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Alaa Abdel Fattah - Hungerstreik in verzweifelter Lage

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Das bekannteste Gesicht des Arabischen Frühlings in Ägypten wird laut Amnesty International gefoltert.


Sharm-El-Sheikh/Bagdad. Damit hatte der Militärmachthaber in Kairo nicht gerechnet, dass Sanaa Seif von London kommend mit ihrem britischen Pass in Sharm-El-Sheikh zur Weltklimakonferenz COP27 anreisen würde. Mit einem Presseausweis erhielt sie Zugang zum Tagungsgelände.

Die Mienen der ägyptischen Gastgeber verdunkelten sich, als die 28-Jährige lautstark nach ihrem Bruder fragte, der seit insgesamt acht Jahren wegen seiner Rolle als Demokratieaktivist im Gefängnis in Ägypten sitzt. "Ich möchte wissen, ob mein Bruder noch lebt!" Seit drei Tagen habe die Familie kein Lebenszeichen von ihm erhalten, seitdem er aufgehört habe, Wasser zu trinken.

Inzwischen hat die Gefängnisaufsicht nach Worten seiner Familie "medizinisch interveniert". Ob der Eingriff eine Form von Zwangsernährung bedeutet, etwa intravenös, bleibt weiter unklar. Eine Bestätigung von offizieller Seite gibt es bis jetzt nicht.

Um auf seine desolate Lage aufmerksam zu machen, ist Alaa Abdel Fattah im April in Hungerstreik getreten, um konsularische Betreuung durch die britische Botschaft zu erreichen. Wie seine Schwester Sanaa hat auch Alaa neben der ägyptischen die britische Staatsbürgerschaft.

Doch die ägyptischen Behörden blieben kompromisslos. Der wohl bekannteste politische Häftling wurde von Kairo nach Wadi Natroun verlegt, mitten in die Wüste zwischen der Hauptstadt und Alexandria. In einem Brief teilte Abdel Fattah Ende Oktober von dort seiner Familie mit, dass er ab sofort nur noch Wasser zu sich nehmen werde bis zum Beginn der Konferenz in Sharm-El-Sheikh. Sollte sich auch dann nichts an seiner Situation ändern, würde er auch die Aufnahme von Flüssigkeit einstellen. Er habe dann keine Hoffnung mehr, jemals wieder das Gefängnis verlassen zu können. Die Familie sei in Panik, begründete seine Schwester Sanaa ihren Auftritt bei der COP27.

Abdel Fattah wurde bekannt durch seine Führungsrolle im Arabischen Frühling, die Aufstände der vor allem jungen Menschen gegen ihre autokratischen Machthaber. Auch Ägypten wurde von einer Demokratiewelle erfasst, die bis dahin ohne Beispiel in der Region war. Langzeitdespot Hosni Mubarak musste abtreten. Die ersten demokratischen Wahlen überhaupt brachten den Muslimbruder Mohammed Mursi ins Präsidentenamt. Nach nur einem Jahr putschte sein Verteidigungsminister, Abdel Fattah al-Sisi, ihn aus dem Amt und regiert seitdem selbst mit eiserner Faust.

Vorwurf: Volksverhetzung

Demokratie-Aktivist Alaa erlebte von da an eine Mischung aus Freigang und Gefängnis. Seine Schwester berichtet, dass er zuweilen tagsüber nach Hause durfte, um seine Frau und den mittlerweile zehnjährigen Sohn zu sehen, die Nächte dann wieder im Gefängnis verbringen musste. Ägypten verlassen durfte er nicht. Haftstrafen zwischen fünf und 15 Jahren wurden verhängt. Meistens warf man dem 40-jährigen Computerspezialisten Verbreitung von Falschnachrichten oder Volksverhetzung vor. Amnesty International erhebt schwere Foltervorwürfe gegen die ägyptischen Sicherheitskräfte. Dem Blogger wären die Augen verbunden worden, er sei ausgezogen, geschlagen, getreten und beschimpft worden. Im Dezember 2021 erging die vorläufig letzte Haftstrafe von fünf Jahren, nachdem er zu diesem Zeitpunkt bereits seit über zwei Jahren im Gefängnis gesessen ist.

Der britische Premier Rishi Sunak berichtete am Donnerstag, er habe bei seinem Besuch in Sharm-El-Sheikh mit Ägyptens Präsident al-Sisi darüber gesprochen und deutlich gemacht, dass "seine tiefe Besorgnis von Tag zu Tag drängender" werde. Auch die Vereinten Nationen machen sich stark für seine Freilassung. Auch der österreichischen Regierung dürfte mittlerweile geläufig sein, wie schlecht es um die Menschenrechte in Ägypten bestellt ist: Nicht nur haben Stiftungen und NGOs seit Jahren massive Probleme mit den ägyptischen Behörden. Auch geht das Militärregime seit der Machtübernahme 2013 mit enormer Härte gegen alle seine Kritiker vor.