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Verteidigung oder Mord?

Von WZ-Korrespondent Andreas Schneitter

Politik

Per Kopfschuss hat ein israelischer Soldat in Hebron einen verletzten Attentäter getötet. Der Soldat wurde verhaftet.


Tel Aviv. Wurde der Angreifer "neutralisiert" oder war es "Mord"? Der Fall aus Hebron von vergangener Woche, als ein palästinensischer Mann in der Stadt im Westjordanland mit einem Messer eine Gruppe israelischer Soldaten angriff und, bereits verwundet am Boden, von einem Soldaten erschossen wurde, schockiert und empört die israelische Öffentlichkeit. Die Tötung war keine Premiere: Seit im Oktober 2015 sich die sogenannte "Intifada der Messer" in Israel und den Palästinensergebieten entlud, starben über 200 Palästinenser durch israelische Sicherheitskräfte, mehr als die Hälfte davon waren Attentäter. Palästinensische Politiker haben in den vergangenen Monaten diese Todesfälle wiederholt als "außergerichtliche Exekutionen" kritisiert.

Neu am Fall aus Hebron ist das eindeutige Bildmaterial: Die israelisch-palästinensische Menschenrechtsorganisation Betselem hat Videoaufnahmen veröffentlicht, die den tödlichen Schuss deutlich zeigen - zu einem Zeitpunkt, als der Angreifer bereits mehrere Minuten verwundet und unbeweglich am Boden lag. Der Soldat wurde anschließend verhaftet, gestern Dienstag fand die erste Anhörung vor einem Militärgericht statt.

Noch ist die Anklage nicht formuliert, alles andere als eine Untersuchung wegen Mordes würde jedoch überraschen: Ein israelischer Militärsprecher hatte bereits einen Tag nach dem Vorfall die Tat scharf verurteilt. Selbst Premierminister Netanjahu nannte die Tat des Soldaten ein "empörendes und inakzeptables Verhalten".

Für die Armee geht es um viel: Israels Streitkräfte nehmen für sich in Anspruch, die "moralischste Armee der Welt" zu sein, eine umfassende und transparent kommunizierte Untersuchung ist dafür unumgänglich. In der Praxis wird die Armee diesem Anspruch jedoch nicht durchgehend gerecht, wie ein vor wenigen Tagen veröffentlichter Bericht der Aufsichtsbehörde des Verteidigungsministerium aufzeigte. Bemängelt wurde darin unter anderem, dass Israels Streitkräfte interne Untersuchungen nur ungenügend ausführen und kein klares Kommunikationskonzept aufweisen würden, um Untersuchungserkenntnisse in die Ausbildung und die Befehlsstruktur zu implementieren. Politisch bindend ist der Bericht nicht, der Vorfall in Hebron könnte jedoch zu Verbesserungen führen.

Zumindest in der Bevölkerung ist das Vertrauen in die Streitkräfte nach wie vor hoch: Laut einer Umfrage der Zeitung "Haaretz" vergangene Woche geniesst Armeechef Gadi Eizenkot, weit vor Netanjahu und anderen Anführern der Rechtsparteien, am meisten Zuspruch in der israelischen Öffentlichkeit. Für Vertreter rechts der Mitte ist Eizenkot, der als moderat gilt und intern sich für einen sparsamen Waffeneinsatz ausspricht, seit längerem ein Dorn im Auge. Nachdem der Armeechef den des Mordes verdächtigten Soldaten umgehend verhaften und die Tat durch seinen Sprecher verurteilen ließ, schäumte Erziehungsminister Naftali Bennett von der Siedlerpartei auf seinem Facebook-Profil, die Armee habe vergessen, "wer die Guten und wer die Bösen sind".