sicherheitsexpertinnen die derzeitige Lage ein? Haben Sie eigentlich angesichts der Polykrise - Ukraine, sich zuspitzende Konfrontation China-USA, Klimakrise - Angst vor der Zukunft?

Raluca Csernatoni: Zuerst einmal: Was ist Krieg? Was ist Frieden? Im Kalten Krieg, gingen die Militärplaner bis zum Ende der 1980er Jahre vom großen Krieg aus, von Artillerieduellen und Panzerschlachten um die Fulda-Lücke in Deutschland und groß angelegten Angriffen auf breiter Front. Dann kam 2001 der "Krieg gegen den Terror" in Mode, im Irak-Krieg hieß es dann nach der Eroberung des Landes durch die USA, dass man die Herzen und Hirne der Menschen im Irak gewinnen müsse - was als Besatzungsmacht schwierig ist. Im Krieg Russlands gegen die Ukraine lautet das Schlagwort: Hybridkrieg. Im Hybridkrieg wird alles zur Waffe: Neben der Armee werden Energielieferungen, Nahrungsmittel- und Dünger zur Waffe. Ebenfalls im Arsenal: Instrumente wie Desinformation und Destabilisierung der politischen Systeme des Gegners. Dass das Chaos auf der Welt beträchtlich zunimmt, nimmt Wladimir Putin in diesem zynischen Spiel gerne in Kauf.

Olivia Lazard: Ob ich Angst habe? Ja. Jüngstes Beispiel: die Sabotage der Nordstream-Pipeline. Oder das nukleare Säbelrasseln des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Putin zeigt damit eines: "Wenn ich untergehe, dann gehen alle mit mir unter." Denken Sie etwa an die Tonnen von Methan, die durch die Pipeline-Sabotage in die Atmosphäre entweichen. Es ist verrückt, dass der Kreml die Bedrohung der Klimakrise nicht sieht und dass Putin sogar versucht, aus dem Chaos, das auf diesem Planeten vom katastrophalen Klimawandel verursacht werden wird, Kapital zu schlagen.

Was ist, wenn das, was wir jetzt in Ukraine erleben, erst das Präludium zu einem noch viel größeren Krieg ist?

Olivia Lazard: Wir müssen die Ukraine tatsächlich im Kontext der System-Rivalität des 21. Jahrhunderts sehen. Was aber nicht bedeutet, dass dieser Krieg in einen noch größeren Konflikt münden muss. Man spricht von Transition-Warfare - Übergangskriegsführung. Lassen Sie mich über diese Übergänge sprechen: Das Energiesystem befindet sich in einer Transformation - weg von Kohle und Kohlenwasserstoffen, hin zur Sonne und zu Wasserstoff. Der geopolitische Schwerpunkt der Erde verschiebt sich in Richtung Asien. Wir sehen schon die ersten Konturen des neuen Weltsystems. Wohin die Reise aber genau geht, das ist noch unklar.

Sie verwenden den Begriff Übergangskriegsführung. Was ist damit gemeint?

Olivia Lazard: Das ist ein umfassender Begriff. Dazu gehört etwa, dass die Volksrepublik China versucht, den Zugang zu bestimmten Rohstoffen - etwa zu seltenen Erden - zu kontrollieren. Oder dass China versucht, auch bestimmte Lieferketten unter Kontrolle zu bekommen. Diese Marktmacht wird dann eingesetzt, um sicherzustellen, dass Chinas Interessen international geachtet werden. Wer das Verhalten der chinesischen Führung - in Xinjiang oder in Tibet - oder die Menschenrechtssituation in China kritisiert, muss mit Folgen rechnen. Wie weit die Volksrepublik die Kapazität für Hegemonie bereits besitzt, wird sich freilich erst zeigen. Die Rohstoffrivalität zwischen den USA und China ist aber längst Realität. Europa hat sich in den vergangenen 10, 15 Jahren aus den extraktiven Industrien zurückgezogen, und man stellt nun auf dem Kontinent fest, dass man in diesem Wettlauf um Ressourcen weit abgeschlagen ist. Das Dumme ist, dass man viele dieser Rohstoffe benötigt, um den Übergang zu erneuerbaren Energieträgern, zu Elektromobilität und zur grünen Wende zu schaffen.

Raluca Csernatoni: Man sollte nicht den Fehler begehen, China als eine monolithische Macht zu sehen. Es gibt nicht nur die Zentralgewalt in Peking, sondern auch Machtzentren in den chinesischen Provinzen, unterschiedliche Wirtschaftsinteressen. Die wichtigste Frage lautet: Was wird passieren, wenn die politischen Führungseliten ihr Versprechen an das chinesische Volk auf Mehrung des materiellen Wohlstands nicht mehr einhalten können? Und wie schafft China es, so etwas wie einen rudimentären Wohlfahrtsstaat aufzubauen? Und wir sollten China auch nicht in denselben düsteren Farben malen wie Russland. Denn das wäre nicht im Interesse der Europäischen Union. In den USA verfestigt sich in Bezug auf China ein "Wir gegen die"-Denken, da geht es um einen technologischen Wettlauf, es geht um ein Ringen um die militärische Vorherrschaft im Pazifik. Europa hat eine andere Perspektive in Bezug auf das Reich der Mitte.

Olivia Lazard: China ist in dieser Partnerschaft mit Russland der strukturierte, überlegte, strategisch denkende Player. Russland ist der Rogue Partner, der Schurken-Partner.

Raluca Csernatoni: Ich frage mich ja: Ist China immer noch interessiert daran, den gegenwärtigen Status quo zu akzeptieren? Derzeit profitiert China noch vom herrschenden Weltsystem - vom globalen Finanzsystem und vom Welthandel.

China hat seinen Einfluss in Afrika, aber auch in Lateinamerika und Asien ausgedehnt. Ist nicht ein Versagen der europäischen Entwicklungspolitik zu konstatieren, der es nicht gelungen ist, einen Entwicklungspfad - mit Europa als Partner - aufzuzeigen?

Olivia Lazard: Ja, wir haben in einigen Punkten versagt. Leider war der Handlungsspielraum der Union und der Nationalstaaten aber in den vergangenen Jahrzehnten eingeengt - denn es ist in den vergangenen Jahrzehnten so viel Kapital über den Erdball geschwappt, dass die Frage der politischen Verantwortung komplett ausgehöhlt wurde. Das Primat lag eindeutig bei der Wirtschaft, nicht bei der Politik.

Können Sie sich vorstellen, dass es - wenn sich die Folgen des katastrophalen Klimawandels weiter verschlimmern - es zu einer Klima-Panik kommen könnte, bei der die globalen Player nach der Devise "Rette sich, wer kann" handeln?

Olivia Lazard: Was ich derzeit sehe, ist Planik - also Planung und Panik zugleich. Man plant und rüstet sich für harte Zeiten in Sachen Klimawandel - bei anschwellender Panik. Meine Position lautet: Wir können nicht die Methoden der Gegenwart fortschreiben, um dem Klimawandel in den Weg zu treten. Damit machen wir die Probleme nur noch schlimmer. Leider driftet die Welt aber immer tiefer in eine Realität, in der die Methoden immer verzweifelter werden. Schon wird von der Notwendigkeit von Geo-Engineering fantasiert, wo Wolken geimpft werden sollen oder mit riesigen Reflektoren oder ähnlichen Techniken versucht werden soll, die Erderwärmung zu verlangsamen.

Raluca Csernatoni ist Expertin bei der Denkfabrik Carnegie Europe. Dort ist sie auf europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie auf sicherheitsrelevante Hi-Tech spezialisiert.

Olivia Lazard ist ebenfalls beim Thinktank Carnegie Europa, ihr Fokus liegt auf Sicherheitsrisiken, die ihren Ursprung im Klimawandel haben.