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Ein neuer Krieg gegen den Terror

Von Thomas Seifert

Politik

Die Anschlagsserie in Paris führt zu einem Zusammenrücken im Ringen mit der Terrormiliz Islamischer Staat.


Wien. Es ist ein neuer Krieg gegen den Terror. Der französische Staatspräsident François Hollande hat angekündigt, dass "die Luftschläge gegen Daesh (Al Dawla al-Islamyia fil Iraq wa’al Sham, arabische Bezeichnung für den Islamischen Staat IS, manchmal auch ISIS) in Syrien verstärkt" würden. Frankreich werde die "Terroristen ausmerzen", sagte Hollande in martialischem Tonfall, wobei er betonte, dass keine Bodentruppen eingesetzt werden. "Wir sind in einem Krieg gegen den dschihadistischen Terror, der die Welt bedroht, nicht nur Frankreich", analysierte Hollande. Noch am Wochenende flogen dann französische Luftstreitkräfte die bisher schwersten Angriffe auf Ziele des IS in und nahe der Daesh-Hochburg Raqqa im Norden Syriens.

Die Rhetorik Hollandes ähnelt dabei jener, der sich US-Präsident George W. Bush nach dem 11. September 2001 befleißigte, auch Bush sprach damals vom Krieg gegen den Terror.

Freilich, die Milliarden Dollar, welche die USA in Afghanistan und danach im Irak buchstäblich in den Sand gesetzt haben, die zigtausenden Toten im Irak und die Tatsache, dass seit dem US-Einmarsch im Irak die ganze Region in Flammen steht, zeigen, dass der Terror mit konventionellen militärischen Mitteln allein nicht zu besiegen und das Konzept des "Kriegs gegen den Terror" untauglich ist.

In welchem Kontext sind die die tödlichen Anschläge von Paris vom Freitag, den 13. November, bei der nach einer vorläufigen Bilanz 129 Menschen ums Leben gekommen sind und 352 verletzt wurden (davon 99 schwer) überhaupt zu sehen? Die Serie von Selbstmordbombenanschlägen und Feuerwaffen-Attacken ist mit größter Wahrscheinlichkeit der dritte schwere Angriff von Daesh (IS) innerhalb nur weniger Tage.

Am 31. Oktober stürzte Kogalymavia-Flug 9268 (Flug 7K9268) auf dem Weg vom beliebten Badeort Sharm el-Sheik in Ägypten nach Sankt Petersburg (Flughafen Pulkowo) - vermutlich nach einer Bombenexplosion an Bord - ab. Dabei starben 224 Passagiere und Besatzungsmitglieder. Der Anschlag geht nach bisherigen Ermittlungsergebnissen auf das Konto der Terrormiliz.

Und bei einem Doppelanschlag im schiitisch dominierten Burj Al Barajneh im Süden von Beirut sind am vergangenen Donnerstag mindestens 43 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 200 wurden verletzt. Der Anschlag war der bisher schwerste im Libanon seit dem Beginn des Krieges im Nachbarland Syrien. Als Drahtzieher dieses Anschlags gilt ebenfalls die Dschihadistenmiliz. Für den IS gilt die schiitische Hisbollah - der Süden von Beirut ist die Hochburg der schiitischen Miliz unter der Führung von Hassan Nasrallah - als Todfeind. Grund: Die Hisbollah unterstützt in Syrien Präsident Bashar al-Assad im Kampf gegen den IS, Jabhat al-Nusra und die Freie Syrische Armee (FSA) und andere sunnitische Splittergruppen.

Die Anschläge wären demnach Signale an Russland und die Hisbollah - beide unterstützen Bashar al-Assad direkt - und an Frankreich, das sich an Luftoperationen gegen den IS beteiligt.

Aufstieg und Fall des IS

In den vergangenen Jahren hat die Welt den Aufstieg von Daesh erlebt: Abu Bakr al-Baghdadi ist seit Mai 2010 Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat. Mitte 2014 erklärte er sich selbst in megalomanischer Weise zum Kalifen - zum Führer der gesamten islamischen Gemeinschaft - zu einer Zeit, als er den Zenit seiner Macht bereits überschritten hatte.

Am 3. Jänner 2014 hatte IS Falludscha von irakischen Regierungstruppen erobert. Die irakische Armee war nicht in der Lage, die Kontrolle über die Stadt zurückzuerlangen. Wie der Irak-Kenner Patrick Cockburn in seinem Buch "The Rise of the Islamic State: ISIS and the New Sunni Revolution" schreibt, war die Desolatheit der irakischen Armee auf Korruption und Misswirtschaft zurückzuführen: Die Soldaten wurden mit zu wenig Munition an die Front geschickt und waren bald hungrig, weil ihre Kommandeure das Geld, das ihnen für die Verpflegung gegeben wurde, für sich selbst abgezweigt hatten. Auf Seiten des IS kämpften hingegen auch frühere Offiziere des Baath-Regimes von Saddam Hussein, die Erfahrung im Guerilla-Kampf gegen die US-Armee im Irak gesammelt hatten. Daher waren Beobachter auch nicht sonderlich erstaunt, als im Juni 2014 die zweitgrößte Stadt des Irak, Mosul, fiel. Bald kontrollierte IS den Norden und Westen des Irak und weite Teile Syriens. Im Jänner 2015 feierten die IS-Kader einen grotesken Propagandaerfolg - mit einem Video, in dem die Verbrennung des jordanischen Kampfjetpiloten Muath al-Kasasbeh zu sehen war.

Wie ist der Aufstieg von IS zu erklären? Der Westen hatte den Bürgerkrieg in Syrien lange als regionales Problem abgetan, so als ginge das alles Europa und die USA nichts an. Auch als der Krieg in Syrien auf den Irak übergriff, waren die Reaktionen bescheiden, weil niemand Interesse an einer Intervention in der Region hatte - zu tief saß die Angst vor einem weiteren Debakel nach dem desaströsen Krieg im Irak. Daesh (der Islamische Staat IS) hatte zudem mächtige Unterstützer. Einzelne einflussreiche Saudis - vielleicht sogar das offizielle Saudiarabien - stehen unter Verdacht, IS anfänglich unterstützt zu haben, weil Riad in der Terrormiliz eine nützliche Schachfigur im Stellvertreterkrieg mit dem Iran auf dem Boden von Syrien und dem Irak zu erkennen glaubte. Das Kalkül: IS würde den Schiiten und Alawiten in der Region (und damit dem Iran und der schiitisch dominierten Regierung in Bagdad oder dem alawitischen Regime von Bashar al-Assad in Dasmakus) mehr Probleme bereiten als ihnen, den Sunniten.

Von der Türkei hieß es, sie habe in Bezug auf den Vormarsch des Islamischen Staates zumindest ein Auge zugedrückt. Manche Beobachter äußerten den Verdacht, dass die türkischen AKP-Machteliten rund um Präsident Recep Tayyip Erdogan die syrische Kurdenpartei PYD (Partiya Yekitiya Demokrat, Partei der demokratischen Union) eine Schwesterpartei der kurdischen Arbeiterpartei PKK (Partiya Karkeren Kurdistan) mehr fürchten als die erklärten Feinde der Kurden, Daesh - den Islamischen Staat.

Zuletzt haben aber sowohl die golfarabischen Staaten als auch die Türkei einen Richtungswechsel vollzogen. Die Türkei erlaubt den USA, von der Luftwaffenbasis Incirlik aus Angriffe auf den islamischen Staat zu fliegen, und auch Saudi-Arabien geht nach einer Serie von Anschlägen auf Schiiten und Sicherheitskräfte im Land gegen IS-Sympathisanten vor. Die Türkei hat am 10. Oktober 2015 die Antwort vom Islamischen Staat erhalten: Bei einem mutmaßlich auf das Konto von IS gehenden Anschlag auf einen Friedensmarsch in Ankara sind 102 Menschen ums Leben gekommen.

Terrormiliz in der Defensive

Der Islamische Staat ist nun aber schon seit einiger Zeit im Irak und in Syrien in der Defensive. Die zuvor von IS-Kämpfern eroberte syrische Stadt Kobane wurde Anfang Februar 2015 von kurdischen Kämpfern zurückerobert. Erst vor wenigen Tagen hat der IS die Kontrolle über einen wichtigen Luftwaffenstützpunkt in der Nähe der teilweise von Daesh (IS) kontrollierten syrischen Stadt Aleppo verloren und den kurdischen Peschmerga ist es zudem gelungen, das Gebiet um die nordirakischen Sinjar-Berge vom IS zurückzuerobern sowie die strategisch wichtige Route zwischen den beiden IS-Hochburgen Raqqa (in Syrien) und Mosul (im Nordirak) zu unterbrechen. Die gezielte Tötung des als "Jihadi John" bekannten Henkers der Terrormiliz, der in mehreren Enthauptungs-Propagandavideos aufgetreten ist, ist zudem eine Propaganda-Niederlage für die Dschihadistenmiliz. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit, mit dem sich der IS in der Rekrutierungspropaganda schmückte, ist fürs Erste dahin. Die Anschlagsserie von Paris könnte auch ein Versuch gewesen sein, von den IS-Schlappen der vergangenen Monate abzulenken.

Die Anti-IS-Allianz

Die Serie von Anschlägen der vergangenen Wochen haben aber offenbar dazu geführt, die Anti-IS-Allianz fester zusammenzuschweißen und den militärischen Druck auf den Islamischen Staat zu erhöhen. US-Präsident Barack Obama hat Frankreich volle Unterstützung zugesagt, Obama ist sich beim G20-Gipfel in der Türkei offenbar auch mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin nähergekommen. Und als Reaktion auf die Anschläge von Paris hat der britische Premierminister David Cameron vom Parlament Unterstützung für die Beteiligung seines Landes an Luftangriffen gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) in Syrien gefordert. "Wir müssen das Parlament überzeugen", sagt er in der BBC. Großbritannien beteiligt sich an den Luftangriffen im Irak, aber eine Ausweitung dieser auf Syrien scheiterte am Parlament.

Ein neuer Geist der Zusammenarbeit wäre auch für den weiteren Verlauf der Syrien-Verhandlungen in Wien eine positive Entwicklung. Denn nur wenn alle regionalen Partner sowie der Westen und Russland gemeinsam gegen den Islamischen Staat vorgehen - und das nicht nur mit militärischen Mitteln -, kann der IS-Spuk beendet werden. Und das wäre auch die einzig vernünftige Antwort auf die Terrorserie.