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Israel fordert "tödliche Sanktionen" gegen Iran

Von Michael Schmölzer

Politik

Kriegsdrohungen setzen Westen unter Druck, Israel lässt Militärschlag offen.


Wien/Tel Aviv/Washington.

Für die Internationale Atomenergiebehörde in Wien gibt es keinen Zweifel: Der Iran, so schreibt die IAEO in ihrem jüngsten Bericht, hat zumindest bis zum vergangenen Jahr an der Entwicklung einer Atombombe gearbeitet. Der Behörde liege eine Reihe von Hinweisen vor, dass der Mullah-Staat bis 2010 verschiedene Projekte und Experimente zur Entwicklung eines atomaren Sprengkopfes durchführte. Diese Projekte sollen die die Konstruktion einer Nuklearwaffe und Tests von verschiedenen Komponenten umfassen. Einige dieser Tätigkeiten könnten noch im Gang sein, schreibt die IAEO.

Der Bericht ist damit weit brisanter ausgefallen als angenommen. Es handelt sich um die bisher detailliertesten Vorwürfe, dass das iranische Atomprogramm nicht wie von Teheran behauptet rein friedlichen Zwecken dient sondern eine militärische Komponente hat. Das IAEO-Dossier stellt offenbar fest, dass iranische Wissenschaftler an der Entwicklung von Raketengefechtsköpfen für atomare Sprengladungen gearbeitet haben. Außerdem, so berichtet die britische Tageszeitung "Independent", gibt es Satellitenfotos, die eine atomare Testanlage von der Größe eines Doppeldecker-Busses zeigen. Die Bilder stammen vom Militärareal Parchin, rund 30 Kilometer südwestlich der iranischen Hauptstadt Teheran. Der Iran habe der UNO die Existenz des Versuchsgeländes verschwiegen, kritisiert die IAEO.

Die Angaben der Atomenergiebehörde beruhen auf den Informationen westlicher Geheimdienste und können von unabhängigen Seite nicht bestätigt werden. Der jüngste Bericht lässt aber kaum noch Raum für Interpretationen, wonach das iranische Atomprogramm rein friedlichen zwecken dient.

Angst vor Vernichtung

Israel sieht sich massiv bedroht und lässt die Welt im Unklaren darüber, ob der Iran jetzt militärisch angegriffen wird. Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad hat in der Vergangenheit wiederholt erklärt, dass Israel "von der Landkarte getilgt werden" müsse. In Israel, wo die meisten Menschen Verwandte im Holocaust verloren haben, reagiert man auf derartige Drohungen höchst sensibel. Die Lehre aus dem Holocaust sei, angekündigten Ausrottungsplänen unbedingt Glauben zu schenken, sagte Premier Benjamin Netanyahu bei einem Österreich-Besuch im Jahr 2006 zur "Wiener Zeitung".

Zuletzt nannten israelische Politiker eine militärische Lösung wahrscheinlicher als eine diplomatische; Präsident Shimon Peres meinte, ein Krieg rücke näher. Am Dienstag war man bemüht, die Drohungen herunterzuspielen. Es sei noch keine Entscheidung für eine militärische Operation gefallen, erklärte Israels Verteidigungsminister Ehud Barak. Krieg sei immerhin "kein Picknick", man würde ein Picknick aber durchaus vorziehen. Allerdings sei Israel für seine Sicherheit letztlich allein verantwortlich, man halte sich daher alle Optionen offen, sollte die Bedrohung zu groß werden.

Israelische Medien hatten zuvor berichtet, dass Premier Netanyahu und Verteidigungsminister Ehud Barak - beide gelten in der Iran-Frage als Hardliner - zu einem Angriff auf den Iran entschlossen seien. Israels Armee soll sich bereits 55 bunkerbrechende Bomben aus den USA besorgt haben, um die unterirdischen Atomarsenale des Iran wirkungsvoll angreifen zu können.

Internationale Beobachter gehen allerdings davon aus, dass Israel mit seiner Kriegsrhetorik zum jetzigen Zeitpunkt vor allem den Westen unter Druck setzten will, damit dieser einer Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran zustimmt. Zahlreiche Maßnahmen gegen das Mullah-Regime sind bereits in Kraft, doch Israels Außenminister Avigdor Lieberman will jetzt "lähmende" Sanktionen, um den islamischen Gottesstaat nach jahrelangem Streit endlich zur Aufgabe seines Atomwaffenprogramms zu zwingen. Die Maßnahmen müssten die iranische Zentralbank sowie die Erdölexporte des Landes treffen, so der ultrakonservative Politiker. Sollten die USA keine Schritte in diese Richtung machen, bedeute dies, "dass sich die Amerikaner und der Westen mit einem nuklear bewaffneten Iran abfinden".

Der Westen zeigt sich von der demonstrativen Entschlossenheit Israels in der Tat beeindruckt. In London werden bereits Pläne ausgearbeitet, wo man im Persischen Golf U-Boote und Kriegsschiffe für einen Angriff auf den Iran postieren könnte. Großbritannien würde allerdings nur als Helfer eines von den USA geleiteten Angriffes fungieren. In Washington wiederum ist man sehr vorsichtig und will einen Waffengang möglichst vermeiden. Der Wahlkampf für das Präsidentschaftsvotum 2012 läuft langsam an, und Amtsinhaber Barack Obama kämpft daheim gegen eine Wirtschaftskrise und anhaltend hohe Arbeitslosigkeit. Außerdem sind die USA ein gebranntes Kind - der Irak-Krieg im Jahr 2003, der der Vernichtung angeblicher Atomwaffen galt, ist noch gut in Erinnerung. Die angeblichen Atomarsenale Saddam Husseins wurden nie gefunden, die USA waren blamiert.

Warnung vor Angriff

Frankreich zeigt sich ebenfalls von der Kriegskulisse, die von Israel aufgezogen wird, beeindruckt. Die französische Regierung werde alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, "um einen irreparablen Schaden zu verhindern, den eine Militäraktion nach sich ziehen würde", so Außenminister Alain Juppé. Sollte eine Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran nötig sein, um ihn von seinem Atomkurs abzubringen, sei man dazu bereit. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle warnt Israel unterdessen vor einem Angriff auf den Iran. Er halte von den Debatten über einen Angriff "gar nichts", ließ Westerwelle ausrichten, zumal ein militärisches Eingreifen das Gegenteil von dem bewirken würde, was sich Israel erhoffe. Im Kreml übt man sich in Diplomatie. Russlands Präsident Dmitri Medwedew fordert den Iran zu mehr Kooperation in der Atomfrage auf und warnt gleichzeitig Israel vor einem Militärschlag, der in eine "Katastrophe" und "einen großen Krieg" münden könnte.

In Israel selber mehren sich täglich die Stimmen, die auf die Unsinnigkeit eines Militärschlages hinweisen. Zwar hat man in diesem Bereich bereits Erfahrung gesammelt - 1981 zerstörten israelische Kampfjets eine Atomanlage im Irak, 2007 traf es den verfeindeten Nachbarn Syrien. Israelischen Militärexperten ist aber klar, dass der Iran nicht nur wegen der geografischen Entfernung eine viel größere Herausforderung als der Irak oder Syrien darstellt. Es herrscht auch praktisch Konsens darüber, dass Israel das Atomprogramm nicht wirklich stoppen, sondern nur um mehrere Jahre zurück bomben könnte. Optimisten hoffen darauf, dass der Iran sein militärisches Atomprogramm nach einem Angriff nicht mehr mit ähnlich großer Energie vorantreiben oder es ganz aufgeben würde.

Auch die Befürworter einer Militäraktion müssen zugeben, dass der Preis eines solchen Erfolgs hoch wäre. Vom Regime in Teheran unterstützte Gruppen in Israels unmittelbarer Nachbarschaft - etwa Hisbollah, Hamas oder Islamischer Dschihad - könnten das Land mit zahllosen kleineren Sprengstoffraketen angreifen und erstmals auch die Großstadt Tel Aviv ins Visier nehmen. Zwar hat Israel einen Raketenabwehrschild installiert, ob dieser lückenlos funktioniert, ist aber nicht geklärt. Zudem sähe sich Israel bei einem Alleingang gegen den Iran dem Unmut seiner wenigen Freunde in Jordanien, Ägypten und den USA ausgesetzt. Eine Militäraktion mache nur - wenn überhaupt - dann Sinn, wenn sie von Israel, den USA und Großbritannien geführt werde, heißt es.

Der Iran zeigt sich weiterhin unnachgiebig. Man brauche keine Atombombe, um Washington und seinen Verbündeten die Stirn zu bieten, lässt Präsident Ahmadinejad wissen. Die USA verfügten ja selbst über 5000 Atomsprengköpfe und würden dann dem Iran "unverschämterweise" vorwerfen, eine Atombombe zu bauen, wettert der iranische Staatschef.