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"Ist das nicht gefährlich, so als Frau?"

Von Simone Schlindwein aus dem Ostkongo

Politik
© Marc Hofer

Simone Schlindwein, die Ostafrika-Korrespondentin der "Wiener Zeitung", über ihre Erfahrungen als Journalistin in Kriegsgebieten.


Kinshasa. "Ist das nicht gefährlich als Frau?", werde ich stets gefragt, wenn ich von meiner Arbeit als Journalistin im Kriegsgebiet der Demokratischen Republik Kongo berichte. "Da werden doch die Frauen vergewaltigt." Neun Jahre arbeite ich mittlerweile im Ostkongo. In dieser Zeit habe ich unzählige vergewaltigte Frauen getroffen und noch mehr Vergewaltigern und Mördern in Uniform die Hände geschüttelt. Mehr als 50 Rebellengruppen machen dort den Dschungel unsicher, täglich werden es mehr. Irgendwann habe ich aufgehört, sie zu zählen.

Irgendwann habe ich auch aufgehört, auf die Frage nach der Gefahr zu antworten. Journalismus in Krisengebieten ist immer gefährlich, nicht nur im Kongo. Was ihn für Journalistinnen angeblich so gefährlich macht, ist das Vorurteil, dass man als Frau immer gleich sexuell missbraucht wird. Unter Journalisten, die seit Jahren über den Kongo berichten, ist ein Running Gag besonders beliebt: "Kommt ein Filmteam in den Dschungel und sucht eine vergewaltigte Frau. Es fragt diskret beim Dorfältesten nach. Der bestellt alle Dorfbewohner ein und sagt: ‚Wer jemals Opfer sexueller Gewalt geworden ist, erhebe sich!‘ Alle stehen auf. Auch die Männer." Das ist nicht nur ein Witz, sondern auch die bittere Wirklichkeit.

Kollegen, die zum ersten Mal im Dschungel auftauchen, mit dem Auftrag, Vergewaltigungen zu dokumentieren, fragen sich stets: Wie findet man ein Opfer, "am besten eines, das gut vor der Kamera darüber reden kann"? Mir wird diese Frage gerne abends an der Hotelbar gestellt. Man verweist diese Kollegen dann an Krankenhäuser wie "Heal Africa" oder das Panzi-Hospital, die sich auf sexuelle Gewalt spezialisiert haben. Da liegen tausende Frauen und Mädchen. Alle Opfer.

Der Kongo gilt als der Schauplatz schlechthin für Vergewaltigung; wer besonders brutale sexuelle Gewalt dokumentieren will, reist in den Ostkongo. Als Grund für diese maßlose sexuelle Gewalt wird in den meisten Berichten der Rohstoffreichtum des Landes angegeben. Es ginge um Coltan - jenes Erz, das für die Herstellung von Handys gebraucht wird. "Hörst du die kongolesischen Frauen in deinem Handy schreien?", lautete der Slogan einer Aktivistengruppe für ihr "fair phone". Die Opfer werden instrumentalisiert für eine Marketingkampagne, dem Verbraucher wird verklickert: Wenn nur alle "faire" Handys kauften, dann müsste im Kongo keine Frau mehr leiden. Schwachsinn.

Bei der endemischen sexualisierten Gewalt geht es weder um Coltan noch um sexuelle Befriedigung, sondern um eine tiefgehende strukturelle Gewalt, die nicht nur Frauen betrifft, sondern alle: Kinder, Alte und Männer. Dass die Erklärungsmuster "Rohstoffe" und "Handy" auftauchen, zeigt, dass wir unseren Job nicht machen und es lieber Aktivisten überlassen, die vermeintlichen Zusammenhänge zu erläutern.

Alle Dorfgrößen kommen,um Opfer zu präsentieren

Auch ich hatte meinen Running-Gag-Moment. Es war 2011 in dem kleinen ostkongolesischen Dorf Luvungi. Die UNO hatten gemeldet, dass dort knapp 400 Frauen in nur drei Tagen vergewaltigt worden waren. Da standen wir also, ich und mein Fotografenkollege, auf dem Fußballfeld mitten im Dorf, wo der Hubschrauber gelandet war: auf der Suche nach vergewaltigten Frauen.

Etwa zwölf indische, bewaffnete Blauhelmsoldaten begleiteten uns auf Schritt und Tritt - zur Sicherheit, dies sei Rebellengebiet, sagten sie. Als die Rebellen wenige Wochen zuvor das Dorf überfallen und vier Tage lang vergewaltigt hatten, waren die wenige Kilometer entfernt stationierten Blauhelme nicht aktiv geworden. Mir gegenüber fühlten sie sich umso mehr verantwortlich. Letztlich endeten wir in einem Armeezelt, in dem ein paar Dutzend Männer im Kreis saßen, die uns alle abwechselnd von den Vergewaltigungen berichteten.

"Wollen Sie sehen, was sie den jungen Mädchen angetan haben?", fragte der Polizeikommissar. Bevor ich antworten konnte, trug eine Frau ein vierjähriges Mädchen im rosa Kleidchen hinein. Es bewegte sich nicht und wurde wie eine Puppe inmitten der im Kreis sitzenden Männer abgesetzt. Ihre inneren Verletzungen seien so stark, dass sie blute und nicht laufen könne. "Machen Sie ein Foto!", sagten die Männer.

Zum Glück hatte mein Fotograf das Zelt bereits verlassen, ich ging ihm nach. Er war den Hügel hinaufgestapft, um Panoramaaufnahmen zu machen: lauter kleine Dörfer zwischen den Hügeln. Frauen auf den Äckern, an den Marktständen und beim Wäschewaschen am Flussufer. Wir sahen Mädchen, die Wasserkanister schleppten. Einfach unvorstellbar: Rein rechnerisch konnte bei knapp 400 Vergewaltigungsopfern keine Einzige verschont geblieben sein. Nur ganz wenige Männer waren noch im Dorf, die übrigen hatten sich längst einer Bürgerwehr angeschlossen. In dieser Bürgerkriegsgesellschaft sind Frauen das Rückgrat. Wer die Sozialstruktur zerstören will, muss bei ihnen anfangen.

Dann kam der tägliche Tropenregen, wir stellten uns unters Vordach einer kleinen Lehmhütte. Darin stillte eine junge Frau ihr Baby. Sie winkte uns herein. In unserem Bericht nannten wir sie Marie, um ihre Identität zu schützen. Sie rief ihre Nachbarinnen: ein 16-jähriges Mädchen, das von der Vergewaltigung schwanger geworden war. Eine runzelige 79-Jährige, deren Wickelrock nach Urin roch, weil sie wegen der Vergewaltigung das Wasser nicht mehr halten konnte. Sie alle wollten reden. Doch nicht nur über die Nacht der Vergewaltigungen, sondern über 20 Jahre systematischen Terror, den sie erfahren hatten.

Rebellen, die Raubzüge begehen, die junge Männer entführen, töten. Von ihren eigenen Männern, die eine Miliz gegründet haben, um sich zu wehren, und seitdem im Wald leben und ebenfalls plündern und töten - eine Spirale der Rache. Die Vergewaltigungen waren nur die Spitze eines Eisbergs, eine Form der Gewalt, neben vielen anderen. Und es betraf nicht nur die Frauen. Mehr als 50 Männer wurden ebenfalls Opfer, inklusive dem Dorfvorsteher. Darüber wollte niemand reden.

Der Penis alsZerstörungsinstrument

Ich schämte mich furchtbar. Das war alles zu kompliziert, um es in der Zeitung zu beschreiben. Im Kongo ist Gewalt wie in allen langjährigen Kriegsgebieten ein Normalzustand, sie hat sich über Generationen hochgeschaukelt. Nur so lässt sich der Horror erklären. Warum sonst rammen Vergewaltiger den Frauen Macheten in den Unterleib, bis sie verbluten? Was hat dieser brutale Gewaltakt mit sexueller Lust zu tun? Wieso geschieht dieser Horror so systematisch? Marie hatte keine Antwort darauf: "Wenn Sie einmal einen Täter finden, fragen Sie ihn!"

Seit dem Drama von Luvungi werden Massenvergewaltigungen als "Kriegswaffe" bezeichnet. Der Penis wurde im Erklärungsmuster zum Zerstörungsinstrument. Neue Statistiken besagten, dass jeder dritte Mann Täter sei. "Ein Land voller Vergewaltiger", titelte eine Zeitung. 2012 verlor die Regierungsarmee eine Schlacht gegen die Rebellen und zog sich in die Kleinstadt Minova zurück. Dort machten sie sich über die Frauen her. Wieder kamen unzählige Journalisten eingeflogen, um die Vergewaltigungen zu dokumentieren. Wieder wurden unzählige Maries interviewt. Wieder derselbe Running-Gag-Moment.

Im Zuge meiner Recherche besuchte ich in Goma ein Traumazentrum, das sich auf Vergewaltigungen spezialisiert hatte. Die meisten Patienten waren junge Männer. Einer davon war der 19-jährige Bonerge: Als Sohn eines getöteten Vaters und einer vergewaltigten Mutter hatte er sich mit 16 jener Miliz angeschlossen, die Luvungi überfallen hatte. Er war also ein Täter! Was Bonerge und die anderen jungen Männer im Beisein der Psychologen erzählten, ließ mir den Atem stocken.

Selbst von Kameraden und Kommandeuren vergewaltigt, bekam Bonerge als 17-Jähriger den Befehl, keine Frau in Maries Dorf zu verschonen. Wer nicht gehorcht, wird exekutiert, hatte ihm der Kommandeur gedroht. Wer keinen hochkriegt, muss sich eines Hilfsmittels bedienen: Dann kommen der Stock, der Gewehrlauf oder die Machete ins Spiel, erklärte mir Bonerge. Mit sexueller Lust hat das alles nichts zu tun, im Gegenteil. Rund 85 Prozent der Täter sind selbst Opfer von Gewalt. Zwölf Prozent wurden sexuell missbraucht, meist von ihren Kommandeuren oder Kammeraden. 73 Prozent wurden gezwungen, Gewalt auszuüben. Dazu gehören auch Kannibalismus, Folter und Enthauptungen.

Journalisten neigen dazu, sich das herauszupicken, was Schlagzeilen bringt. Im Kongo sind es die Vergewaltigungen. In Norduganda waren es die Kindesentführungen und die abgeschnittenen Lippen, in Sierra Leone die abgehackten Hände, in der Zentralafrikanischen Republik die Menschenfresser. Doch das sind nur Facetten eines riesigen Gewaltarsenals. Die Täter sind Produkte der brutalisierten Gesellschaften. Und selbst Opfer. Wie geht noch mal der Witz mit den Vergewaltigungen? Alle stehen auf.

Zur Person

Simone Schlindwein,

geboren 1980 in Baden-Württemberg, lebt seit 2008 in Afrika, in der
Region der Großen Seen (Uganda, Ruanda, Burundi, Kongo,
Zentralafrikanische Republik). Sie berichtet regelmäßig aus den
Kriegsgebieten.