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Lateinamerikas neue Hassfigur

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

Brasiliens Präsident haftet das Image eines arroganten, intriganten Putschisten an. In Venezuela macht die Opposition mobil.


Buenos Aires. Ausgerechnet Michel Temer (75) von der eher farblosen bürgerlichen Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens (PMDB) soll Brasilien nun aus der Krise führen. Das wird ein schwieriges Unterfangen, denn Temer lastet der Ruf des "Putschisten" an, der durch seinen Rückzug aus der Koalition mit Rousseff erst den Königinnenmord zuließ.

Dass es Rousseff gelang, Temer dieses Etikett anzuheften, ist einer ihrer wenigen kommunikativen "Erfolge" während ihrer katastrophalen sechsjährigen Amtszeit. Doch auch im Ausland schlägt Temer Misstrauen entgegen: Rousseffs ideologische Mitstreiter in den Präsidentenpalästen in La Paz, Caracas und Quito sprechen Temer die Legitimität ab. Ausgerechnet Venezuela, dessen Präsident Nicolas Maduro selbst gerade sein eigenes Volk mit Hilfe von Sonderdekreten regiert und die Opposition wegsperrt, spielt sich zum Verteidiger der Menschenrechte auf. Es brach alle Verbindungen ab. Das zeigt auch: Temer ist dabei, zu einer neuen Hassfigur der lateinamerikanischen Linken zu avancieren. Diese Position ist nach dem Ende der Präsidentschaft von George W. Bush vakant. Einen gemeinsamen Feind hat die kontinentale Linksbewegung zwischen Havanna und Quito, Caracas und Santiago schon seit einigen Jahren nicht mehr. Und ob Donald Trump mit einem Wahlsieg in dieses Vakuum stoßen wird, ist fraglich.

Das birgt für Temer einige Gefahren: Er muss bei wichtigen Reformen in der Wirtschaftspolitik mit der Gegenwehr der Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen rechnen, die sich zuletzt schwertaten, angesichts der Korruptionsaffäre auch in der linken Arbeiterpartei für Rousseff und Lula auf die Straße zu gehen. Doch das Duo ist Geschichte und die schmerzhaften Einschnitte, die nötig sein werden, um Brasiliens Wirtschaft wieder in Fahrt zu bekommen, bieten ihnen die Möglichkeit sich neu zu profilieren und Kräfte zu sammeln.

Schon Temers Entscheidung in seinem Übergangskabinett ausschließlich weiße Männer zu berufen, zeugt von mangelndem Einfühlungsvermögen und Arroganz, die dazu beigetragen haben, dass seine Zustimmungsraten bislang kaum messbar sind. Temer braucht allerdings schnelle politische Erfolge, die seine Amtsübernahme legitimieren, ansonsten droht ihn sehr schnell die Wut der Straße einzuholen, die Rousseff letztendlich aus dem Amt spülte.

Proteste in Caracas

Enorme Wut entlud sich am Donnerstag im bitterarmen Venezuela. Im Osten der Hauptstadt Caracas gingen zehntausende Unterstützer der Opposition, im Zentrum tausende Regierungsanhänger auf die Straße. Ein Polizeiaufgebot sollte dafür sorgen, die beiden Demonstrationszüge voneinander zu trennen.

Unmittelbar nach Beginn der Aktion gab es erste Berichte über den Einsatz von Tränengas durch die Sicherheitskräfte. Insgesamt wollte die Opposition mindestens eine Million Menschen mobilisieren.