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Die reichen Onkel aus Arabien

Von Ronald Schönhuber aus Manila

Politik
Der Western-Union-Shop in der Timog Avenue fällt kaum auf. Für viele der Kunden bedeutet er allerdings die Welt.
© rs

Ohne Geld aus dem Ausland würden viele Filipinos kaum über die Runden kommen.


Manila. Für all die, die täglich daran vorbeigehen, ist der kleine Western-Union-Laden in der Timog Avenue nichts Besonderes. Untergebracht im Erdgeschoß eines kleinen schäbigen Hotels sitzen fünf Mitarbeiter dicht gedrängt hinter einer Glasscheibe. In einem Eckregal stehen unter einer Heiligenstatue drei große Plastikschweine, links und rechts davon unzählige weitere Deko-Artikel. An der Wand hängt eine große Weltkarte, daneben zeigen drei Uhren die wichtigsten Referenzpunkte an: New York, London und Riad. Western-Union-Shops wie diesen gibt es zu Tausenden in Manila.

Doch für Lalaine Ruth Cocon bedeutet das kleine Western-Union-Geschäft im Osten der philippinischen Hauptstadt, das zugleich auch als Reisebüro fungiert, die Welt. Einmal im Monat kommt die 31-Jährige hierher, um jenes Geld abzuholen, das ihr ihre Schwester aus Australien überweist. 8000 Pesos, rund 150 Euro, sind es meistens, mühsam zusammengespart vom Gehalt als Haushälterin. "Ohne dieses Geld könnte ich nicht die Schule besuchen", sagt Cocon. Vier Monate muss sie noch hinter sich bringen, dann hat sie die einjährige Ausbildung als Pflegerin abgeschlossen.

In das Geschäft in der Timog-Avenue kommen aber nicht nur diejenigen, die dringend auf das Geld der im Ausland lebenden Verwandten angewiesen sind, um überhaupt über die Runden zu kommen. Auch Menschen wie Sophia Dv kommen. Als Anwältin gehört die 36-Jährige zur auch auf den Philippinen immer stärker wachsenden Mittelschicht und verfügt über ein solides Einkommen. Das Geld, das ihr seit drei Jahren in Saudi-Arabien als Elektroingenieur arbeitender Verlobter schickt, soll mithelfen, in den kommenden Jahren eine eigene Rechtsanwaltskanzlei aufzubauen. Auch für die Kinder möchte Dv etwas zur Seite legen. Später sollen auch sie einmal eine gute Ausbildung bekommen, sagt die 36-Jährige.

2,2 Millionen im Ausland

Zumindest 15 Kunden kommen jeden Tag in die Western-Union-Filiale in der Timog Avenue. Vor allem in der jüngeren Vergangenheit habe das Geschäft spürbar zugenommen, erzählen die Angestellen. Von Jahr zu Jahr würden mehr Menschen kommen, um aus dem Ausland überwiesenes Geld abzuheben.

Die Beobachtungen, die die Mitarbeiter gemacht haben, decken sich mit den komplexen Statistiken der philippinischen Regierung. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2012 verzeichneten die Geldüberweisungen von Verwandten aus dem Ausland einen Anstieg von 5,2 Prozent. Die rund 2,2 Millionen Overseas Filipino Workers (OFW), denen man am Flughafen von Manila sogar einen eigenen Abfertigungsschalter zugewiesen hat, haben damit bis Anfang August nicht weniger als zwölf Milliarden Dollar nach Hause geschickt. Für das gesamte Jahr rechnet die auf den Philippinen stark vertretene Großbank HSBC mit einer Summe von rund 23 Milliarden Dollar.

Wie viele Filipinos im Ausland beschäftigt sind und wie viel Geld sie in die Heimat zurückschicken, wird von der Regierung in Manila seit Jahren akribisch beobachtet, denn mit einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von mittlerweile zehn Prozent sind die sogenannten Rimessen ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Mit dem Geld aus dem Ausland werden nicht nur Dinge des täglichen Bedarfs und Schulgebühren bezahlt, sondern auch größere Anschaffungen wie etwa Autos oder Wohnungen finanziert. Und entsprechend genau wird auch jede Veränderung bei den Rücküberweisungen verfolgt. Gibt es Anzeichen auf einen Fortschritt in der Eurokrise, ziehen an der Börse von Manila auch gleich die Bauunternehmen an, weil die Investoren damit rechnen, dass bei einer Entspannung in Europa auch mehr Geld in die Heimat geschickt wird.

Die Philippinen sind allerdings nur eines von vielen Beispielen für die immer stärker werdende Bedeutung von Rücküberweisungen. Laut dem jetzt veröffentlichten Migrations- und Entwicklungsbericht der Weltbank werden Migranten aus Schwellen- und Entwicklungsländern 2012 knapp 400 Milliarden Dollar in ihre Heimatländer überweisen. Global gesehen entspricht das einem Anstieg von 6,5 Prozent. Die höchsten Rücküberweisungen wird es nach Indien (70 Milliarden Dollar) und China (66 Milliarden) geben. Dahinter rangieren Mexiko (24 Milliarden) und die Philippinen (23 Milliarden). Am wichtigsten sind diese Rückflüsse aber für Tadschikistan, wo sie 47 Prozent des BIP ausmachen. Dahinter folgen Liberia (31 Prozent) und Kirgistan (29 Prozent).

Ein lukratives Geschäft

Ein Ende des Anstiegs bei den Rimessen ist laut der Weltbank derzeit nicht in Sicht. Für 2013 rechnet sie mit einem Plus von 7,9 Prozent, 2014 und 2015 werden dann sogar Zunahmen von jeweils knapp über 10 Prozent prognostiziert. Verdienen werden daran aber primär die beiden Geldtransferriesen Western Union und MoneyGram. Denn obwohl die Überweisungsgebühren oft 9 Prozent der Gesamtsumme betragen und die Margen dementsprechend hoch sind, haben die traditionellen Großbanken bisher wenig bis kein Interesse gezeigt. Ohne Konkurrenz dürften aber auch die Überweisungsgebühren in nächster Zeit kaum sinken. Die Weltbank hofft allerdings, dass neue Regeln in den USA und Europa zumindest langfristig zu mehr Wettbewerb führen könnten.

Für Sophia Dv, die Anwältin aus Manila, sind die Überweisungen aus Saudi-Arabien aber trotz der hohen Gebühren ein gutes Geschäft. "Dieses Geld sichert langfristig unsere Zukunft", sagt die 36-Jährige. In den drei Jahren, die ihr Verlobter in Saudi-Arabien verbringt, verdient er ein Vielfaches von dem, was er mit derselben Ausbildung auf den Philippinen bekommen würde.