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"Chinesen sehen ihre Chance gekommen"

Von Stephanie Liechtenstein

Politik

Niemand stellt global den Führungsanspruch. Eine Situation, die laut dem US-Politologen Ian Bremmer brandgefährlich ist.


München. Die Epoche, als eine Gruppe westlicher Staaten, allen voran die USA, die globale politische und wirtschaftliche Führung innehatten, ist nun endgültig vorbei. Das ist die These von Ian Bremmer, amerikanischer Politikwissenschaftler und Gründer des einflussreichen Think Tanks Eurasia Group. Bremmer hat dafür den Begriff der G-Zero-World oder G-Null-Ära geprägt, in der kein Staat den globalen Führungsanspruch stellt. Diese Situation ist durch die Wahl von Donald Trump und die America-First-Politik noch weiter verschärft worden.

Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz betont Bremmer, dass dadurch ein Machtvakuum entstanden sein, dass zunehmend von China gefüllt werde. "Die Chinesen haben entschieden, dass das nun ihre Chance ist", so Bremmer, seiner Ansicht nach ist China derzeit das einzige Land, das aktiv eine zukünftige, neue Weltordnung gestalten möchte.

Europa und die USA würden sich daran nicht beteiligen und sich dadurch eine Chance entgehen lassen. Bremmer glaubt, dass die G-Null-Ära mindestens noch 5 bis 10 Jahre anhalten werde. So lange müsse man noch warten bis sich eine neue Führungsmacht und Weltordnung herauskristallisiert. Diese Zeitspanne ist in seinen Augen von großen Gefahren geprägt. Bremmer zeigt sich angesichts dieser Entwicklungen erstaunt, dass die Rolle Chinas bei der Münchner Sicherheitskonferenz eine untergeordnete Rolle spielte.

China sei bereits eine Supermacht auf dem Technologie-Sektor. Diese Situation sei eine "existentielle Bedrohung" für den Westen. Denn hier würde es sich um Dinge wie Algorithmen und Datenbeschaffung handeln, also um nichts Anderes als "wer das Denken und die Meinungen der nächsten Generation beeinflusst". Auch dieses Thema sei auf der Sicherheitskonferenz nicht behandelt worden, konstatiert Bremmer.

Wer ist der neue Anführer der freien Welt?

Seit der Wahl Donald Trumps ist auch viel die Rede davon, wer nun den Title "leader of the free world" für sich beanspruchen kann. Trump wird generell nicht mehr als ein solcher Verteidiger der freien und liberalen Welt angesehen. Ian Bremmer ist der Meinung, dass Angela Merkel diesen Titel auch nicht bekommen kann, vor allem aufgrund ihrer geschwächten politischen Rolle seit den Bundestagswahlen. Auch Emmanuel Macron oder Justin Trudeau würden nicht wirklich in diese Rolle passen. Ian Bremmer stellt auch hier eine gewagte These auf wenn er sagt, dass derzeit am ehesten der japanische Premierminister Shinzō Abe für diese Funktion in Frage kommt.

Die Eurasia Group gibt am Anfang jeden Jahres einen Bericht über die Top-10-Risiken für die globale Sicherheit heraus. Darin wird neben dem Aufstieg Chinas an zweiter Stelle auch die große Gefahr eines Krieges basierend auf Fehlinterpretationen beschrieben. Gerade im Falle des Syrien-Konfliktes würde das zutreffen, so Bremmer. Der erst kürzlich erfolgte Beschuss eines israelischen Kampfjets, der dann in Israel abgestürzt ist, sei ein Beispiel dafür. Da im Syrien-Krieg derart viele Staaten beteiligt sind, inklusive dem Iran, Russland, Israel, und den USA, sei gerade hier "die Gefahr für eine direkte Auseinandersetzung sehr hoch".