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"Google ist im Vergleich harmlos"

Von Cathren Landsgesell

Politik

Die Militarisierung der Staaten bedroht das freie Internet.


"Wiener Zeitung":Wenn man nach der Macht im Internet sucht, wo muss man Ihrer Meinung nach ansetzen?Milton Mueller: Ich würde bei den wachsenden Schnittstellen von nationalen Regierungen und Cyberspace mit der Suche beginnen. In den Anfängen des Internets war die Technologie jeglicher institutioneller Regulation und Kontrolle voraus. Wer einen Computer, ein Internetprotokoll und eine Verbindung hatte, konnte sich einfach so mit irgendwem auf der Welt vernetzen. Diese Freiheit hat sehr viele Innovationen hervorgebracht, noch bevor die Regierungen auch nur eine Ahnung hatten, welche Möglichkeiten ihnen das Internet bietet.

Dann begann eine Ära der Cyberattacks, die man abwehren zu müssen glaubte, beziehungsweise wollten Regierungen selbst das Internet als Waffe einsetzen, die Programme anderer Staaten stören, Spionage betreiben und Ähnliches. Irgendwie hat man bei den transnationalen Internetorganisationen dennoch gehofft, man könnte den Cyberspace aus dem zwischenstaatlichen Wettbewerb heraushalten. Es sieht jetzt aber nicht danach aus, oder? Macht im Cyberspace findet man nicht nur bei den großen Firmen, den Wahlkampagnen im Netz oder den Social Media. Das Internet ist auch geostrategisch von Bedeutung.

Das Internet wird im Moment nach dem Multi-Stakeholder-Modell von NGOs, Unternehmen und Organisationen auf globaler Ebene reguliert, zum Beispiel durch Icann, die etwa IP-Adressen vergibt - relativ unabhängig von staatlichem Einfluss. Sie sagen aber, dass die Staaten die Freiheit des Internets am meisten bedrohen . . .

Es gibt ein Missverhältnis zwischen den territorial begrenzten Staaten und der globalen Community, die durch das Internet vernetzt ist. Staaten haben aufgrund ihrer Konkurrenz mit anderen Staaten ein ganz spezielles Interesse daran, den Zugang zum Internet zu regulieren, und weniger daran, sein gutes Funktionieren sicherzustellen. Sobald es um den militärischen Wettbewerb mit anderen Staaten geht, agieren sie anarchistisch und unterliegen dabei keinerlei Kontrolle mehr, weil vieles im Geheimen passiert.

Staaten haben weitaus mehr Macht als die großen Unternehmen: Sie können Provider schließen, die Herausgabe von Daten erzwingen und sogar das gesamte Geschehen kontrollieren. Google ist im Vergleich dazu harmlos.

Google kann direkt auf mein soziales Leben Einfluss nehmen, abgesehen davon, dass es meine Daten verkauft. Regierungen sind in Demokratien rechenschaftspflichtig, Google nicht. Oder muss man angesichts der NSA-Affäre sagen, dass Demokratie beim Internet endet?

Das Problem ist, dass wir nicht wissen, was im Einzelnen vor sich geht, also können wir auch nur bedingt Rechenschaft fordern. Warum agiert denn die NSA so geheim und so weit abseits demokratischer Kontrolle? Weil es um Krieg und militärische Konkurrenz zwischen den Regierungen geht. Staaten folgen aufgrund dieser Konkurrenz einer ganz eigenen Logik, der sie sich auch selbst fast nicht entziehen können. Wenn die USA meinen, sie müssen alle E-Mails abfangen, um den Terrorismus zu bekämpfen, folgen dem die anderen Staaten. Auf diese Weise passiert eine Art Militarisierung des Internets.

Welche Rolle spielt in dem Kontext das gewöhnliche Filtern von Informationen oder Blocken von Inhalten durch den Staat, wie das in China oder dem Iran passiert?

Weltweit sind es ungefähr fünfzig Länder, die das in größerem Ausmaß tun. Aber auch in westlichen Demokratien werden Inhalte gefiltert, denken wir nur an die Initiative in Großbritannien, die Pornografie im Internet nur nach namentlichem Einloggen zugänglich macht. Auch da agiert eine Regierung aus ihrer eigenen Logik heraus. Es geht wohl darum zu zeigen, dass man aktiv ist für den Schutz von Kindern. In Dänemark gibt es Diskussionen, bestimmte Werbungen im Internet zu verbieten. Dabei stößt man aber auf das grundlegende Missverhältnis von territorial begrenztem Nationalstaat und globalem, virtuellem Internet. Man kann nicht mehr steuern, was in ein Land hineinkommt oder hinausgeht. Die wirkliche Gefahr ist, dass man deshalb versucht, das Internet wieder in nationale Grenzen zu pressen.

Gibt es Indizien, dass das wirklich passieren könnte?

Wenn es um die Regulierung des Internets geht, gibt es im Prinzip zwei Ansätze: national und hierarchisch oder transnational und vernetzt. Letzteres ist eher der Ansatz der Multi-Stakeholder-Organisationen, und auch die Internetcommunity selbst glaubt mehr an einen transnationalen Netzwerk-Ansatz. Staaten wie China oder Saudi-Arabien sagen wiederum ganz klar, dass das Internet national reguliert werden soll und alle internationalen Angelegenheiten Sache der International Telecommunication Union der UNO (ITU) sind.

Wie könnte man das Internet erfassen, um die Unabhängigkeit und Dezentralisierung zu garantieren?

Ich würde die Internet-Community als eine Nation von eigenem Rang begreifen wollen - wohlgemerkt nur in den Angelegenheiten, die die Regulation des Internets betreffen. Als eine Art neues Gemeinwesen. Allerdings ist unser politisches Denken an die Realität des Internets schlecht angepasst: Man glaubt, es könnte keine souveräne Macht geben, die nicht von oben alles kontrolliert. Somit delegiert man alles an den Nationalstaat, mit dem sich außerdem sehr viele Menschen identifizieren.

Forum Alpbach

Zur Person

Teilnehmer aus mehr als 60 Ländern sind zu Wochenbeginn zur Eröffnung des Europäischen Forums Alpbach 2013 gekommen. Die Seminarwoche ist das wissenschaftliche Herzstück des Forums: 16 einwöchige interdisziplinäre Seminare untersuchen die Themen aus verschiedensten Blickwinkeln - heuer geht es beispielsweise um Open Data und Cyberspace, Weltraumforschung, die Rolle des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, das Böse in der Kunst, Migration, die Herkunft Europäischer Werte, Verhaltensökonomie und Synthetische Biologie. Jeweils zwei renommierte Experten unterrichten die mehr als 500 Seminarteilnehmer eine Woche lang.



Milton
Mueller

lehrt Informationswissenschaften an der Syracuse University in den USA und ist einer der Gründer des Internet Governance Project, einer NGO, die eine zivilgesellschaftliche Regulation des Internets anstrebt. Zuletzt erschien von ihm das Buch "The Global Politics of Internet Governance". Beim Europäischen Forum Alpbach leitet er das Seminar zum Thema "Power and Cyberspace".