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Nostalgische Utopien

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik
Indiens Premier Narendra Modi erklärte, freier Handel beruhe auf Personenfreizügigkeit. Diese goutiert Theresa May nicht.
© reu/Lipinski

Kurz greift die Hoffnung der Brexit-Befürworter, der Commonwealth könnte eine handelspolitische Alternative zur EU sein.


London. Die Queen beließ es nicht bei diplomatischen Artigkeiten. Nach der feierlichen Begrüßung der 53 Staats- und Regierungschefs des Commonwealth "bei mir zuhause" (im Buckingham-Palast) kam sie am Donnerstag schnell zum springenden Punkt. Was das Commonwealth brauche, erklärte das langjährige Oberhaupt des Verbandes, sei "Stabilität und Kontinuität". Es sei darum ihr "innigster Wunsch", dass "der Prinz von Wales eines Tages die wichtige Arbeit fortführt, die mein Vater im Jahr 1949 begann".

So direkt hat man Elizabeth II. selten sprechen hören. Selten aber ist für die Krone auch etwas so wichtig gewesen wie der Erhalt der Weltbühnen-Rolle, die der britischen Monarchie ein globales Flair, eine weit über die Küsten des eigenen Landes hinausreichende Aufgabe verleiht.

Und dass es Zweifel an der Eignung von Prinz Charles für diese Rolle gibt, hatten einige Commonwealth-Chefs in den vergangenen Jahren durchblicken lassen. In London hatte Oppositionsführer Jeremy Corbyn, kein Freund der Monarchie, sogar vorgeschlagen, dass der Vorsitz reihum übernommen werden könnte von den 53 Mitgliedern der Organisation.

Charles, der sich vorige Woche noch mit einem Federwisch auf dem Kopf und Palmenblättern im Hosenbund in Australien herumtrieb, zur Eröffnung der Commonwealth-Spiele, war sichtlich erleichtert, als sich seine Mutter im Buckingham so klar für ihn aussprach.

Offiziell bestätigt werden muss erst noch, dass das Commonwealth ihn wirklich zum neuen Oberhaupt ausersehen hat für die nach-elisabethanische Ära. Aber die Entscheidung ist offensichtlich gefallen. Niemand im Commonwealth wagt es, der Königin ihren "innigen Wunsch" abzuschlagen: Nicht der Frau, die die Rolle 66 Jahre lang mit viel Charme und zäher Ausdauer versah und die an diesem Samstag 92 Jahre alt wird.

In der Tat hat der lockere Bund Großbritanniens mit der Mehrheit seiner früheren Kolonien Elizabeth immer viel bedeutet. Sie ist zeitlebens viel gereist in einem Gebiet, das immerhin ein Viertel der Landmasse der Erde und fast ein Drittel der Weltbevölkerung umfasst.

Kanada, Australien und Indien gehören dem Verband ebenso an wie winzige pazifische Inseln wie Samoa oder Tuvalu. Die Queen ist bis heute Staatsoberhaupt von 16 Commonwealth-Ländern - obwohl überall republikanische Neigungen die Zukunft der Krone in Frage stellen.

Inhaltlich enge Grenzen

Die innere Vielfalt des Verbandes, mit dem die Briten seit Empire-Zeiten ihre kulturelle und politische Einfluss-Sphäre zu wahren suchten, hat gemeinsamer Aktion freilich immer enge Grenzen gesetzt. Liberal gestimmte Commonwealth-Mitglieder wollen zum Beispiel beim diesjährigen Gipfel am Freitag und Samstag erneut die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen zur Sprache bringen. In 36 Commonwealth-Staaten verstößt Homosexualität noch gegen das Gesetz.

Weniger umstritten sind andere, weltweit spürbare Themen, die behandelt werden sollen - wie Umweltverschmutzung, Klimawandel und Entwicklungspolitik. Über Welthandel wird natürlich immer gesprochen. Dieses Jahr, im Jahr vor dem Brexit, zeigt die britische Regierung an diesem Thema mehr Interesse denn je.

Denn schon vor dem Brexit-Referendum haben EU-Austrittsbefürworter wie der heutige Außenminister Boris Johnson ja das Commonwealth als die große Alternative zur EU bezeichnet. Johnson nannte den britischen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1973 einmal einen "Verrat" am Commonwealth.

Inzwischen geloben Brexit-Hardliner, vermehrter Handel mit den "aufstrebenden Ökonomien" des Commonwealth werde mögliche Verluste in Europa schon ausgleichen. Für britische Unternehmen bleibt die EU, mit der die Briten die Hälfte ihres Handels abwickeln, nach eigenem Bekunden aber immer wichtiger als das Commonwealth-Territorium, in das nur neun Prozent der britischen Exporte gehen.

Commonwealth-Regierungschefs haben auch schon freimütig bekundet, sie sähen keinen Grund, Großbritannien aus rein nostalgischen Gründen, also ohne Gegenleistungen Londons, Vorzugsbedingungen einzuräumen. Indien hat erklärt, freier Handel hänge vor allem an der Freizügigkeit von Menschen. Das ist nicht etwas, was die Brexiteers gern hören: Dagegen hatten sie ja vehement gekämpft.

Empörte Karibik-Staaten

Böses Blut bei vielen Delegationen hat auch die Affäre ausgelöst, die ausgerechnet diese Woche in London, in einer plötzlichen Hitzewelle, überkochte. Dass die britische Regierung in den vergangenen Monaten anfing, schwarze Mitbürger auszugrenzen, um sie zurück in die Karibik zu schicken, hat einen schweren Schatten auf das Treffen geworfen. Manche Repräsentanten aus den alten Kolonien erinnert das Ganze an eine sehr ungute alte Zeit.

Premierministerin Theresa May, die noch vor vier Jahren als Innenministerin ein "feindseliges Umfeld" für unerwünschte Zuwanderer schaffen wollte und Lieferwagen mit der Aufschrift "Geht doch nach Hause" durch die Straßen englischer Städte schickte, saß denn auch sichtlich verlegen auf ihrem Sessel neben der Königin. Sie hatte sich zuvor bereits bei den Regierungen aus der Karibik persönlich entschuldigen müssen. Und die Queen musterte May mit einem frostigen Blick.