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Uganda: Zum "Teufelsaustreiber" geschleppt

Von WZ-Korrespondentin Simone Schlindwein

Politik
Joseph ist als Transgender-Person in seinem Stammlokal nicht mehr willkommen.
© Schlindwein

Im afrikanischen Land wurde eines der restriktivsten Anti-Homosexuellen-Gesetze verabschiedet. Wie es Josephs Leben verändert hat.


Als Joseph die Parlamentsabstimmung über das Anti-Homosexuellen-Gesetz live im TV verfolgte, bekam er Angst. "Als es sich abzeichnete, dass das Gesetz mit großer Mehrheit durchgeht, kamen alle Nachbarn vor meinem Haus zusammen", erinnert sich der 40-Jährige, der seinen Nachnamen nicht veröffentlichen will. Nur wenige Minuten, nachdem die Abgeordneten im März fast einstimmig das Gesetz angenommen hatten, zerschmetterte ein Stein sein Fenster und ein Molotowcocktail landete in seinem Hof. Noch in derselben Nacht schmiss ihn sein Vermieter aus dem Haus.

Zu Wochenbeginn unterzeichnete Präsident Yoweri Museveni das Anti-Homosexuellen-Gesetz. Bereits im März begann eine lange Reihe an Ereignissen, die Josephs Leben seither über den Haufen geworfen haben. Der Grund: Joseph ist transgender. Bisher hat er aus seiner Identität keinen Hehl gemacht. Joseph ging gern aus als Josephine, trug in der Öffentlichkeit Kleider, Lippenstift und hochhackige Schuhe. Seit März traut sich Josephine jedoch nicht mehr raus.

Jetzt fährt Joseph in Jeans und Turnschuhen durch Ugandas Hauptstadt Kampala und will zeigen, was sich alles in den vergangenen Wochen für ihn verändert hat. Vom Auto aus deutet er auf ein Hoftor. "Eden-Club" steht auf einem Schild, darunter das Logo einer ugandischen Biersorte. In dieser Bar trieb sich Joseph meist die ganze Nacht herum, so sagt er: Als Josephine - in Minikleidern, mit Perücke, geschminkt und gestylt. Hier traf er sich mit anderen Transgender-Personen. Das war ein wichtiger Bestandteil seines Lebens - und seiner Identität, sagt er. "Ich bin dort auch anschaffen gegangen", sagt Joseph. Damit habe er gutes Geld gemacht. Doch am Tag, nachdem das Parlament das Gesetz verabschiedete, so Joseph, habe der Barbesitzer erklärt, dass Homosexuelle und Transgender nicht mehr kommen dürfen.

Das Viertel Bwaise ist eines jener Armenviertel, in welchem die unverputzen Steinhäuser dicht an dicht stehen und sich in den engen Gassen zwischen den Hütten Unrat und Abwässer stauen. Hier ist Joseph aufgewachsen. Mittlerweile sind seine Eltern tot. Doch sein Onkel und seine Tante leben noch hier. Joseph steht verschüchtert vor dem Hoftor und traut sich nicht hinein. Es sei keine leichte Situation für ihn, sagt er und berichtet von seinem Cousin, den Verwaltungsvorsitzenden des Bezirks: "Er rief mich an und sagte, ich solle ihn nie wieder besuchen, das könne seine Karriere gefährden." Vor dem Gesetz hatten Josephs Verwandten seine Angelegenheiten als Familiengeheimnis gehütet und nie darüber geredet, erklärt er: "Jetzt aber denkt mein Cousin, er müsse öffentlich mir gegenüber homophob sein, weil es eine politische Direktive dazu gibt", seufzt er.

Was er am meisten fürchtet, ist, wie Ugandas Politiker und religiöse Prediger vorgeben, dass es Wege gäbe, sexuelle Minderheiten quasi wie von einer Krankheit zu heilen. Ugandas Präsident Yoweri Museveni rief im Februar ein Expertenkomitee ein. Darin waren Ärzte und Psychologen. Sie erklärten ihm, Homosexualität sei wie eine Art Krankheit, die sich korrigieren lasse. Seitdem bieten landesweit traditionelle Heiler dafür ihre Dienste an.

Auch das hat Joseph am eigenen Leib erfahren. Seine Tante schleppte ihn zu einem dieser Teufelsaustreiber und gab diesem Geld. "Daraufhin hat der Heiler ein Huhn geschlachtet und das Blut über meinen ganzen Körper geschmiert", erzählt er. "Ich selbst bin Atheist, ich glaube nicht an solche Sachen." Seitdem seine Tante feststellen musste, dass alles nicht geholfen hat, habe sie ihm verboten, sie zu besuchen. "Sie sagt, sie habe Angst, dass ich ihre Kinder mit dem angeblichen Homosexuellen-Virus anstecke."

Auf der Liste der staatlichen NGO-Registrierungsstelle

Diese Ansichten sind in Uganda weit verbreitet. Es ist die offizielle Narrative, die den Ugandern seit vielen Jahren eingetrichtert wird. Denn die Debatte um Homosexualität wird in Uganda seit über 15 Jahren geführt - und hat sich seither immer weiter radikalisiert. Sie wurde von allen Seiten mit Gerüchten aufgeladen.

Joseph zeigt auf eine ungeteerte Straße, die durch Schlaglöcher in ein Armenviertel führt. Die Organisation SLUM (Serving Lives under Marginalisation) hat ihr Büro nur wenige Straßen weiter. Sie ist spezialisiert auf HIV/Aids, sexuell übertragbare Krankheiten, aber auch Schwangerschaften bei Minderjährigen. Ein paar HIV-positive Homosexuelle kommen hier manchmal vorbei, so Innocent Kayita, Direktor von SLUM. Genau dies erzeugt nun Probleme.

"Unsere Organisation steht auf der Liste", erklärt Kayita. Gemeint ist eine Liste der staatlichen NGO-Registrierungsstelle. Darauf sind 20 Organisationen, die angeblich Homosexualität fördern, weil sie Gesundheitsversorgung auch für Homosexuelle anbieten. "Dies führt dazu, dass viele Patienten nicht mehr kommen, weil Gerüchte kursieren, dass wir Homosexualität fördern."

Mitarbeiter arbeiten zur Vorsicht daheim

Für den SLUM-Direktor und seine zehn Angestellten hat dies viele Konsequenzen. Derzeit sind nur er und die Rezeptionistin vor Ort. Alle anderen arbeiten von zu Hause aus. "Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, falls die Polizei kommt, so können sie nur mich und die Assistentin verhaften", erklärt der Arzt. "Mittlerweile habe ich zu Hause aber sogar Angst vor meinen Nachbarn", sagt er und wirkt bedrückt: "Wenn Geschichten herumgehen, dass wir auch Kinder behandeln und daraus Gerüchte gesponnen werde, dass wir sie zur Homosexualität rekrutieren: Dann kommen sie und steinigen mich", schüttelt er entsetzt den Kopf.

Kayita ist heterosexuell, verheiratet mit drei Kindern. Als Arzt hilft er täglich in den Armenvierteln den marginalisierten Bevölkerungsgruppen, die sonst nie zum HIV-Test gehen würden. Wenn er seine Organisation schließen muss, dann bekommen tausende kranke Menschen in der Nachbarschaft keine Medikamente. Deswegen rät Kayita Joseph, besser ins staatliche Krankenhaus zu gehen, um dort seine Medikamente abzuholen.

Das Mulago Klinikum ist die größte, staatliche Gesundheitseinrichtung des Landes. Versteckt hinter der Radiologie steht ein etwas heruntergekommenes Kolonialgebäude. "MARPI" ist mit großen Lettern an der Fassade geschrieben. Dies steht für "Most at Risk Population Initiative" - frei übersetzt "Initiative für Risikogruppen". Joseph kennt sich aus im Marpi-Zentrum, denn er holt hier fast täglich seine Medikamente ab. Er steuert auf ein Büro zu. Darin sitzt Morgan Kyanike am Computer. In der kleinen LGTBQI-Gemeinde Ugandas ist er überall bekannt, denn er ist erster Ansprechpartner. Obwohl er kein ausgebildeter Arzt ist, nennen ihn alle in der Szene "Doktor Morgan".

Präsident förderte einst Forschung zu HIV/Aids

"Wir sind eine Anlaufstation für Leute aus der LGTBQI-Gemeinde", erklärt Morgan mit offenherzigem Lächeln. Das Zentrum wurde vor mehr als zehn Jahren eingerichtet, als ein Anti-Homosexuellen-Gesetz debattiert wurde, das letztlich nie in Kraft trat, weil es vom Verfassungsgericht gekippt wurde. Damals wurde die internationale Gemeinschaft auf die Lage der Homosexuellen in Uganda aufmerksam. Zahlreiche Gesundheitseinrichtungen, die sich auf HIV-positive Menschen spezialisiert haben, werden seither aus dem Global Fund finanziert, einem internationalen Fördertopf gegen HIV/Aids und Malaria. Einst war Ugandas Präsident Museveni einer der ersten Präsidenten Afrikas, der in den späten 1980er Jahren das HI-Virus erforschen ließ und in der Bevölkerung Präventionskampagnen startete. Durch das Anti-Homosexuellen-Gesetz werden aber all diese Programme in Frage gestellt, weil ihre Dienste auch der LGTBQI-Gemeinde zugutekommen.

Dies hätte dann sehr weitreichende Folgen, erklärt Chefärztin Goretti Mugabe: "Denn es besteht das Risiko, dass die unbehandelten HIV-Positiven noch viel mehr Menschen mit HIV anstecken, wenn sie die Medikamente nicht nehmen, die das Virus unterdrücken."