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Armee schießt auf Demonstranten

Von Veronika Eschbacher

Politik

Dritter sunnitischer Minister tritt nach tödlichen Zusammenstößen zurück.


Bagdad. "Hawija wird zum Schlachthaus", titelte die irakische Newswebsite KirkukNow. Bei der Stürmung eines sunnitischen Protestcamps in Hawija - einer Stadt im Norden des Landes unweit von Kirkuk - durch irakische Sicherheitskräfte wurden am Dienstag mindestens 27 Personen getötet und zumindest 100 verletzt. Der Vorfall stellt den tödlichsten Zusammenstoß von Demonstranten mit regierungstreuen Sicherheitskräften seit Beginn der sunnitischen Proteste gegen den schiitischen Premierminister Nuri al-Maliki Ende Dezember dar und schockt Sunniten im Irak.

Die sunnitischen Demonstranten hielten bereits seit Jänner einen öffentlichen Platz in der Ortschaft Hawija besetzt. Laut irakischem Innenministerium war ein Ultimatum der Behörden an die Demonstranten ausgelaufen, um den mutmaßlichen Mörder eines Soldaten auszuliefern. Dieser soll nach der Tat in der Menge der Demonstranten untergetaucht sein.

Laut Verteidigungsministerium waren die Demonstranten bereits im Vorfeld gewarnt worden, die Protestzone zu verlassen; viele seien dem Aufruf auch gefolgt. Als die Sicherheitskräfte Dienstagmorgen Verhaftungen durchführen wollten, wären sie unter starken Beschuss geraten, unter anderem von Scharfschützen, heißt es in der Erklärung des Verteidigungsministeriums. Die Demonstranten hingegen bestreiten, bewaffnet gewesen zu sein, als Spezialkräfte der Armee den Platz stürmten. 75 Demonstranten wurden verhaftet, 40 Maschinengewehre, Handgranaten, Schwerter und Messer konfisziert.

Sunniten drohen mit Rache nach "Massaker"

Bisher waren die seit nun fünf Monaten andauernden Proteste gegen Premier Maliki - abgesehen von einem Vorfall in Falluja im Jänner mit fünf Toten - friedlich verlaufen. Gewaltsame Reaktionen auf die Geschehnisse in Hawija ließen diesmal aber nicht lange auf sich warten. Bei Racheangriffen von Demonstranten auf Armeekontrollposten in der Provinz Kirkuk noch am Dienstag wurden 13 Angreifer getötet.

Vor allem in den sunnitisch-dominierten Provinzen Anbar und Salahuddin mobilisierten Stammesführer ihre Anhänger und sagten der Regierung öffentlich den Kampf an. Zudem wolle man künftig bei Demonstrationen Waffen tragen, um sich selbst zu schützen, erklärte der Leiter der Protestbewegung in Hawija. In Falluja wiederum strömten tausende Bewohner auf die Straße, um gegen die "Massaker der Regierung" zu demonstrieren.

Der Vorfall in Hawija ließ aber auch die politische Ebene nicht unberührt. Aus Protest gegen die tödlichen Zusammenstöße trat noch am Dienstag der irakische Bildungsminister, der Sunnit Mohammed Ali Tamim, zurück. Der Politiker reagierte damit auf das Vorgehen der Sicherheitskräfte, die in die Demonstrationszone "eingedrungen" seien, sagte ein Regierungsvertreter. Die Entscheidung sei "endgültig".

Damit ist Tamim der dritte Minister, der infolge der Demonstrationen zurücktritt. Bereits zuvor war der Landwirtschaftsminister, Ezzedine al-Dawleh, Anfang März zurückgetreten, nachdem ein Demonstrant im Norden des Landes getötet wurde. Der Finanzminister Rafa al-Issawi war ihm eine Woche zuvorgekommen, nachdem im Dezember manche seiner Bodyguards wegen des Vorwurfs der Verwicklung in terroristische Aktivitäten verhaftet worden waren. Diese Terrorismusanschuldigungen hatten die Demonstrationen ursprünglich ausgelöst. Die Anführer der sunnitischen Proteste erklären ihre Kundgebungen als Reaktion auf eine Marginalisierung der Sunniten durch die schiitisch dominierte Regierung.

Der Gewaltausbruch am Dienstag folgte wenige Tage, nachdem in 12 von 18 Provinzen Regionalwahlen abgehalten wurden. Nach einer Gewaltwelle im Vorfeld des Urnengangs liefen diese unter strengen Sicherheitsmaßnahmen großteils friedlich ab. Erste Resultate werden für die nächsten Tage erwartet. In den vorigen Samstag nicht teilnehmenden sunnitisch dominierten Provinzen Anbar und Nineveh soll laut Regierung am 4. Juli gewählt werden.