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Chinas erweiterte Kriegsführung

Von Bernhard Seyringer

Politik

China verstärkt Präsenz im Weltraum und vergrößert damit militärische Fähigkeiten. Auch Österreich ist betroffen.


Der Ukrainekrieg hat allgemein deutlich gemacht, wie wichtig professionelle Aufklärung und die Fähigkeit zur permanenten Informationsanalyse in der militärischen Konfrontation der Gegenwart sind. China - das zuletzt die militärischen Drohgebärden gegen Taiwan durch die Entsendung von Kampfjets in den taiwanischen Luftraum verstärkt hat - hat schon früh erkannt, dass derartige Fähigkeiten entscheidend sind.

Seit 1993 haben die chinesischen Streitkräfte mehrfache Modernisierungsprogramme umgesetzt: 2004 wurde die Bedeutung der elektronischen Kampfführung unter dem Stichwort "Informationization" erweitert, und seit der Veröffentlichung des verteidigungspolitischen Weißbuchs im Juli 2019 gilt das Paradigma der "Intelligenization". Ein entscheidender Schritt war schon zuvor die Gründung der Strategic Support Force (SSF) im Dezember 2015. Das ist eine eigene Einheit zur elektronischen Kriegsführung und der nächste Verteidigungsminister kommt aller Wahrscheinlichkeit nach aus ihren Reihen. Welches Signal will Staatschef Xi Jinping damit senden?

Li Shangfu: Ein Name, den man sich merken sollte

Im Rahmen des 20. Parteitages der KP Chinas im Oktober dieses Jahres wurde Generalmajor Li Shangfu zum Mitglied der Zentralen Militärkommission der KP, des höchsten militärischen Entscheidungsgremiums des Landes, ernannt. Er war zuvor nicht nur Kommandant des Xichang Satellite Centers und Vizekommandant des Programms für bemannte Weltraumflüge, sondern kommt auch aus der Strategic Support Force, deren stellvertretender Kommandant er zwischen 2016 und 2017 war. Mit dieser Beförderung wurde er bereits inoffiziell zum nächsten Verteidigungsminister ernannt.

Die SSF wurde im Zuge der großen Reorganisation der chinesischen Streitkräfte unter Xi Jinping am 31. Dezember 2015 gegründet. Der Aufgabenbereich der SSF umfasst die Unterstützung der Armee, der Luftwaffe und der Marine bei Informationsbeschaffung und Feindaufklärung, aber auch bei der Durchführung von Angriffen auf die Informationsinfrastruktur des Gegners. Auch der gesamte Bereich der weltraumgestützten Aufklärung ist ihr zugeschlagen.

Zweifellos wäre der Erstschlag gegen die Kommunikationsinfrastruktur Taiwans, im Falle einer Invasion oder auch nur einer Destabilisierung, ebenfalls das Aufgabengebiet der SSF.

Die damit verbundene Reorganisation ist vergleichbar mit der Transformation in den US-Streitkräften ab 1986. Wobei die SSF im Unterschied zum US Strategic Command ein eigenständiger Bereich ist, aber andererseits einen breiteren Aufgabenbereich als das US Cyber Command hat.

Ein wichtiger Teil davon ist nach Ausführungen von Konteradmiral Yin Zhuo der Betrieb des im Sommer 2020 fertiggestellten Satellitennavigationssystems BeiDou. Damit wird unter anderem das Arsenal an ballistischen Interkontinentalraketen wie die Dong Feng 31 kontrolliert und gesteuert. Eine wichtige Basis dafür befindet sich weit weg von China, nämlich in Argentinien: die Espacio Lejano in Bajada del Agrio in der Provinz Neuquen. Betrieben wird diese offiziell vom China Satellite Launch and Tracking Control Center (CLTC) - das soll aber zivile Nutzung nur vortäuschen, denn diese gehört formell zur SSF.

Die größte Weltraumstation Chinas außerhalb der Landesgrenze wurde 2015 unter der früheren Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner auf 50 Jahre steuerfrei an die Volksrepublik verliehen. Österreichische Wissenschaftler und Techniker haben einer Analyse der Universität Prag zufolge mit 58 Forschungsprojekten zwischen 2006 und 2021 zum Erfolg von BeiDou beigetragen.

Zur SSF gehört auch die "Basis 311" für Kognitive Kriegführung in Fuzhou, Provinz Fujian. Die Begriffe Kognitive Kriegführung oder auch Kampagnen zur Einflussnahme führen immer wieder zu Missverständnissen: Damit ist nicht die "Soft Power" oder auch "Public Diplomacy" gemeint, die versucht, Einfluss durch Attraktivität zu gewinnen. Sondern es handelt sich um "Sharp Power", also illegitimen Einfluss, der auch als politische Kriegsführung bezeichnet wird.

Shen Weiguang - der Vater des chinesischen Programms zur Kognitiven Kriegsführung - definierte diese als Kampfmittel, das die Entscheidungsfindung und die Lagebeurteilung des Gegners beeinflusst, wobei Information die wichtigste Waffe ist. Es ist das Ziel solcher Operationen, die kulturellen Werte und Entscheidungssysteme von Gesellschaften zu beeinflussen, gesellschaftliche Spaltungen zu befördern oder auszunützen, Vertrauen in Institutionen zu untergraben und kollektive Bilder zu beeinflussen. Die Arbeitsteilung hierfür zwischen der United Front der Kommunistischen Partei, dem Ministerium für Staatssicherheit und der Strategic Support Force der Streitkräfte ist im Detail unbekannt. Anzunehmen ist aber, dass die SSF verdeckte Kampagnen zur Einflussnahme bei prioritären Zielen, wie zum Beispiel Wahlen auf Taiwan, übernimmt. Es handelt sich dabei also um Kampagnen, die sorgfältiger und oft langjähriger Vorbereitungen bedürfen und bei denen die SSF ihre Aufklärungskapazitäten nutzen kann.

Aller Wahrscheinlichkeit nach ist die SSF auch in die Formulierung strategischer Narrative eingebunden. In der Vergangenheit waren zwar die Ausarbeitung von Narrativen wie der "Friedliche Aufstieg" von 2003, die "Harmonische Gesellschaft" von 2005 oder Xis "Schicksalsgemeinschaft" der Gegenwart hauptsächlich Aufgabe der Politischen Akademie der KP. Aber auch General Ju Qiansheng, seit Juni 2021 Kommandant der SSF, ist Experte in diesen Bereichen.

Pekings gelungene Kampagne in Österreich

Österreich gilt nicht als wesentliches Zielland für chinesische Kampagnen zur Einflussnahme. Jetzt könnte man beruhigt aufatmen. Aber ist Einflussnahme nicht dann am erfolgreichsten, wenn das Zielland nicht einmal bemerkt, dass es ein Ziel ist? Und sogar eigene Ressourcen aufwendet, um chinesische Einflussnahme zu optimieren?

Immerhin trägt die SSF einem dänischen Telekom-Consulting-Unternehmen zufolge mehr als 60 Prozent zum Ausbau der österreichischen 5G-Infrastruktur bei und 284 österreichische Wissenschaftler haben im Zeitraum 2006 bis 2021 an ausschließlich von China finanzierten Projekten gearbeitet, wie eine Studie der Universität Prag belegt. Und im Unterschied zu allen anderen EU-Staaten ist das in Österreich nicht einmal ein Thema. So kann Peking in diesem Fall seine Kampagne durchaus als gelungen ansehen.