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Schach, aber nicht Schachmatt

Von Philipp Lichterbeck und Konstanze Walther

Politik

Ex-Präsident Lula wurde verurteilt, für seine Partei ist er aber weiterhin der Präsidentschaftskandidat 2018.


Brasilia. Die Analyse der Tageszeitung Folha de São Paulo bringt es folgendermaßen auf den Punkt: "Die große Frage bei den Strafprozessen gegen Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva ist, wie man die persönlichen Vorteile juristisch interpretiert, die Lula von Unternehmen erhalten hat, die im Zuge des Petrobras-Skandals angeklagt worden sind."

Unbestritten sei, dass die Unternehmen Bestechungsgelder verwendet hatten, um an staatliche Aufträge zu kommen. Unbestritten sei auch, dass der Ex-Präsident und seine Familie gewisse Vorteile genossen hatten. "Die größte Schwierigkeit ist nun, zwischen diesen zwei Tatbeständen einen kausalen Zusammenhang herzustellen." In seinem Urteil stellt der Richter Sérgio Moro diesen Zusammenhang mit den Worten her, dass es die "einzige Erklärung" sei, weshalb Lula ein Apartment der Baufirma OAS erhalten habe und im Gegenzug Aufträge des staatlichen Ölkonzerns Petrobras beschafft haben soll. Lulas Anwälte bestreiten aber, dass ihm die Immobilie überhaupt gehöre. Tatsächlich gelang es den Anklägern nicht, die Besitzfrage hundertprozentig zu klären. Der Fall des Apartments war im Zuge der gigantischen Korruptionsermittlung rund um Petrobras aufgetaucht, die seit 2014 läuft und unter dem Namen "Lava Jato" (Autowaschanlage) berühmt wurde.

Präsidenten im Sumpf

Der Korruptionsjäger Moro hält Lula aber nun der passiven Korruption und Geldwäsche für schuldig und verurteilte ihn als ersten Präsidenten Brasiliens wegen Bestechlichkeit zu neuneinhalb Jahren Haft.

Zur Erinnerung: Auch der amtierende Präsident Michel Temer ist derzeit in einen Korruptionsskandal verwickelt. Ihn schützt noch seine Immunität. Der Oberste Gerichtshof Brasiliens hat Ende Juni die Korruptionsvorwürfe gegen Temer offiziell dem Parlament übergeben. Die Abgeordneten müssen nun entscheiden, ob Temer tatsächlich der Prozess gemacht wird. In der Kammer verfügt Temer über eine komfortable Mehrheit. Temer ist im Sommer 2016 an die Macht gekommen, als er das Amt von Lulas Nachfolgerin und politischer Ziehtochter, Dilma Rousseff, übernommen hatte. Rousseff wurden im Zuge des Amtsenthebungsverfahrens Unregelmäßigkeiten im Haushaltsbudget vorgeworfen. Ein Vorwand, um sie aus dem Amt zu entfernen, findet die eine Hälfte des Landes und nennt es einen Putsch. Brasilien ist politisch sowie sozial tief gespalten. Die Nachricht von Lulas Verurteilung sandte kleine Schockwellen durch das Land. Auf Facebook und Twitter begannen hitzige Diskussionen, in die sich auch Politiker einmischten.

Für Lulas Anhänger ist die Entscheidung Moros politisch motiviert. Sie sehen eine konservative Verschwörung gegen Lulas Arbeiterpartei (PT) am Werk, die mit Rousseffs Absetzung begann.

Interessant ist, dass Moro davor zurückschreckte, Lula tatsächlich hinter Gitter zu stecken. Aus "Besonnenheit", so Moro, verzichte er solange darauf, bis das Urteil von der nächsten Instanz bestätigt werde. Lula wird nun in Berufung gehen.

Aus Lulas Umfeld hieß es, dass er mit der "Gelassenheit des Unschuldigen" auf den Richterspruch reagiert habe. In gewisser Weise war dieser auch nicht anders erwartet worden. Sérgio Moro hat erhebliche Zeit und Mittel darauf verwandt, den Ex-Präsidenten dingfest zu machen. Moro, ein 44-Jähriger mit Hang zur Selbstdarstellung, sagte, dass Lula die Mechanismen zur Korruptionsbekämpfung unterschätzt habe, die einst von ihm selbst geschaffen worden seien.

Ebenso wichtig wie die Verurteilung Lulas ist die daraus folgende Konsequenz, ihn für 19 Jahre von allen politischen Ämtern auszuschließen. Sollte das Urteil bestand haben, könnte Lula nicht wie geplant 2018 zu den Präsidentschaftswahlen antreten. Doch damit will man in der Arbeiterpartei vorerst nicht rechnen. Lula soll weiterhin der Präsidentschaftskandidat bleiben. Außerdem: Das Urteil habe sich schon lange abgezeichnet. Man mache vorerst einmal weiter wie gehabt. Laut Umfragen ist Lula schließlich derzeit mit rund 30 Prozent der Stimmen weiterhin der aussichtsreichste Kandidat.

Auch dies ist ein Grund, warum Lulas Anhänger von politischer Verfolgung sprechen. Für sie ist das Urteil der Versuch, Lulas Erbe zu diskreditieren. Während seiner Amtszeit von 2003 bis 2011 schaffte es der ehemalige Metallarbeiter, die Armut in Brasilien spürbar zu verringern. Mit Sozialprogrammen wurden Hunger und Analphabetismus bekämpft. Benachteiligte Gruppen, etwa junge Schwarze, bekamen erstmals Zugang zu weiterführender Bildung.