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Von der zweiten in die dritte Reihe?

Von Martyna Czarnowska

Politik

Wird Erdogan bestätigt, drohen die Rechte von Frauen in der Türkei weiter beschnitten zu werden.


Er im Vordergrund, redend und gestikulierend. Sie einen Schritt neben und hinter ihm, manchmal zustimmend nickend und ihm folgend, wenn er während seiner Ansprache auf und ab geht. So präsentierte sich das Ehepaar Recep Tayyip und Emine Erdogan, als der türkische Präsident in der Nacht auf Montag vom Balkon der AKP-Parteizentrale in Ankara zu einer jubelnden Menge auf dem Platz unter ihm sprach.

Frauen sind in der Regierungspartei AKP mit ihren islamischen Wurzeln in der zweiten Reihe, und im Kabinett in Ankara findet sich gerade einmal eine Ministerin. Zwar gab und gibt es einflussreiche Politikerinnen in der AKP, doch werden sie kaum mit hochrangigen Posten bedacht. Auch ihre Anliegen werden so manches Mal ignoriert: Den Austritt der Türkei aus der Istanbul Konvention, die Gewalt gegen Frauen vermindern soll, kritisierten selbst AKP-Vertreterinnen. Als ihren Erfolg verbuchen sie hingegen, dass Frauen im öffentlichen Dienst oder auf Universitäten Kopftuch tragen dürfen.

Falls Erdogan die Präsidentenstichwahl in eineinhalb Wochen gewinnt, könnten die Rechte von Frauen in der Türkei weiter geschwächt werden. Diese seien schon mehrmals geopfert worden, um Unterstützung aus konservativen Kreisen zu bekommen, stellt Zeynep Alemdar fest. Dass die AKP zur Parlamentswahl am Sonntag in einem Bündnis mit islamistischen und ultrakonservativen Gruppierungen angetreten war, sollte nicht zuletzt dazu dienen, die Wählerbasis zu vergrößern, argumentiert die Politologin in einem Beitrag für das Netzwerk CATS (Centre for Applied Turkey Studies), das verschiedene Denkfabriken zusammenbringt.

EU beraubt sich ihres Hebels

Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" zeichnet Alemdar, die an der Okan Universität in Istanbul lehrt, die Entwicklung der Ära Erdogan nach. "2007, als die AKP ihre Macht konsolidiert hat, fand Kader, eine Organisation, die sich für mehr politische Teilhabe von Frauen einsetzt, keine Plakatflächen mehr in Istanbul für ihre Inhalte." Nach den Gezi-Protesten 2013 wurde ein Keil zwischen Frauengruppen getrieben: So wie sich zuvor Frauen mit Kopftuch ausgeschlossen gefühlt hätten, wurden nun junge demonstrierende Frauen wegen ihrer Haltung dämonisiert. "Und nach mehreren Wahlen, als die Macht der AKP schwand, schlug Erdogan einen konservativeren und religiöseren Kurs ein", erklärt die Politologin.

Die EU, die der Entwicklung vielleicht hätte entgegenwirken können, habe dabei übrigens ihre Einflussmöglichkeiten selbst geschmälert, führt Alemdar aus. In den Beitrittsgesprächen mit der Türkei wurden die Verhandlungskapitel 23 und 24 zu Grundrechten, Freiheit und Sicherheit wegen französischer Einwände nicht eröffnet. Und 2015 wurde der sogenannte Fortschrittsbericht der Kommission zurückgehalten, bis die EU ihren Migrationsdeal mit Ankara unter Dach und Fach hatte. Die EU habe sich eines Hebels beraubt, den auch die liberale Türkei benutzt habe, um sich für mehr Demokratie einzusetzen. So musste die Zivilgesellschaft etwa andere Wege finden, ihre Anliegen voranzubringen.

Keine Gesprächsbasis

Auch die Strategie von Mor Cati hat sich geändert. Die in Istanbul ansässige Stiftung betreibt ein Frauenhaus und ist Beratungsstelle für Opfer von Gewalt. Sie gibt außerdem politische Empfehlungen aus - doch eine Gesprächsbasis mit den politisch Verantwortlichen gibt es kaum mehr. "Als 2012 ein Gesetz zu Gewaltprävention entworfen wurde, saßen wir mit am Tisch", erzählt Selime Büyükgöze. "Jetzt ist dies nicht mehr möglich; es gibt keinen Austausch mehr."

Nun richten sich die Mitarbeiterinnen von Mor Cati an die Öffentlichkeit. Sie informieren Frauen über ihre Rechte, auf die die Betroffenen auch gegenüber den Behörden pochen sollen. Wie viel Gehör sie in einem bald vielleicht noch konservativeren Umfeld finden, ist offen.