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Weltpolitik

Von Arian Faal

Politik

Der Atom-Deal des Iran mit dem Westen jährt sich zum ersten Mal. Der Iran ist damit international rehabilitiert. Doch die Bevölkerung wartet noch immer auf mehr Freiheiten und den wirtschaftlichen Aufschwung. Eine Analyse.


Teheran/Wien. Internationale Rehabilitierung, Entdämonisierung der USA, inneres Durchsetzungsvermögen, gewonnene Wahlen und die Unterstützung vom Obersten Führer: Der als moderat geltende iranische Präsident Hassan Rohani hat in fünffacher Hinsicht geschafft, was ihm bei seiner Wahl im Sommer 2013 fast niemand zutraute. Doch die Medaille hat zwei Seiten. Ein humpelnder Wiedereintritt in die Finanzwelt durch die nach wie vor strikten Bankenrestriktionen, eine verschlechterte Menschenrechtslage im Iran, sowie aggressive Zensurmaßnahmen trüben die Euphorie.

13 Jahre Atomstreit beendet

Doch zunächst zur Haben-Seite: Zum einen wurde der 13 Jahre andauernde Atomstreit zwischen der 5+1-Gruppe (die fünf UN-Vetomächte Russland, USA; China, Frankreich und Großbritannien plus Deutschland) und der Islamischen Republik wurde durch das historische Abkommen am 14. Juli des Vorjahres endgültig beigelegt. Die Quintessenz des über 120-seitigen Abkommens: Der Iran verpflichtet sich, seine umstrittene Urananreicherung auf ein Minimum zu beschränken, gewährt transparente Kontrollen und Einblicke in sein Atomprogramm und arbeitet penibel mit der für die Überprüfung der Angelegenheit betrauten Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zusammen. Im Gegenzug hebt die internationale Staatengemeinschaft alle nuklearbezogenen Sanktionen gegen den schiitischen Golfstaat auf. Die Vereinbarung war aber nur der erste Schritt.

Zweitens schaffte es Rohani, und das war fast noch schwieriger als die Verhandlungen seiner wichtigsten Joker Mohammad Javad Zarif (als Außenminister) und Ali Akbar Salehi (als Chef der iranischen Atombehörde) mit dem Westen, die Hardliner und den Obersten Geistlichen Führer Ayatollah Seyed Ali Khamenei zu überzeugen, den Deal abzusegnen. Anfang 2016 wurde das Abkommen implementiert und der Iran nach Jahren der Isolation international wieder salonfähig.

Es kursiert im Iran das Gerücht, dass Rohani und sein politischer Ziehvater, der zweitmächtigste Mann im Land, Ayatollah Akbar Hashemi-Rafsanjani, einmal mit einer Powerpoint-Präsentation zu Khamenei gegangen sind und ihn über die katastrophale Lage des Landes angesichts der Sanktionen mit nackten Zahlen konfrontiert hätten. Als Abschlussbemerkung soll der Satz "und wenn wir nicht bald etwas unternehmen, ist alles verloren" gefallen sein. Dadurch sollen die beiden Khamenei wachgerüttelt haben. Dennoch: Die ultrakonservativen Kräfte im Iran, die Militär, Justiz und Polizeiapparat beherrschen, sind nach wie vor skeptisch und haben das Abkommen nur auf Druck Khameneis mürrisch zur Kenntnis genommen.

Drittens, und damit wurde ein historisches Tabu seit der Gründung der Islamischen Republik 1979 gebrochen, hat er angeordnet, dass die "Tod Amerika"-Rufe nach dem Freitagsgebet im TV nicht mehr ausgestrahlt werden. Das war ein wichtiger Mosaikstein in Rohanis Annäherung an den Erzfeind. Verbindungen und Geheimgespräche zwischen Washington und Teheran hatte es bereits seit 2009 unter Vermittlung des Sultanats Oman und dessen Herrscher Qabus gegeben. Der Deal wurde auch nur möglich, weil sich die USA und der Iran arrangiert haben.

Hardliner unter Druck

Viertens, und das ist neben dem Deal wohl seine größte Errungenschaft als Präsident, hat sein Team die Parlaments- und Expertenratswahlen im Februar 2016 mit großen Zugewinnen für sich entscheiden können.

Fünftens ist es Rohani gelungen, sehr viele Hardliner aus Schlüsselpositionen zu vertreiben. Dies verschafft ihm bei der künftigen Regierungsarbeit im Majles (Parlament) durch die Mehrheit, die seine moderaten Fraktionen mit dem ihm wohlgesonnenen unabhängigen Kandidaten und modernen Neo-Konservativen hat, mehr Spielraum.

Dennoch haben die ultrakonservativen Kräfte weiterhin großen Einfluss und sitzen Rohani täglich im Nacken. Rohanis Regierung ist damit in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Deshalb humpelt die iranische Führung erst zurück auf das internationale Finanzparkett.

Was diplomatisch mit einem Lächeln und hunderten Delegationen, die sich die Klinke in Teheran in die Hand geben, sehr gut funktioniert, klappt bei den großen europäischen Bankenhäusern mehr schlecht als recht. Sie alle scheuen sich noch, Großgeschäfte mit den Persern abzuwickeln. Nicht einmal ein jüngster Appell von US-Außenminister John Kerry höchstpersönlich, dass die Welt durchaus wieder in den Iran investieren könne, brachte den für Rohani inner-iranisch so wichtigen Startschuss in Richtung Milliardenaufträge nach dem Deal. Hardliner spötteln bereits. "Wir haben unsere Ehre und unseren Stolz an den Westen verkauft und wurden dafür hintergangen. Wo sind sie denn die ganzen Großaufträge, die dieser verdammte Deal hätte bringen sollen?", fragen Ayatollahs regelmäßig bei den Freitagsgebeten.

Wie sich die Finanzbarrieren auswirken, zeigt sich etwa anhand der staatlichen Fluglinie Iran-Air. Sie hat nach dem Ende der Sanktionen Flugzeuge bei Airbus und Boeing bestellt, hadert aber noch mit den eingeschränkten Möglichkeiten, Finanztransaktionen durchführen zu können.

Rohani und sein Team müssen die ökonomischen Probleme schnell in den Griff bekommen. Angesichts des niedrigen Ölpreises und der desolaten iranischen Wirtschaft braucht das Land schleunigst Großprojekte, um die Lage zu verbessern. Arbeitslosigkeit und Inflation plagen seit Jahren den Iran. Die Inflation beträgt noch immer mehr als 15 Prozent, ähnliche Werte gibt es Schätzungen zufolge bei der Arbeitslosigkeit.

Die zweite Baustelle, bei der Rohani bei den Hardlinern auf Granit beißt, ist das heikle Thema Menschenrechte. Eigentlich hat der als moderat geltende "Scheich der Hoffnung" bei seiner Wahl im Juni 2013 versprochen, eine Bürgerrechtscharta einzuführen und die Menschenrechtslage in der Islamischen Republik zu verbessern. Doch die unter Rohanis Vorgänger Mahmoud Ahmadinejad ohnehin katastrophale Menschenrechtssituation hat sich noch verschlimmert. Allein im ersten Halbjahr 2015 hat die iranische Justiz laut Amnesty International rund 700 Menschen hinrichten lassen. 694 Todesurteile seien zwischen Jänner und Mitte Juli vollstreckt worden, meldete Amnesty unter Berufung auf "glaubwürdige Berichte". Dies sei ein "beispielloser Anstieg". Die Behörden sprechen von 246 Hinrichtungen bis 15. Juli 2015, zumeist wegen Drogendelikten.

Worte allein zu wenig

Eines steht fest: Der Großteil der jungen iranischen Bevölkerung (mehr als 60 Prozent der 80 Millionen Menschen sind unter 35 Jahre alt) will endlich ohne Restriktionen und westlich orientiert leben. Rohani hat ihnen seine Hilfe versprochen und den Hardlinern klargemacht, dass man "nicht alles verbieten und kontrollieren muss". Das allein ist aber zu wenig. Nach dem Deal ist die Euphorie verflogen und die Menschen warten auf eine bessere Alltagssituation durch nachhaltige Impulse in der Wirtschaftspolitik und auf eine Entschärfung der Restriktionen im Alltag. Daran wird Rohani letztendlich gemessen werden.

(af) Der Iran hat mit einer Fläche 20 Mal so groß und einer Bevölkerung zehn Mal so groß wie Österreich neben Russland und der Türkei das höchste wirtschaftliche Potenzial in unmittelbarer geografischer Nähe zur EU. Nach dem Atomdeal stehen Österreichs Firmen (etwa OMV, AUA oder Andritz) Schlange, um im Iran tätig zu werden. Auf rund 400 Millionen Euro beliefen sich die Exporte aus Österreich in den Iran 2004, zehn Jahre später lagen sie nur mehr bei 232 Millionen Euro. Nun will die WKO das Handelsvolumen Österreichs mit dem Iran deutlich steigern und die Euromilliarde bis 2020 erreichen. Aus dem Golfstaat importiert werden etwa mineralische Brennstoffe, Teppiche und getrocknete Früchte. Exportiert werden chemische und pharmazeutische Erzeugnisse sowie Maschinen und medizinische Spezialapparate.

Österreich und Iran